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Ermittlungen gegen FIFA
"Neuausrichtung der FIFA gibt es nur ohne Sepp Blatter

Im Zuge der Ermittlungen gegen die FIFA sei noch viel zu erwarten, sagte "SZ"-Journalist Thomas Kistner im DLF. Die jetzigen Ereignisse seien "wirklich nur der Anfang". Eine Neuausrichtung der FIFA gibt es aus seiner Sicht jedoch nur ohne den jetzigen Präsidenten Sepp Blatter.

Thomas Kistner im Gespräch mit Daniel Heinrich |
    Der Journalist Thomas Kistner
    Der Journalist Thomas Kistner (imago stock & people)
    Daniel Heinrich: Am Telefon begrüße ich jetzt Thomas Kistner, Sportredakteur der "Süddeutschen Zeitung" und Autor des Buches "Die FIFA-Mafia". Herr Kistner, diese Razzien zwei Tage vor der Wahl zum neuen FIFA-Präsidenten, das kann doch eigentlich kein Zufall sein, oder? Wer hat denn da im Hintergrund die Strippen gezogen?
    Thomas Kistner: Zufall ist es schon deswegen nicht, weil die US-Bundespolizei FBI und auch die Schweizer Behörden natürlich einen Zeitpunkt abwarten mussten, bei dem sich so ein Zugriff lohnt. Hätte man irgendeinen von diesen Funktionären zu irgendeinem Zeitpunkt in seinem Land abgegriffen, dann wäre das natürlich sofort wie ein Lauffeuer rumgegangen und es wäre da keiner mehr rausgegangen, zumindest in kein Land mehr gereist, in dem ihm der Zugriff droht. Also muss man es bei so einer Gelegenheit machen, wo alle zusammenkommen, und das ist jetzt eben hier der Fall.
    "Das ist wirklich nur der Anfang"
    Heinrich: Insgesamt sieben Funktionäre hat man ja festgenommen aus den unterschiedlichsten Ländern. Jeffrey Webb zum Beispiel, der Stellvertreter von Sepp Blatter. Was droht denen denn jetzt?
    Kistner: Da ist sicherlich der eine oder andere mit Freiheitsstrafen bedroht, denn sonst würde sich dieser gigantische Aufwand zum einen und auch die großen Zahlen, die da genannt werden von den Amerikanern, ja gar nicht lohnen.
    Man muss allerdings sehen, dass das wirklich nur der Anfang ist. Das ist jetzt gerade mal das, was die Amerikaner als Erstes, auf die Schnelle, in ihrem amerikanischen Umfeld, also Südamerika, Mittelamerika und Nordamerika zusammengepackt haben. Es geht weiter.
    Wir dürfen eines bei der ganzen Geschichte nicht vergessen: Die Ermittlungen grundsätzlich in den USA laufen über die Stelle Organisierte Kriminalität in Eurasien, und da ist auch schon ein bisschen der Weg nach Europa und nach Asien vorgegeben, insbesondere in die Richtung Russland und frühere Sowjet-Staaten. Und da ist also wirklich noch viel zu erwarten. Und das Ganze kann wirklich nur als Anfang jetzt betrachtet werden.
    "Sepp Blatter kann gar nicht entspannt sein"
    Heinrich: Gerade mal ein Anfang, haben Sie gesagt. Der FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke hat heute davon gesprochen, Sepp Blatter sei angesichts der Entwicklungen entspannt und mache sich keine Sorgen. Glauben Sie ihm das?
    Kistner: Ich frage mal mit den FBI-Agenten, die sich seit Jahren mit der FIFA befassen, was darf man überhaupt glauben an öffentlichen Mitteilungen zur eindeutigen Situation, die von der FIFA gemacht werden. Das ist natürlich Unfug. Niemand kann sich vorstellen, dass Sepp Blatter entspannt ist in dieser Lage, sondern ganz im Gegenteil: Im Wissen darum, dass dies erst der Anfang ist, und damit auch in der Unwissenheit, wo es vielleicht noch hinführen kann, zum einen, aber zum anderen auch im Bewusstsein, dass er ja der politisch Hauptverantwortliche ist für diese gewaltige ethische Schieflage der FIFA, kann er gar nicht entspannt sein. Und insbesondere ist er es nicht im Hinblick auf den Wahlkongress am Freitag. Sepp Blatter lässt jetzt alle Drähte glühen im Land, über die Behörden, über die Politik, mit der er ja sehr gut verbandelt ist hier in der Schweiz, aber natürlich auch sportpolitisch, und von Entspannung kann sicherlich keine Rede sein.
