Christiane Kaess: Die Wehrmacht sei in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr. Dass die Verteidigungsministerin das klarstellen muss, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, das zeigt schon, wie tief das Entsetzen sitzt über den Fall des rechtsextremen Bundeswehrsoldaten Franco A., der ein Doppelleben als syrischer Flüchtling führte und einen Anschlag geplant haben soll. Seitdem er aufflog, ist die Verteidigungsministerin im Krisenmodus. In der Bundeswehr ist man sauer über ihre Kritik an der Truppe, die vielen zu pauschal war, und aus der Opposition heißt es, Ursula von der Leyen betreibe jetzt Selbstinszenierung. Um den Fall des terrorverdächtigen Franco A. kommen immer mehr Einzelheiten ans Licht.
Darüber sprechen möchte ich mit Henning Otte. Er ist verteidigungspolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Otte.
Henning Otte: Guten Morgen, Frau Kaess.
"Die Tatsache allein, dass tausend Schuss Munition fehlen"
Kaess: Wir haben es gehört: Bei einem mutmaßlichen Komplizen von Franco A. ist Munition aus Bundeswehrbeständen gefunden worden. Können Sie erklären, wie so etwas passieren kann?
Otte: Das kann ich mir nicht erklären. Aber dass die Tatsache stimmt und dass das tausend Schuss sein sollen verschiedenen Kalibers zeigt, wie brisant die Sache ist und dass es richtig war, dass die Leitung des Bundesverteidigungsministeriums dies deutlich angesprochen hat.
Kaess: Und das zeigt auch, dass man offenbar keine Kontrolle über die Munition bei der Bundeswehr hat.
Otte: Wie das im Einzelfall sich vollzogen hat, muss man prüfen. Offensichtlich gab es dort ein Sonderschießen. Ob die Munition dann verschossen worden ist oder beiseite geräumt, das gilt es zu klären.
Kaess: Was heißt Sonderschießen?
Otte: Dass eine Schießübung durchgeführt worden ist und hierbei Munition verbraucht worden ist, oder der Anschein erweckt worden war, dass Munition verbraucht worden sei, was am Ende nicht stimmt. Das muss geprüft werden. Die Tatsache allein, dass tausend Schuss Munition fehlen, berechtigt, die Untersuchung durchzuführen, wie die Ministerin dies auch angeregt hat.
Kaess: Aber das heißt, wenn ich das richtig verstehe, bei so einem Sonderschießen, da wird unkontrolliert Munition ausgegeben. Das ist üblich so, oder wie muss man sich das vorstellen?
Otte: Nein, das ist überhaupt nicht üblich. Hier hat offensichtlich die Dienstaufsicht nicht funktioniert und dieser Punkt muss angesprochen werden. Das reiht sich ein in diesen Vorfall Oberleutnant A., eine Doppelidentität, ein unberechtigter Waffenbesitz, jetzt Munitionsfunde im Umfeld. Also hier ist ganz klar, die Bundesanwaltschaft ermittelt, die Bundeswehr ermittelt, und das ist gut.
"Hier sind klar rechtsradikale Strömungen festgestellt worden"
Kaess: Was werden Sie in Ihrer Position mit dieser Information jetzt anfangen?
Otte: Es ist so, dass wir zu jeder Zeit als Sprecher im Parlament unterrichtet werden, zum Schluss jetzt Dienstagabend. Das Ministerium hat gesagt, wir werden weiterhin telefonisch unterrichtet. Also wir sind hier gut aufgeschaltet. Aber hier muss man erst mal die Ermittlungen abwarten.
Kaess: Aber nach allem, was bekannt ist, Herr Otte, war es ja so, was vorher schon an Informationen auf den Markt gekommen ist, dass die rechtsradikale Einstellung von Franco A. von Vorgesetzten zumindest heruntergespielt wurde. Haben Sie denn schon herausgefunden im Verteidigungsausschuss, wer das war?
