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Erler: Taliban in die politische Verantwortung mit einbinden

Ein dauerhafter Frieden in Afghanistan könne nur gelingen, wenn die Taliban an den Gesprächen beteiligt würden, meint Gernot Erler (SPD). Am Ende solcher Verhandlungen müssten die Taliban zwei Dinge garantieren: die Anerkennung der afghanischen Verfassung und die Trennung von El Kaida.

Gernot Erler im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Ende 2014 sollen die internationalen Kampftruppen aus Afghanistan abgezogen sein, so viel steht fest. Genauso klar aber ist, dass damit noch kein Frieden herrscht. Das hat der jüngste Anschlag mit zahlreichen Todesopfern vorgestern gezeigt. Experten fordern deshalb schon lange, es führt kein Weg an Verhandlungen mit den radikal-islamischen Taliban vorbei. Die soll es jetzt tatsächlich geben. Ein erstes Gespräch, das offenbar für gestern angesetzt war, fand allerdings nicht statt. Der afghanische Präsident Karsai fühlt sich von den USA komplett übergangen und hat auch die Verhandlungen mit Washington über ein neues Truppenstatut abgebrochen. – Telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt Gernot Erler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Schönen guten Morgen, Herr Erler.

    Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Mit Terroristen zu verhandeln, ist das nicht eine komplette Bankrotterklärung?

    Erler: Das ist nicht ganz neu. Es wird schon länger verhandelt, aber in geheimen Gesprächen. Diese Woche kennzeichnet jetzt eine wirklich neue Lage in doppelter Hinsicht in Afghanistan. Einmal ist die sogenannte Transition, also die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte von den internationalen, jetzt vollendet. Das heißt, Karsai, der Präsident, verfügt jetzt über die volle Verantwortung in der Sicherheit im ganzen Land. Und nicht ganz zufällig, parallel dazu sollen jetzt offizielle Gespräche stattfinden, also nicht mehr Geheimgespräche, und dafür ist extra von den Taliban in Doha in Katar ein Verbindungsbüro eröffnet worden.

    Heckmann: Und diese Gespräche, Herr Erler, sind die nicht ein Beleg dafür, dass der Krieg in Afghanistan einfach nicht zu gewinnen ist?

    Erler: Diese Gespräche sind ja nicht plötzlich entstanden, sondern die sind schon lange geplant. Das heißt, es ist schon länger klar, dass am Ende ein Kompromiss mit den Taliban stehen würde. Das Schwierige und Ungewöhnliche ist, dass hier Gespräche jetzt demnächst geführt werden, während gleichzeitig weiter gekämpft wird. Die Gespräche beziehen sich also nicht in erster Linie darauf, dass man irgendwie die Kämpfe beendet, sondern man sucht eine politische Lösung für die Zukunft in Afghanistan, um die Taliban-Kräfte und damit natürlich die Kämpfer, die immer noch vorhanden sind, auch in politische Verantwortung einzubinden. Am Ende könnte dann auch ein Ende der Anschläge stehen.

    Heckmann: Aber, Herr Erler, jahrelang wurde uns gesagt, dass die Taliban der El Kaida Heimstatt gegeben haben, ohne die die Anschläge vom 11. September übrigens nicht denkbar gewesen wären. Tausende haben ihr Leben verloren, darunter zahlreiche Bundeswehrsoldaten. Wie wollen Sie das eigentlich jemandem erklären, der seinen Angehörigen verloren hat, dass es jetzt Verhandlungen mit den Taliban geben soll?

    Erler: Ich gebe zu, dass das nicht einfach ist, aber man muss dazu die Bedingungen kennen hier von diesen Gesprächen, beziehungsweise die Bedingungen für mögliche Ergebnisse dieser Gespräche. Es ist bisher gemeinsame Position sowohl von der internationalen Schutztruppe, von den Amerikanern wie der Regierung Karsai, dass diese Gespräche nur darauf hinauslaufen können, Vereinbarungen mit Taliban zu treffen, die zwei Dinge erfüllen, nämlich die Anerkennung der afghanischen Verfassung und eine Trennung von der El Kaida Organisation. Das sind die Vorbedingungen für irgendwelche Ergebnisse dieser Gespräche.

    Heckmann: Es hat aber jetzt vorgestern einen schweren Anschlag gegeben, obwohl ganz offenbar diese Gespräche ja angesetzt gewesen sind. Sind denn Verhandlungen vorstellbar, während dann in Afghanistan selbst, im Land selbst ständig Bomben hochgehen?

    Erler: Ja ich sagte eben, das ist genau das Besondere und Ungewöhnliche an diesen Gesprächen, dass man damit rechnen muss, dass es nicht sofort zu irgendeiner Beendigung der Kämpfe und der Anschläge kommt. Die Taliban stehen allerdings unter einer Schwierigkeit: Bisher hatten sie ein durchaus wirksames Argument in Afghanistan, nämlich dass sie einen Kampf gegen ausländische Okkupanten führen. Mit der vollständigen Übergabe der Sicherheitsverantwortung an Kabul, also an die afghanische Seite, ist das immer mehr ein Kampf gegen die eigenen Stammesbrüder, und das ist natürlich in keiner Weise so populär, wie das andere gewesen ist. Das heißt, auch die Taliban haben hier ein Problem, und deswegen sind sie offenbar auch bereit, jetzt nicht nur in geheimen Verhandlungen, sondern auch ganz offiziell für Gespräche bereitzustehen.

