Die gesundheitsfördernde Wirkung von Zellulose gibt Wissenschaftlern bislang Rätsel auf. Säugetiere, die zellulosereiche Nahrung erhalten, besitzen zwar mehr Mikrobiota, also Mikroorganismen im Dickdarm. Auch entwickeln sie weniger Entzündungen und leiden seltener an einer Krankheit, die der Multiplen Sklerose ähnelt. Warum das aber geschieht, ist völlig unklar. Denn im Unterschied zu Wiederkäuern ließen sich bei Säugetieren mit einem Magen bisher keine Darmbakterien finden, die Zellulose spalten und nutzbar machen. Ein Forscherteam verschiedener deutscher Universitäten konnte diese Lücke jetzt schließen. Das Team unter Leitung von Professor Ulrich Steinhoff vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Philipps-Universität Marburg nutzte spezielle Tierdiäten.
"Wir haben eine synthetische Diät Mäusen gegeben, die entweder gar keine Ballaststoffe enthält oder Zellulose als einzigen Ballaststoff enthielt."
Zucker als Nährstoff für Bakterien
So konnten die Forscher erstmals untersuchen, welche bakteriellen Substanzen nur durch Zellulose gefördert werden. Um herauszufinden, welche Effekte sie haben, gaben sie die Substanzen anschließend speziell präparierten Tieren ein, die sie noch nicht besaßen.
"Wir haben dann auch bakterielle Enzyme aus dem Darm analysiert und konnten zeigen, dass im Dickdarm bakterielle Enzyme Zellulose tatsächlich in Glukose abbauen können und konnten zeigen, dass hier schützende Effekte entstehen, vor allem bei der Entstehung der Colitis, Entzündung."
Der in Zellulose abgebaute Zucker dient Bakterien als Nährstoff, sodass sie sich anreichern können. Er trägt entscheidend dazu bei, eine reife, also reichhaltige Darmflora mit diversen Bakterien aufzubauen. Das ist besonders für die ersten Lebensjahre wichtig, in denen eine gesunde Darmflora entwickelt wird.
"Wir konnten eben zeigen, dass, wenn sie Zellulose in der Nahrung hatten, dass die Diversität deutlich anstieg im Gegensatz zu der Nahrung, die keine Zellulose enthielt."
Wichtige Gene werden aktiviert
Von dem Zucker, der durch die Spaltung von Zellulose entsteht, profitiert auch ein Bakterium namens Alistipes Finegoldii. Es kann selbst wieder Zellulose spalten und reduziert offenbar Entzündungsstoffe. Denn wenn keine Zellulose in der Nahrung vorhanden ist, fehlt dieses Bakterium völlig. Im Darm finden sich dann vermehrt entzündungsfördernde T-Zellen. Zellulose wirkt aber auch noch über die Epithelzellen entzündungshemmend, welche die Darminnenwände auskleiden.
"Wir waren auch selbst überrascht, das zu sehen. Wir haben also Epithelzellen des Darms, ganz verschiedene Epithelzellen untersucht und konnten zeigen, dass im Vergleich zwischen den beiden Diäten das Genexpressionsmuster sehr, sehr unterschiedlich war."
Zellulosehaltige Nahrung sorgt über bestimmte Bakterien dafür, dass einzelne Gene der Epithelzellen gezielt aktiviert werden. Auch hier spielt wieder das Bakterium Alistipes Finegoldii eine entscheidende Rolle. Es sorgt dafür, dass von den Genen der Epithelzellen ein Eiweiß abgelesen wird, das antientzündlich wirkt.
Entzündungsreaktion wird verhindert
"Dieses antimikrobielle Peptid hat eine besondere Wirkung, es verhindert nämlich, dass unsere Darmflora direkten Kontakt mit den Darmepithelzellen aufnimmt und somit eine Entzündungsreaktion hervorruft."
Andere Forscher konnten bereits zeigen, dass Tiere spontan eine Darmentzündung entwickeln, wenn man dieses Peptid ausschaltet.
Im Tierversuch ist nun also erstmals gezeigt worden, wie Zellulose hilft, Entzündungen zu vermeiden und so gegen verschiedene Krankheiten schützt. Und dass Säugetiere mit einem Magen einen anderen Weg als Wiederkäuer gefunden haben, um Zellulose zu verwerten.