Otte: Es ist ja die Masterarbeit untersucht worden. Hier sind klar rechtsradikale Strömungen festgestellt worden. Und hier hat man dann Franco A. eine zweite Chance gegeben. Das ist zu verurteilen, das hätte angesprochen werden müssen, das hätte gemeldet werden müssen, und hier ist jetzt ein Verwaltungs-Ermittlungsverfahren eingeleitet worden gegen den damaligen entsprechenden Dienstvorgesetzten.
Kaess: Das heißt, die Verantwortlichen sind klar zu benennen?
Otte: Die Verantwortlichen sind klar zu benennen und das wird auch angesprochen, ganz klar.
"Das ist hier ein Einzelfall"
Kaess: Und welche Konsequenzen wird das für die jetzt haben?
Otte: Das muss man sehen. Das kann ich am Telefon nicht beurteilen. Das muss nachher der Bericht im nächsten Verteidigungsausschuss deutlich machen. Das wäre jetzt ein Schuss ins Dunkle.
Kaess: Franco A. ist seit Jahren mit diesem rechtsextremen Gedankengut aufgefallen. Auch das wissen wir mittlerweile. Aber mehr als Verwarnung hat es nicht gegeben. Im Fall dieser Munitionsentwendung haben Sie jetzt gerade gesagt, da hat die Dienstaufsicht versagt. Für welche Mentalität in der Bundeswehr spricht das eigentlich?
Otte: Das spricht für keine allgemein verbindliche Mentalität. Das ist hier ein Einzelfall, der genau
Kaess: Ein Einzelfall, wenn wir jetzt schon so viele verschiedene Fälle in diesem einzelnen Fall haben?
Otte: Nein! Es geht immer um den Oberleutnant A.
"Vielleicht ein Mehr-Augen-Prinzip einführen"
Kaess: Aber es geht um verschiedene Vorgesetzte, die offenbar ihre Pflicht nicht erfüllt haben.
Otte: Das kann ich nicht so bestätigen. Es gibt einen Dienstvorgesetzten, der die klare Radikalität in der Masterarbeit nicht entsprechend gewertet hat. Hier hätte man ein klares Stopp sagen müssen. Das ist nicht passiert und dagegen wird jetzt ermittelt auch.
Kaess: Und es ist mehreren schon aufgefallen, dass Franco A. seit Jahren rechtsextremes Gedankengut pflegt, und bei der Munitionsentwendung, also eine weitere Geschichte in der Geschichte, haben Sie jetzt gerade selber gesagt, da hat die Dienstaufsicht versagt. Das sind doch schon mehrere Vorgesetzte, die versagt haben.
Otte: Das zeigt ja gerade, dass dieser Fall genau untersucht werden muss, dass man nicht wegschauen darf, dass man es nicht verniedlichen darf und dass wir uns überlegen müssen bei der Wehrdisziplinarordnung, welche Änderungen müssen wir durchführen, vielleicht ein Mehr-Augen-Prinzip einführen.
"Der übergroße Anteil der Bundeswehr leistet einen tadellosen Dienst"
Kaess: Würden Sie der Verteidigungsministerin recht geben, wenn sie sagt, die Bundeswehr hat ein Haltungsproblem und Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen?
Otte: Die Bundesministerin hat in der Führungskräfte-Veranstaltung gestern ganz deutlich klargestellt, dass der übergroße Anteil der Bundeswehr – das ist eine Viertel Million Frauen und Männer – einen tadellosen Dienst leisten, dass aber, wenn im Einzelfall Fehlleistungen sind, dies nicht das Bild der Bundeswehr bestimmen darf, sondern es muss genau da hingeguckt werden, es müssen die Ermittlungen durchgeführt werden und es müssen auch die Dinge klar angesprochen werden, und das macht sie.
"Was die Frau Ministerin macht, ist richtig"
Kaess: Dennoch ist sie heftiger Kritik ausgesetzt. Warum kommt da eigentlich so wenig Unterstützung aus der eigenen Partei?
