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Erinnerungskultur in Deutschland
"Nach der Fabrikation von Verbrechen fragen"

Geschichtsrevisionismus, Pflichtbesuche in Gedenkstätten, Jahrestage: Erinnerungskultur war ein großes Thema im Jahr 2018. Die Geschichte helfe zu verstehen, sagte der Historiker Volkhard Knigge im Dlf. Es sei gut zu wissen, was man besser nicht tue, damit Gesellschaften nicht ihren humanen Atem verlören.

Volkhard Knigge im Gespräch mit Anja Reinhardt |
    In der neuen Dauerausstellung "Buchenwald. Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945" steht der Direktor der Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora, Volkhard Knigge, am 13.04.2016 in Buchenwald bei Weimar (Thüringen) vor einer Vitrine mit Häftlingskleidung. Besucher der KZ-Gedenkstätte Buchenwald können vom 17. April anhand von Fotos, Dokumenten, Alltagsgegenständen und Multimedia-Beiträge über das Leben der Häftlinge informieren. Die Ausstellung kostet nach früheren Angaben der Gedenkstätte zwischen drei und vier Millionen Euro, die sich Bund und das Land teilen.
    Volkhard Knigge, Direktor der Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora (dpa)
    In den letzten Jahren kommt es vermehrt zu Störungen in Gedenkstätten, vor allem in ehemaligen Konzentrationslagern - gezielte Versuche von rechtsnationalen oder rechtsradikalen Gruppen, Führungen zu stören und Unruhe zu stiften. "Die AfD gibt diesen Thesen Rückhalt", so Volkhard Knigge, der die Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dorau leitet. Heute würde im Gegensatz zu früher aber gar nicht mehr bestritten, dass es die Konzentrationslager gegeben habe, "sondern sie werden als sinnvoll und notwendig gedeutet". Das sehe er mit Besorgnis, so Knigge, der aber auch darauf verweist, dass "unsere Arbeit als sehr aktuell und gegenwartsrelevant wahrgenommen wird." Er stelle ein deutliches "Jetzt erst recht!" bei den Besuchern fest, das sich gegen einen Schlussstrich in der Erinnerungskultur stelle.
    Zeitzeugnisse müssen bewahrt werden
    Mittlerweile gebe es sehr viel Material, das die Verbrechen der Nationalsozialisten bezeuge, Dokumente, Zeitzeugenberichte, Gegenstände. "Unsere Möglichkeiten, sich auseinanderzusetzen, wahrheitsgemäß, erlöschen nicht, wenn wir uns von den letzten Überlebenden verabschiedet haben, was ja jetzt gerade geschieht." Auch die literarischen und künstlerischen Zeugnisse, die diese Geschichte erzählen und bezeugen, seien wichtig. Zur Gedenkstätte Buchenwald gehöre auch ein Kunstmuseum, das Bilder zeigt, die im Lager unter Lebensgefahr entstanden sind - Zeugnisse davon, dass menschliches Handeln immer möglich sei.
    Die "Warum-Fragen" herausschälen
    Das Recht auf politischen Irrtum, für das Eugen Kogon, der das KZ Buchenwald überlebte, nach 1945 plädierte, könne man heute nicht mehr für sich in Anspruch nehmen – das sagt der Historiker Knigge auch mit Blick auf die aktuellen rechten Bewegungen in Europa und Amerika. Denn heute wüssten wir, was passiert ist. "Historische Neugier" – dafür plädiere er, kein didaktisches Aufnötigen und keine Pflichtbesuche in Gedenkstätten. Man müsse die "Warum-Fragen" herausschälen und "nach der Fabrikation von Verbrechen" fragen. "Nicht trocken kalt, sondern das meint Hand, Herz und Verstand".
    Kultur als Abwehr gegen totalitäres Denken
    Die Frage, "warum wir leben, warum wir sterben haben wir immer noch an den Hacken", so Knigge, und die Kultur habe die Aufgabe, immer wieder zu zeigen, dass es auf diese Fragen keine absoluten Antworten gibt. Auch das sei eine Erfahrung aus den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts. "Gedenkstätten sind dazu da, dass wir die Form des mitmenschlich sein Könnens uns als kulturellen Wert erschließen."