Israel Kaunatjike steht auf dem Neuen Garnisonsfriedhof (*) in Berlin-Neukölln vor dem sogenannten Herero-Stein. Ein großer Granitfindling, der 1973 von der Afrika-Kameradschaft von einem Kasernengelände in Kreuzberg hierher versetzt wurde.
"Das ist der einzige Ort hier in Berlin. Wir haben lange gekämpft für diese kleine Gedenktafel. Es hat ungefähr vier Jahre gedauert, bis sie realisiert wurde."
Bis heute legen hier regelmäßig Veteranenverbände und rechtsextreme Gruppierungen Kränze nieder. Denn der Stein, errichtet im Jahr 1907, erinnert an Soldaten der deutschen Schutztruppen, die zwischen 1904 und 1907 "am Feldzuge in Südwestafrika freiwillig teilnahmen und den Heldentod starben". Um die 80.000 Herero und Nama kamen bei diesem ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts ums Leben. Nach langen Protesten von Bürgervereinen wurde 2009 schließlich vom Bezirksamt Neukölln neben dem Findling eine Steintafel in den Boden eingelassen, mit der auch an die Opfer erinnert wird. Bis heute ist sie der einzige offizielle Gedenkort in Berlin für die Verbrechen des deutschen Kolonialismus in Berlin. Die in Berlin lebenden Herero wie Israel Kaunatjike hätten sich lieber eine andere Nachbarschaft für ihre Tafel gewünscht:
"Wir waren konfrontiert mit diesem Stein hier. Mit diesem Schutztruppenstein. Und da haben wir auch gedacht, das geht nicht. Das muss eigentlich weg! Wir wollen unseren Stein hier haben und das nicht. Und dann haben die hier vorgeschlagen. Und wir mussten das irgendwie akzeptieren."
Nachholbedarf bei der Aufarbeitung der Kolonialzeit
Die peinliche Leerstelle an Gedenkorten für die deutschen Kolonialverbrechen ist Folge der über hundertjährigen Ignoranz, mit der Deutschland seine Zeit der kolonialen Zwangsherrschaft in Afrika und Übersee idealisiert hat. Das ändert sich langsam: Die Debatte um das Humboldt-Forum, auch die Völkermord-Verhandlungen mit Namibia haben einen Prozess des Umdenkens in Gang gebracht, der seinen Niederschlag jetzt sogar im Koalitionsvertrag der neuen Großen Koalition – so sie denn kommt - gefunden hat. Kulturstaatsministerin Monika Grütters konstatiert:
"Bei der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit muss Deutschland einiges nachholen. Wie fangen damit spät an, besser spät als nie."
"Bei der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit muss Deutschland einiges nachholen. Wie fangen damit spät an, besser spät als nie."
Doch wie groß der Nachholbedarf ist, zeigt sich nicht nur daran, dass in Berlin noch immer zahlreiche koloniale Schlächter durch Straßennamen geehrt werden – auch Ruprecht Polenz bekam das zu spüren, der Sondergesandte für die Völkermord-Verhandlungen mit Namibia. Geplant ist unter anderem die Gründung einer Stiftung, die eine gemeinsame Gedenkkultur beider Länder etablieren soll.
Zur Vorbereitung besuchte man gemeinsam erst nationale Denkmäler in Namibia. Doch beim Gegenbesuch der namibischen Delegation in Berlin blieb auch Polenz nur der Weg zur kleinen Steintafel neben dem Herero-Stein auf dem Garnisonsfriedhof. Ein peinlicher Moment für die Gastgeber. Polenz:
"Auf der einen Seite wurde schon registriert, dass eine Erinnerung auch hier stattfindet an das, was in Namibia geschehen ist. Aber ich sag mal, die unvollkommene Form, das auszudrücken im öffentlichen Raum, die wird natürlich schon bewusst."
Kolonialdenkmal in Münster
Polenz reiste mit seinem namibischen Verhandlungspartner Zed Ngavirue auf der Suche nach deutschen postkolonialen Gedenkstätten schließlich in seine Heimatstadt Münster. Dort steht das sogenannte Train-Denkmal, ein Kolonialdenkmal aus den 20er-Jahren, auch dies ein Ort des Heldengedenkens für die deutschen Täter. Doch im Rahmen der von Kasper König kuratierten "Skulptur-Projekte-Ausstellung 2017" setzte die Künstlerin Lara Favaretto dem Train-Denkmal ihr Kunstwerk "Momentary Monument – The Stone" als kritische Replik entgegen. Ein monolithischer Block mit einem Schlitz als steinerne Spendenbüchse für Flüchtlinge. Ruprecht Polenz:
"Zu dessen Inhalt gehörte es allerdings leider, dass es nach der Skulptur-Ausstellung zerstört wurde, so dass jetzt die Diskussion darum geht, ob nicht die Idee eines solchen kommentierenden oder Gegendenkmals auch für die Zukunft eine gute wäre."
"Zu dessen Inhalt gehörte es allerdings leider, dass es nach der Skulptur-Ausstellung zerstört wurde, so dass jetzt die Diskussion darum geht, ob nicht die Idee eines solchen kommentierenden oder Gegendenkmals auch für die Zukunft eine gute wäre."
Doch ob es reicht, vorhandene Täterdenkmäler für das Opfergedenken umzudeuten, steht zu bezweifeln. Auch Polenz wünscht sich daher eine öffentliche Debatte und Ideensammlung für ein zentrales Mahnmal in Berlin, an sichtbarer Stelle, verbunden mit einem künstlerischen Wettbewerb. Wo genau das dann stehen soll, da hat zumindest Israel Kaunitjike schon genaue Vorstellungen:
"Wir wollen eigentlich entweder in die Wilhelmstraße oder in die Nähe vom Bundestag. Das ist unsere Vorstellung. Denn es hat alles angefangen 1884 in der Wilhelmstraße. Da haben wir auch eine kleine Infotafel. Für die Berliner Konferenz, Wilhelmstraße 92. Das wäre der richtige Ort, und nicht versteckt in Neukölln."
"Wir wollen eigentlich entweder in die Wilhelmstraße oder in die Nähe vom Bundestag. Das ist unsere Vorstellung. Denn es hat alles angefangen 1884 in der Wilhelmstraße. Da haben wir auch eine kleine Infotafel. Für die Berliner Konferenz, Wilhelmstraße 92. Das wäre der richtige Ort, und nicht versteckt in Neukölln."
(*) Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Fassung dieses Online-Beitrags und in der Audioversion hatten wir versehentlich einen falschen Friedhof genannt und im Bild gezeigt. Wir haben den Fehler im Text korrigiert und das Bild ausgetauscht.