    Heckmann: Worum geht es denn den Taliban, um eine Friedenslösung im Land, oder um die eigene internationale Anerkennung?

    Erler: Ich glaube, das ist herauszufinden bei diesen Gesprächen. Ich glaube nicht, dass diese Frage irgendjemand beantworten kann. Wir wissen da sehr wenig darüber. Wir wissen auch nicht mal ganz genau, wer da der Spitzenmann ist dahinter, ob das immer noch Mullah Omar ist, oder wer auch immer. Das wird sich möglicherweise erst nach längeren Gesprächen herausstellen, wie die Strukturen eigentlich im Hintergrund sind.

    Heckmann: Herr Erler, der afghanische Präsident Karsai, der hatte ja bereits selbst auch Verhandlungen mit den Taliban angekündigt. Jetzt wollten die USA offenbar erste und auch eigene Schritte gehen und Karsai zieht daraufhin seine Bereitschaft zu Verhandlungen zurück. Was ist denn da eigentlich schief gelaufen?

    Erler: Da sind offensichtlich zweierlei Dinge schief gelaufen. Zum einen hat es ganz offensichtlich keine richtigen Absprachen zwischen den Vereinigten Staaten und dem immer ziemlich sensiblen Präsidenten Karsai gegeben – darüber, wer eigentlich diese Gespräche leiten soll.

    Heckmann: Wie kann das sein, dass es da keine Abstimmung gibt?

    Erler: Das ist durchaus möglich, dass das nicht funktionierte, weil man vielleicht wieder diese Empfindlichkeit von Karsai hier unterschätzt hat. Und es ist noch etwas zweites in Doha schief gegangen, denn die Taliban haben da ein Büro eröffnet, was den Namen des früheren, des sogenannten islamischen Emirats Afghanistan trug, also des offiziellen Namens des Taliban-Staates zwischen 1996 und 2001. Das Schild ist inzwischen wieder abmontiert, die Fahne der Taliban ist auch eingeholt. Also da ist auch etwas schief gegangen und das hat natürlich die Regierung in Kabul auch in Harnisch gebracht, denn das sah so aus, als ob da praktisch eine Art Exilregierung etabliert wird mit einer Vertretung. Das ist natürlich kein guter Start für die Verhandlungen, die jetzt auch zunächst einmal verschoben worden sind, obwohl eine amerikanische Delegation schon vor Ort ist in Doha.

    Heckmann: Dass die USA jetzt ganz offensichtlich so aufs Tempo gedrückt haben, ist das ein Zeichen dafür, dass Washington einfach nur noch raus will aus dem Land, egal wie, unter Gesichtswahrung wenigstens?

    Erler: Ich würde nicht sagen, egal wie, sondern das ist ein Zeichen dafür, dass Präsident Obama wirklich entschlossen ist, diesen Krieg in der Form zu beenden, wie es jetzt seit längerer Zeit geplant ist. Sie hatten das am Anfang gesagt: bis Ende 2014 soll es keine Kampfhandlungen mehr geben und auch keine für Kampfhandlungen vorbereitete und beauftragte Truppen mehr vor Ort. Das betrifft ja auch das deutsche Kontingent. Wir haben im Augenblick allerdings noch fast 100.000 Soldaten aus dem Ausland in Afghanistan. Aber diese letzte Phase, die beginnt jetzt ganz offensichtlich mit der Übergabe der Verantwortung an Kabul für die Sicherheit und eben mit diesen offiziellen Verhandlungen, wenn sie denn jetzt tatsächlich beginnen.

    Heckmann: Diese Gespräche mit den Taliban, die machen ja im Prinzip nur Sinn, wenn am Ende auch eine Beteiligung der Taliban an der Regierung steht. Was kommt da auf die Menschen in Afghanistan zu?

    Erler: Ja das ist Gegenstand natürlich auch der Verhandlungen, denn die Taliban werden möglicherweise ihrerseits Bedingungen stellen. Die Bedingungen, die von der anderen Seite gestellt werden, habe ich gerade schon genannt. Was wir nicht wissen ist, in welcher Weise die Taliban Bedingungen stellen, was die gesellschaftlichen Grundlagen eines künftigen Afghanistans sind, welche Rolle da die Scharia führen soll, welche Zugeständnisse gemacht werden, was die Bildung gerade auch von Mädchen, von Frauen, die Rolle von Frauen in der Gesellschaft angeht. Das wird ganz, ganz schwierig werden, weil sich hier in Afghanistan auch eine neue Realität etabliert hat, wo ich mir nicht vorstellen kann, dass das einfach durch Verhandlungen wieder zurückgedreht werden kann.

    Heckmann: Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, war das über die Frage, ob und wie mit den Taliban Verhandlungen geführt werden können. Herr Erler, danke Ihnen für die Zeit, die Sie sich genommen haben.

    Erler: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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