Otte: Weil wir sagen, dass was die Frau Ministerin macht, ist richtig. Sie darf nicht wegschauen, sie muss das ansprechen. Die Opposition und insbesondere unser Koalitionspartner macht hier einen großen Auftrieb, kurz vor der Landtagswahl, verniedlicht die Rechtsradikalität. Dass die SPD auf dem linken Auge politisch blind ist, da hat man den Anschein. Aber dass sie jetzt auch auf dem rechten Auge blind ist, das verstehe ich nicht.
Kaess: Diese Stimmen gibt es ja genauso aus der CDU. Ich nenne mal eine: Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl, der hat auch von der Leyen kritisiert und das, was sie gesagt hat, der Fall Franco A. zeige offenbar ein grundsätzliches Problem bei der Bundeswehr. Und Strobl sagt dazu, das ist nicht die Bundeswehr, die ich kenne, sondern das sind einzelne Fälle, die muss man aufklären, aber wir haben mit der Bundeswehr eine gute Truppe. Das hört sich anders an als das, was die Verteidigungsministerin sagt.
Otte: Nein. Die Verteidigungsministerin sagt sehr deutlich, der übergroße Anteil leistet einen tollen Dienst, und dort, wo Verfehlungen im Einzelfall sind, muss dies angesprochen werden und vor allem muss angesprochen werden, dass wir die Dienstaufsicht hier verbessern müssen. Das stärkt die Truppe nach innen wie nach außen.
"Ich sehe keine Gefahr im Verzuge"
Kaess: Aber ist die Union da vielleicht etwas unkritisch mit der Bundeswehr, wenn selbst der Generalinspekteur Volker Wieker davon spricht, dass die Selbstreinigungskräfte in der Bundeswehr unzureichend sind?
Otte: Die Union ist nicht unkritisch, aber sie ist sachlich. Sie macht nicht mit beim Klamauk, sondern sie sagt, das muss ordentlich aufgeklärt werden, hier müssen notwendige Konsequenzen gezogen werden, und dann muss vor allem wieder Ruhe in die Bundeswehr kommen.
Kaess: Jetzt fordern Grüne und Linke, dass Verteidigungsministerin von der Leyen im Verteidigungsausschuss befragt werden soll, um so herauszufinden, ob Fehler schon früher gemacht worden sind. Unterstützen Sie das?
Otte: Ich unterstütze, dass das Bundesverteidigungsministerium einen Bericht abgibt in der nächsten ordentlichen Verteidigungsausschuss-Sitzung. Aber jetzt eine Sondersitzung zu fordern, halte ich für nicht notwendig. Es gibt keine Beschlussnotwendigkeit. Die Sprecher aller Fraktionen sind zu jeder Zeit umfassend informiert, der parlamentarische Kontrollrat, und ich sehe keine Gefahr im Verzuge.
"Dem Wehrbeauftragten ist offensichtlich nichts aufgefallen"
Kaess: Aber es stellt sich ja schon die Frage, ob die Verteidigungsministerin nicht schon früher etwas hätte tun müssen gegen rechtsextreme Tendenzen in der Bundeswehr.
Otte: Auf der einen Seite wirft man ihr vor, sie sei zu aktiv; auf der anderen Seite wirft man ihr vor, sie hätte früher reagieren müssen.
Kaess: Das ist jetzt meine Frage an Sie. Wie sehen Sie es denn?
Otte: Ich sehe es so, dass sie unmittelbar nach Kenntnis der Sachlage reagiert hat. Ich darf mal darauf hinweisen: Der Wehrbeauftragte war schon am 5. April am Standort Illkirch. Dem ist offensichtlich nichts aufgefallen. Da hätte ich auch sofort mal eine Information an das Parlament erwartet.
Kaess: … sagt Henning Otte. Er ist verteidigungspolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
Otte: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.