Kathrin Hondl: "Solidarität statt Privilegien. Es geht um Alle. Die Kunst bleibt frei!" Drei kurze Sätze – am Ende ein Ausrufezeichen. Das ist das Motto einer bundesweiten Aktion, die mehrere hundert Kulturinstitutionen heute gestartet haben. Theater, Museen, Opernhäuser – sie alle haben eine "Erklärung der Vielen" unterschrieben, um – so heißt es da – "gegen Diskriminierung und für die Kunstfreiheit aktiv zu werden". Kathrin Röggla ist Vizepräsidentin der Berliner Akademie der Künste, die sich auch an der Aktion beteiligt. Die "Erklärung der Vielen" also – eine Erklärung für eine offene, gerechte und solidarische Gesellschaft. Aber: Steht das so ähnlich nicht auch schon im Grundgesetz? Warum diese feierliche Erklärung und warum gerade jetzt, am 9. November 2018?
Kathrin Röggla: Anscheinend ist es notwendig. Das ist auch für mich etwas merkwürdig, diese Verdoppelung, aber zugleich geht es im Moment tatsächlich darum, etwas wieder zu bekräftigen, an das wir sowieso gebunden sind. Das ist ja eine merkwürdige Situation.
Hondl: Es geht also um ein deutliches Zeichen gegen, Zitat: "völkisch-nationalistische Propaganda", wie es in der Erklärung heißt. An wen richtet sich das in erster Linie? An die Leute, die die beteiligten Theater, Museen und anderen Kulturinstitutionen besuchen, also das Kunst- und Kulturpublikum, oder geht es mehr um die Kulturinstitutionen selbst? Also so eine Art Selbstverpflichtung.
Zusammenarbeit erlernen
Röggla: Also ich würde sagen, es geht in beide Richtungen. Natürlich ist es zum einen ein Bündnis, ein solidarisches Unternehmen. Es geht nicht nur darum, ein Zeichen zu setzen oder wieder ein Statement zu machen, sondern auch darum, eine Zusammenarbeit durchzuführen, zu erlernen. Wir werden ja als Kultur- und Kunstinstitutionen eigentlich eher dazu gedrängt, sozusagen Branding zu betreiben, dauernd herauszustellen, wie toll die eigene Institution etwas macht, und hier geht es jetzt in eine ganz andere Richtung, nämlich sich zu vernetzen, miteinander etwas zu tun. Das ist schon sehr, sehr einzigartig.
Hondl: Etwas zu tun gegen den rechten Populismus, wie Sie es in der Erklärung nennen. Wie äußert sich der Druck von rechts im Kulturbetrieb? Haben Sie zum Beispiel an der Akademie der Künste das schon selbst erlebt, dass da politisch Druck ausgeübt wird von rechts außen?
Vorfälle häufen sich
Röggla: Ich glaube, wir sind das falsche Beispiel, obwohl ich mich an eine Ausstellung von Klaus Staeck erinnere, in der er die Briefe, die Hassbriefe gegen ihn ja ausgestellt hat, gezeigt hat. Es geht wirklich um andere Situation, wie zum Beispiel die vom Friedrichstadt-Palast im letzten Jahr, die ja tatsächlich mit einer Bombendrohung zu kämpfen hatten, abgesehen von Morddrohungen, Hassmails. Diese Geschichten häufen sich. Es häufen sich auch die Störungen von Veranstaltungen weiter. Wir haben sie in Berlin im Deutschen Theater Berlin gehabt, wir haben sie im Maxim Gorki gehabt, wir haben es in der Schaubühne gehabt. Wir können nur hochrechnen, was alles bei sehr kleinen Veranstaltern stattfindet, und die Erfahrung zeigt, gemeinsam sind wir stärker. Einzelne kann man attackieren, aber nicht eine Gruppe von 300 Institutionen.
Hondl: Heißt das auch, da ist bisher nicht genug geschehen, also haben Sie Solidarität im Kulturbetrieb vermisst?
Röggla: Na ja, was schon zu bedenken gibt, darauf hat Olaf Zimmermann vom Kulturrat heute hingewiesen, dass die Politik auch auslässt, das Beispiel Dessau wäre da zu nennen, –
Hondl: Bauhaus.
In die Breite der Gesellschaft
Röggla: – Bauhaus, da ist ja massiv Druck von der politischen Seite her ausgeübt worden. Man wird da mit den Worten im Stich gelassen: Wir können Ihre Veranstaltung nicht schützen, deswegen sagen Sie das bitte lieber ab. Also unser Zusammenschluss ist auch eine Aufforderung an die Politik, da wieder mehr die eigene Aufgabe wahrzunehmen.
Hondl: Andererseits gibt es ja gerade von den Rechten schon lange so den Vorwurf, dass der ganze Kulturbetrieb ja sowieso irgendwie links und elitär sei. Gibt es da vielleicht nicht auch die Gefahr, dass sich dieser Eindruck mit der Erklärung der Vielen jetzt vielleicht noch verstärkt und dass manche Leute dann gar nicht mehr erreicht werden von Kunst- und Kulturangeboten?
Röggla: Also ich finde das ziemlich absurd. Künstlerische Äußerungen sind etwas, was in die Breite der Gesellschaft geht. Also Kunst hat etwas mit Kommunikation zu tun, hat was mit Dialog zu tun. Sie elitär zu nennen, ist ein beliebtes Spiel, aber entbehrt sozusagen auf der ganz konkreten … wenn man sich konkret anguckt, was für Äußerungen gibt es da, was findet da statt, entbehrt das dann doch eines gewissen Bodens.
Hondl: Kunst schafft einen Raum zur Veränderung der Welt heißt es ja auch in der Überschrift der Erklärung der Vielen, aber so ein bisschen klingt diese Erklärung doch schon vor allem nach einer symbolischen Aktion mit eben großen schönen Worten, Solidarität, Vielfalt, Gerechtigkeit. Was wollen Sie denn jetzt konkret tun?
Rechtshilfe organisieren
Röggla: Konkret kann man auch, um jetzt mal ein ganz banales Beispiel anzubringen, Rechtshilfe organisieren. Mir wird irgendwie Zensur angedroht oder ich kann irgendwie etwas nicht veröffentlichen, wo wende ich mich hin. Oder: Wie gehe ich mit einer Störung um, harmloser als eine Bombendrohung, wenn jetzt irgendwie Leute reinkommen und das stören, wie kann ich da agieren. Also dass man sich einfach auch miteinander in Verbindung setzt und gegenseitig Hilfe leistet, da gibt es sehr, sehr viele Möglichkeiten, sehr konkret zu werden.
Hondl: "Solidarität statt Privilegien. Es geht um Alle. Die Kunst bleibt frei!" Das ist so das Motto oder das Fazit der Erklärung. "Es geht um Alle!" Inwieweit geht es dabei auch um vielleicht die Leute, die Rechtspopulisten und Nationalisten wählen?
Röggla: Ja. Die Grenze, die man zieht, da geht es darum, genau zu schauen, wann wird Kunst instrumentalisiert. Wann schaffe ich ein Podium für rechte Agenda oder rechtsextreme Agenda. Es heißt nicht, dass ich nicht mit den Leuten rede. Das ist was anderes, und das muss man dann sehr genau austarieren. Natürlich kann es nicht darum gehen, jetzt einfach Scheuklappen runter und irgendwie ab durch die Mitte. Das ist nicht der Plan, von niemandem, aber sehr genau zu gucken, wo fängt die Manipulation an.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.