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Ermittlungen gegen Innenminister Salvini
"Salvini sieht sich ein bisschen als Märtyrer"

Die italienische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Innenminister Matteo Salvini wegen Freiheitsberaubung. Doch das schade ihm nicht. Er gewinne sogar stark an Popularität, sagte der Italien-Experte Roman Maruhn im Dlf. Er sei "ein politischer Rowdy" und spiele bewusst mit einer Verurteilung, so Maruhn.

Roman Maruhn im Gespräch mit Philipp May |
    Matteo Salvini mit Mikrofon in der Hand auf einer Versammlung
    Auch wenn Salvini mit seinem Verhalten erfolgreich seine Klientel bediene, richte er damit innenpolitischen Schaden an, sagte Roman Maruhn im Dlf. (ANSA)
    Philipp May: Sprechen wir noch mal über Italien. Matteo Salvini, der Innenminister hatte sich tagelang geweigert, Flüchtlinge von Bord eines Schiffs der italienischen Küstenwache, der Diciotti zu lassen, bevor nicht deren Verteilung geklärt ist. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Freiheitsberaubung. Doch das scheint ihn eher noch populärer zu machen bei seinen Anhängern. Darüber möchte ich jetzt mit dem Politikwissenschaftler und Italien-Experten Roman Maruhn sprechen. Guten Morgen, Herr Maruhn.
    Roman Maruhn: Guten Morgen, Herr May.
    May: Erleben wir hier gerade, wie die Bürger in Italien langsam ihren Rechtsstaat verabschieden?
    Maruhn: Das ist natürlich der Versuch der Staatsanwaltschaft, auch das Handeln der Politik, des Innenministers hier zu kontrollieren. Wir haben bei Lega und bei Movimento 5 Stelle, bei den beiden Koalitionspartnern: Das sind klare populistische Parteien, die auch extreme Forderungen haben, politisch haben, teilweise einfach Forderungen eines sogar recht kleinen Klientels bedienen. Ausländerfeindlichkeit, die Ablehnung von Einwanderung, die Ablehnung von illegaler Einwanderung war natürlich das große Schlachtpferd der Lega, mit der Matteo Salvini eigentlich steht und fällt als Person und seine Partei, und das ist ein Ziel, das er unbedingt umsetzen will und was tatsächlich in der Bevölkerung auch in vielen Teilen positiv aufgenommen wird.
    Man darf da aber nicht übersehen, dass natürlich die Behörden, die Gerichte, die Justiz, aber auch die Opposition im Parlament schon noch als Kontrollorgan da sind, auch die Medien. Dieser ganze Protest passiert nicht irgendwo in einer stillen Ecke, sondern der passiert unter großer öffentlicher Anteilnahme und auch unter großem öffentlichen Engagement. Man darf nicht vergessen, auch in Patania waren Aktivisten vor Ort aus ganz Sizilien, aus Italien. Es waren Parlamentarier der Opposition an Bord des Schiffes und haben sich einen Überblick verschafft. So schalten und walten kann der Innenminister natürlich nicht, wie er es behauptet und wie er es vielleicht sich vorstellt.
    "Überraschend, dass Salvini stark an Popularität gewinnt"
    May: Dennoch kann man durchaus sagen, dass Salvini gerade offensichtlich das macht, was die Italiener beziehungsweise was zumindest eine Mehrheit momentan möchte.
    Maruhn: Überraschend ist auf alle Fälle, dass Salvini auch in den Reihen des Movimento 5 Stelle, des Koalitionspartners stark an Popularität gewinnt, und da muss natürlich die größere Koalitionspartei Movimento 5 Stelle ein bisschen aufpassen, dass nicht der kleinere Koalitionspartner innerhalb dieser Koalition in wenigen Monaten die Mehrheitsverhältnisse umdreht und zur stärkeren Partei wird. Das ist natürlich auch die Sorge des Movimento 5 Stelle. Da geht man auch einen etwas unentschiedenen Kurs.
    Aber wie gesagt, es gibt viele Punkte hierbei, die wirklich daran zweifeln lassen, dass das ein ordnungsmäßiges Vorgehen ist, ganz jenseits von der Diskussion, ob das jetzt populistische Politik ist oder nicht. Deshalb wird auch gegen Salvini ermittelt.
