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Erler Winterfestspiele
Biederer Mozart und feuriger Puccini

Bei den Tiroler Festspiele Erl zeigt Gustav Kuhn Mozarts "Don Giovanni" und Puccinis "Tosca" und legt dabei wieder besonderen Wert auf Werktreue. Die Qualität der Premieren war aber ziemlich unterschiedlich.

Von Jörn Florian Fuchs |
    Der österreichische Dirigent und Regisseur Gustav Kuhn. Spätestens mit den von ihm 1997 gegründeten Tiroler Festspielen in Erl am Inn ist Kuhn weit über die Grenzen seiner Heimat hinaus bekannt.
    Der österreichische Dirigent und Regisseur Gustav Kuhn (picture alliance / dpa / Tom Benz)
    Wer sommers wie winters nach Erl fährt, der tut dies, um große Werke der Opernliteratur möglichst unverfälscht zu erleben. Dieser Erler Stil ist mittlerweile sehr populär. Gemeint ist Werktreue im sehr speziellen Sinn. Bei den Partituren sind Striche verpönt, inszeniert wird brav vom Blatt, man verzichtet auf verwirrende Regieeinfälle. Diesen Winter stehen Mozarts "Don Giovanni" und Puccinis "Tosca" auf dem Spielplan. Die Qualität der Premieren war ziemlich unterschiedlich.
    Beim "Don Giovanni" kippt das brave Nachbuchstabieren der Vorlage leider ins Biedere. Hin- und herverschobene Wände, die an unruhig gemasertes Shisham-Holz erinnern, sorgen für deutlich mehr Bewegung als die meist an der Rampe verharrenden Protagonisten, die sich mit Allerweltsgesten oder albernem Händchenhalten durchschlagen müssen. Über allem hängt eine große weiße Kugel, die sich ein wenig ruckelnd mal runter, dann wieder rauf bewegt. Um sie herum ist ein filigranes Viereck aus Stäben gespannt. Mal steckt die Kugel da drin, mal senkt sich das Geviert und begrenzt den ohnehin engen Spielraum einiger Sänger nochmals. Was soll das? Wollte Kuhn in diesem Ambiente eigentlich "Norma" aufführen? Oder handelt es sich schlicht um vergessenen Christbaumschmuck? Statt der Höllenfahrt des Erotomanen gibt es ein gediegenes Konversationsstück ohne Ecken und Kanten, dafür mit viel Leerlauf und Langeweile. Das ist sehr schade, denn Kuhn hat ein formidables Ensemble zusammengestellt. Lucio Gallo singt den Titelhelden mit angemessener vokaler Tragik, Anna Princeva verleiht Donna Anna wundervoll trauerumflorten Charme, Yasushi Hiranos Leporello beherrscht nicht nur Kabinettstückchen wie die berühmte Registerarie. Das junge Paar Masetto & Zerlina ist mit Frederik Baldus und Sophie Gordeladze famos besetzt, man hört zwei sehr lebendige, unverbrauchte Stimmen. Lenka Radeckys Kostüme schwanken zwischen Edelcouture und Tiroler Tracht. Masetto, Zerlina und der Chor etwa sind eindeutig aus der Gegend. Während auf der Bühne vorwiegend Stehtheater stattfindet, dirigiert im Graben der Maestro ein zeitweise technisch schlampiges Festspielorchester. Tempi und Dynamik lassen immer wieder zu wünschen übrig, unsinnlicherweise werden die Rezitative meist von Flügel und Cello, oft auch nur vom Bösendorfer begleitet. Die Klimperei hat rasch sedierende Wirkung.
    Wer dagegen bei der zweiten Festspielpremiere, Puccinis "Tosca", schlafen kann, der muss wirklich sehr übermüdet sein. Hier gibt es endlich wieder Kuhn vom Besten! Ein rauschhafter Malstrom reißt alle mit, kraftvollem Breitwandsound stehen fein gearbeitete Details gegenüber. Was eben noch gleißender Streicherschmelz war, wird urplötzlich zu wütendem Tuttischmerz, bei dem das Festspielhaus mitsamt seinen Insassen abzuheben scheint!
    Exzellent auch hier die Sänger: Rossana Potenzas glutvolle Floria Tosca, Giulio Boschettis präzise drohender Scarpia und vor allem Bruno Ribeiros höhensicherer und tiefenschöner Cavaradossi sorgen für Hochstimmung.
    Ausnahmsweise inszeniert Gustav Kuhn mal nicht selbst, eine durchaus gute Entscheidung. Denn Angelica Ladurner zeigt das Stück in klaren Bildern, mit sauberer Personenführung.
    Man sieht angeschrägte Wandteile, vor oder hinter denen agiert wird. Der erste Akt hat nicht erst beim berühmten "Te Deum" stark oratorischen Charakter, zunehmend regelt Ladurner die Temperatur hoch bis zum packenden Finale. Unter die Haut geht besonders, wie Tosca ihrem toten Geliebten Kerzen und Kreuz herrichtet, bevor ihre Häscher kommen.
    Elegant gelöst wird außerdem ein generelles Inszenierungsproblem. Nachdem Tosca ihren Cavaradossi am Ende verloren hat, begeht sie ja eigentlich Selbstmord. Hier nun steigt sie auf eine Treppe und wird von einer Marienfigur in Empfang genommen. Maria tauchte schon vorher mehrfach auf, es handelt sich um die kleine Partie des Hirten, die Ladurner sinnvoll aufwertet. Da hat dann letztlich doch das verrufene Regisseurstheater in Erl Einzug gehalten. Zum Glück!