    "Die entscheidende Frage ist, was machen die Großen"
    Heinrich: Sie haben die politische Verantwortung gerade angesprochen. Es ist ja nicht der erste Skandal unter Blatter. Müsste der jetzt nicht langsam mal selber den Hut nehmen?
    Kistner: Ja selbstverständlich müsste er das. Das ist ja guter Brauch so überall da, wo Compliance-Regeln gelten. Angeblich gibt es so was ja auch in der FIFA, das ist natürlich auch Politur, was da gemacht wurde in den vergangenen Jahren, das war immer wieder erkennbar.
    Also Sepp Blatter betrachtet die FIFA als seine Familie, und viele Mitglieder dieser seltsamen Familie betrachten ihn ja auch in der Tat als ihren Patriarchen. Ich meine damit insbesondere die kleinen und Kleinststaaten, die gar keinen Fußballbetrieb haben, aber die gleiche Stimme im Parlament. Also, von Vanuatu bis über die Malediven die gleiche Stimme im Parlament haben wie der Deutsche Fußballbund mit sieben Millionen organisierten Mitgliedern.
    Also die entscheidende Frage ist, was machen die Großen, was macht der DFB, was macht der britische Verband FA und diese Kaliber? Werden die es hinnehmen, wenn am Freitag wirklich gewählt werden sollte und die Vertreter von Guam bis Guinea ihnen erneut Sepp Blatter mit 79 Jahren dann aufs Auge drücken, oder wird es jetzt endlich mal Widerstand geben?
    Heinrich: Es gibt ja auch einen Gegenkandidaten am Freitag, und zwar den jordanischen Prinz Ali Bin al-Hussein. Der hat bisher wenig Chancen gehabt. Haben sich jetzt dessen Chancen erhöht?
    Kistner: Das ist schwierig zu sagen, weil normalerweise das ganze Stimmvolk, das traditionell für Sepp Blatter, den Amtsinhaber, der mit den Entwicklungsgeldern hantieren kann, wohlgemerkt, natürlich traditionell auf diese Figur geeicht sind. Aber ich glaube, es ist nicht wichtig, wie die Wahl, wenn es denn eine gibt am Freitag, ausgeht.
    Man kann jetzt doch ziemlich sicher sein, dass es die Ära Sepp Blatter zumindest nicht noch mal über vier Jahre geben wird. Und vielleicht ist es sogar die eleganteste Lösung, wenn er noch mal ins Amt gewählt würde. Weil die Europäer dürfen sich das nicht gefallen lassen, zum einen, und der öffentliche Druck insbesondere, aber auch die Sponsoren werden sicherlich dafür sorgen müssen, dass es hier nicht noch mal eine Vier-Jahres-Amtszeit gibt. Und dann dürfen wir nicht vergessen, die Ermittlungen haben gerade erst begonnen, und da wird es sicherlich auch noch das eine oder andere weiterführen, also über das hinaus, was bisher geschehen ist.
    Heinrich: Heute kam dann auch heraus, dass bei der Vergabe der WM 2010 in Südafrika illegal Gelder geflossen sind. Vor dem Hintergrund: Muss man denn jetzt nicht auch über eine Neuvergabe der WM 2018 in Russland und Katar dann 2022 nachdenken?
    Kistner: Da laufen ja die Ermittlungen bereits, und wenn hier was zutage gefördert wird, und das könnte ja durchaus sein, und wenn man sich diese Vergabe anschaut, dann steht das natürlich zur Diskussion. Es kann nicht hingenommen werden, wenn in dem Moment, wo Beweise auf dem Tisch liegen für Korruption bei der einen oder anderen oder auch bei beiden Vergaben, dann muss natürlich reagiert werden, denn sonst wird es sehr teuer, weil natürlich alle anderen, die damaligen Mitbewerber dann im Ring stehen werden und Wiedergutmachung fordern.
    "FIFA wird ein langer und schmerzlicher Prozess bevorstehen"
    Heinrich: Jérôme Valcke hat heute davon gesprochen, dass die Ereignisse gut seien für die Transformation der FIFA. Kann das denn heute wirklich zu einer Neuausrichtung führen, was da heute passiert ist?
    Kistner: Neuausrichtung der FIFA gibt es nur ohne Sepp Blatter und ohne das System Sepp Blatter, das sich über diese dreieinhalb Jahrzehnte da etabliert hat. Insofern gibt es eine Erneuerung in der FIFA überhaupt nur, wenn wirklich völlig andere Leute, also jetzt auch kein Folgepräsident von Blatters Gnaden das Regime übernimmt, sondern wenn wirklich von Grund auf eine andere Regentschaft da einzieht. Das ist im Moment so weit nicht zu sehen, und deswegen wird der FIFA da noch ein langer und schmerzlicher Prozess bevorstehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.