    "Der politische Schaden ist auf alle Fälle da"
    May: Glauben Sie denn, das ist von Erfolg gekrönt oder es kann am Ende von Erfolg gekrönt sein, die staatsanwaltlichen Ermittlungen werden am Ende tatsächlich zu einer Anklage führen?
    Maruhn: Zu einer Anklageerhebung kann es auch kommen, aber das ist dann die Kompetenz eines speziellen Gerichts, eines Gerichts, das sich mit den Regierungsmitgliedern beschäftigt. Da wird dann das Thema unter Umständen auch wieder ins Parlament zurückgespielt, und da sind ja die Mehrheiten eigentlich ziemlich klar. Mit Matteo Salvini steht und fällt ja auch die Koalition. Deshalb ist es eigentlich rein technisch und rein parteipolitisch, rein politisch eigentlich unmöglich, dass Matteo Salvini in dieser Situation etwas passieren sollte.
    Aber der politische Schaden ist auf alle Fälle da. Es ist ja nicht so, dass jetzt alle Menschen begeistert sind, wenn gegen ein Mitglied der Regierung, gegen ein führendes Mitglied der Regierung ermittelt wird, sondern Italien ist weiterhin ein Rechtsstaat. Die Politik, die Regierung ist unter Aufsicht des Staatspräsidenten. Da gibt es eigentlich schon noch Sicherheitsgarantien, die das verhindern, dass jetzt hier eine populistische Politik hundertprozentig umgesetzt wird und durchgeschlagen werden kann.
    Salvini freut sich darüber, dass die Justiz gegen ihn ermittelt. Er ist ein politischer Rowdy, muss man auch sehen. Er sagt, soll die Justiz gerne gegen ihn ermitteln und ihn auch verurteilen. Dann sieht er sich ein bisschen als Märtyrer. Er bedient vielleicht seine Klientel, aber im Grunde genommen ist dadurch natürlich innenpolitischer Schaden entstanden.
    Rom wolle nicht, dass die Flüchtlinge "alle nur in Italien bleiben"
    May: Seine Umfragewerte steigen. Heute trifft er sich als Innenminister mit Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. Wird Italien jetzt zu einem weiteren Visegrád-Staat?
    Maruhn: Diese Diskussion ist da. Mario Monti, der ehemalige Ministerpräsident hat gesagt, er sieht es natürlich überhaupt nicht gern, dass Italien jetzt der Südstaat der Visegrád-Gruppe werden könnte. Die treffen sich, es ist eher ein privates Treffen. Natürlich hat man viele politische Gemeinsamkeiten, in der totalen Ablehnung zum Beispiel von Flüchtlingen, Flüchtlinge aufzunehmen. Andererseits haben beide natürlich ganz konkrete Positionen, was die Frage der Umverteilung von Flüchtlingen in Europa betrifft.
    Da ist Orbán ganz klar entschieden dagegen, während natürlich die Regierung in Rom ein großes Interesse hat, dass die Flüchtlinge, die in Italien ankommen, nicht alle nur in Italien bleiben. Da wäre eigentlich die Gelegenheit, dieses Thema mal zu besprechen, aber ich nehme mal an, dass man eher politische Gemeinsamkeiten betonen wird, anstatt sich da jetzt richtig auseinanderzusetzen über Sachfragen.
    Europäische Solidarität, italienische Kompetenz
    May: Herr Maruhn, letzte Frage. Viele kundige Beobachter sagen, das haben sich die anderen, die westlichen EU-Länder vor allem selber zuzuschreiben, indem sie die anfangs ja sehr hilfsbereiten Italiener mit den Bootsflüchtlingen alleine gelassen haben.
    Maruhn: Na ja, das ist ein Argument, und sicherlich hätte man das ganze Thema Schengen, dass die Außenstaaten vollkommen zuständig sind und alleine zuständig sind für Flüchtlingsbewegungen, für den Immigrationsdruck, nur weil zum Beispiel die Kernstaaten, die keine Grenzen mit dem außereuropäischen Ausland haben, sich auf eine gemütliche Situation zurückziehen können, dass eigentlich rein technisch und rein legal keine illegalen Einwanderer mehr in ihr Land reinkommen können. Aber wir dürfen nicht vergessen: Das Thema ist vielleicht ein europäisches Thema von der Betroffenheit und der Solidarität, aber es ist eine nationale Kompetenz, und da ist sie in Italien in erster Linie.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.