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Ermittlungen gegen Netzpolitik.org
Regierung soll frühzeitig informiert gewesen sein

Wer wusste wann was? Nach der öffentlichen Empörung über die Ermittlungen gegen Journalisten des Blogs Netzpolitik.org versuchen die Beteiligen, das zu klären. Und offenbar war die Bundesregierung früher eingeweiht, als sie bislang behauptet hat.

    Teilnehmer einer Demonstration von Unterstützern von Netzpolitik.org halten ein Schild hoch, auf dem "Merkel und die Detektive!" steht
    Teilnehmer einer Demonstration von Unterstützern von Netzpolitik.org halten ein Schild hoch, auf dem "Merkel und die Detektive!" steht (picture alliance/dpa/Britta Pedersen)
    Wie "Süddeutsche Zeitung", NDR und WDR nach gemeinsamen Recherchen berichten, wurde das Bundesjustizministerium am 27. Mai, also zwei Wochen nach der Einleitung des Ermittlungsverfahrens, über die Ermittlungen informiert. Auch andere Ministerien wüssten schon seit längerer Zeit von dem Fall, heißt es weiter. Erst vor wenigen Tagen hatten Regierungsvertreter noch erklärt, von dem Verfahren überrascht geworden zu sein.
    Und was wusste Hans-Georg Maaßen? Der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) verteidigte am Sonntag sein Vorgehen gegen das Durchstechen geheimer Dokumente aus seinem Hause. Zugleich ließ er einen Sprecher klarstellen, dass die Anzeigen nicht gegen Journalisten, sondern gegen Unbekannt gerichtet waren. Dass es sich tatsächlich nur um eine Anzeige gegen "Unbekannt" handelt, stellt der Bericht des Rechercheverbunds infrage. In den Akten des Landesverrats-Verfahrens gibt es demnach Hinweise, dass Maaßen das Verfahren gezielt gegen Journalisten in Gang gebracht hat.
    Für den Grünen-Innenpolitiker Volker Beck, der noch am Samstag im Deutschlandfunk nach dem Urheber der "Schnapsidee" der Ermittlungen gefragt hatte, hat Maaßen damit desinformiert.
    Die Bundesanwaltschaft erklärte indes, sie habe aufgrund der Strafanzeigen des BfV wegen der Veröffentlichung von geheimen Dokumenten auf Netzpolitik.org "zunächst lediglich einen Prüfvorgang angelegt". Hintergrund hierfür sei gewesen, "dass eine Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft in Fällen von Geheimnisverrat nur gegeben ist, wenn ein Staatsgeheimnis im Sinne des § 93 StGB in Rede steht". Das BfV habe mit einem ausführlichen Rechtsgutachten das Vorliegen eines Staatsgeheimnisses bejaht.
    Für Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen, bedeutet das: Der Verfassungsschutz hat es offensichtlich genau darauf angelegt gegen die Journalisten vorzugehen. Das schreibt er im Kurznachrichtendienst Twitter.
    Das BfV betont, bereits bei der Einleitung des Ermittlungsverfahrens habe Generalsbundesanwalt Harald Range angewiesen, "dass mit Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit keine Maßnahmen gegen die in den Strafanzeigen des BfV namentlich genannten Journalisten ergriffen werden". Vielmehr sei ein externes Gutachten zur Beurteilung, ob ein Staatsgeheimnis vorliege, in Auftrag gegeben worden.
    Laut dem Recherchebericht von SZ, WDR und NDR arbeitet der zuständige externe Gutachter aktuell nicht an der Erörterung der Frage. Deshalb habe Maas offenbar die Expertise in seinem Haus in Auftrag gegeben; diese solle bis spätestens Donnerstag fertig sein und dann Generalbundesanwalt Range zugestellt werden. Ob dann die Ermittlungen möglicherweise eingestellt werden, sei unklar.
    Netztpolitik.Org hatte über Pläne des Bundesamtes für Verfassungsschutz berichtet, Internet-Netzwerke stärker zu überwachen. Dazu veröffentlichten sie auch Unterlagen des deutschen Inlandsgeheimdienstes. Am vergangenen Donnerstag war bekannt geworden, dass die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen die Netzpolitik.org-Journalisten Markus Beckedahl und André Meisterwegen des Verdachts auf Landesverrat eingeleitet hat.
    (bor/mg)