Paris und Mailand, die klassischen Finalorte von Tour de France und Giro d'Italia wurden erreicht und auch die Spanien-Rundfahrt ist fast im Ziel von Madrid angekommen. Das ist mehr als von vielen erwartet. Daher herrscht in der Radsport-Branche große Erleichterung.
Sunweb-Teamchef Reef: "Die Blase funktioniert"
"Ich denke, die UCI und die Rennorgansiatoren von Tour, Giro und Vuelta haben einen fantastischen Job gemacht", meint Brian Holm, sportlicher Leiter des belgischen Rennstalls Deceuninck Quick Step. Auch sein Kollege Marc Reef von deutschen Team Sunweb zieht eine positive Bilanz: "Die Blase im Radsport funktioniert. Man kann Rennen ohne Probleme organisieren."
Reef beobachtete dabei eine Lernkurve der Organisatoren: "Ich denke, hier bei der Vuelta haben sie auch Erfahrungen der Rennen zuvor genutzt haben. Ich fühle mich hier sehr sicher. Wir haben direkten Kontakt nur untereinander, in der Teamblase. Das Interview jetzt machen wir auf anderthalb Meter Abstand. Wir sehen keine Zuschauer am Start. Wir sehen keine im Ziel. Wir sehen sie nicht im Rennen."
Größte Gefahr zu Beginn: die Aufenthalte in den Hotels
Das stimmt nicht ganz. An Start und Ziel waren durchaus Zuschauer. Meist wurden sie aber durch Barrieren auf Abstand gehalten. Nur zum Etappenende, besonders bei Bergankünften, mischten sich gelegentlich vom Gipfel heruntersteigende Zuschauer mit den Teamfahrzeugen. Echte Ansteckungsgefahr ging davon aber nicht aus. Es waren nur sehr wenige Zuschauer. Und ihr Aufenthalt in der Nähe der Sportler war auch nie von der kritischen Dauer von 15 Minuten.
Immerhin zogen die Vuelta-Organisatoren die richtigen Schlüsse aus den insgesamt elf positiven Fällen beim Giro d'Italia. Der größte Ansteckungsherd lag dort in den Hotels. Radprofis und ganz normale Gäste trafen sich am Büffet. Bei der Vuelta war das besser organisiert. Marc Reef: "Wir haben unsere eigene Etage mit dem Team, wir haben eigene Speisesäle. Es gibt keinen Kontakt mit anderen Gästen."
So könnte auch die kommende Saison laufen
Mit diesen Maßnahmen könne man auch in der nächsten Saison weitermachen, glaubt Reef. Und mit ihm ganz viele in der Branche. 2021 könnten aber auch die organisatorischen Probleme zunehmen, wenn in Veranstalterländern unterschiedliche Quarantäne-Bestimmungen herrschen.
"Sie haben schon ein paar Rennen abgesagt in Australien. Aber das war erwartet. Dorthin zu reisen wäre auch etwas viel", meint Brian Holm. Die australischen Rennen, die für den Jahresanfang geplant waren, wurden abgesagt, weil den Teams das Risiko von 14 Tagen Quarantäne vor dem Rennen und weiteren 14 Tagen danach zu hoch war.
Verzicht auf Rennen in Übersee mit finanziellen Folgen
Weil ähnliche Probleme auch bei Rennen in Asien und auf dem amerikanischen Kontinent zu erwarten sind, deutet sich ein europäischer Rennkalender an. Der Verzicht auf Rennen in Übersee würde den Profiradsport nicht in seiner Substanz gefährden. Einschnitte würde es aber bedeuten. Sponsoren verlören an Werbereichweite auf diesen Märkten. Und den Teams fielen erneut Einnahmen aus Startgeldern weg. Das verhagelte schon in diesem Jahr die Bilanzen.
"Ich würde schon sagen, dass einige Hunderttausend Euro sind, die uns aufgrund der wenigen Rennen an Startgeld entgangen ist", konstatiert Ralph Denk, Teamchef der deutschen Mannschaft Bora hansgrohe.
Weniger Einnahmen, aber mehr Kosten durch Corona
Auch die Veranstalter selbst beklagen Einnahmeverluste. Vuelta-Direktor Javier Guillen gab eine Budgetreduzierung um circa 30 Prozent an - bei gleichzeitig Zusatzausgaben von 5 bis 7 Prozent für Hygienemaßnahmen. Darauf muss sich der Sport wohl auch im kommenden Jahr einrichten: Geringere Budgets und Zusatzkosten wegen Covid-19. Insgesamt wirkt der Profiradsport aber robuster als zu Beginn der ersten Pandemiewelle im Frühjahr angenommen. Pragmatisch wird daher auch der Blick in die kommende Saison gerichtet.
Quick-Step-Chef Brian Holm: "Vielleicht werden ein paar Rennen abgesagt oder ein paar Etappen nicht gefahren. Aber die gesamte Struktur wird wohl dieselbe sein. Dieses Jahr haben wir es geschafft, warum sollen wir das nicht auch nächstes Jahr können?"
Langzeitfolgen von Convid-19 ungeklärt
Seinen Fahrern legt Holm jedenfalls nahe, schnell mit dem Aufbautraining für die nächste Saison zu beginnen. Nach der jetzt spät zu Ende gehenden Vuelta und dem Saisonende Anfang November. Ungeklärt sind bislang allerdings die Langzeitfolgen von Covid-19-Erkrankungen auf die Organsysteme von Herz und Lunge bei Ausdauerathleten.
Für einen verantwortungsbewussten Rennbetrieb müssen da belastbare Erkenntnisse kommen. Und kaum absehbar ist, wie gut vermittelbar Profisport in Ländern ist, deren Regierungen der Normalbevölkerung einen Lockdown verordnen. Auch 2021 wird also eine Saison der Ungewissheiten.