Zwei Indianer mit Federschmuck und Gesichtsbemalung des Huni-Kuin-Stammes sitzen auf dem Boden und singen. Huni Kuin - echte Menschen - so nennen sich die Mitglieder des Stamms, mit dem der Bildhauer Ernesto Neto im Arp Museum ausstellt. Eine Stunde lang segnen sie mit ihrem Ritual die Skulptur: ein gigantisches Stoffgebilde, das an eine textile Tropfsteinhöhle erinnert. Von einem riesigen Gaze-Gewölbe baumeln Säckchen gefüllt mit Sand, Nelken, Zimt, Lavendel, Curry oder Kardamom. Es riecht intensiv nach Gewürzen.
"Das war eine sehr interessante Reise für mich. Ich fühle mich der Lebensphilosophie der Huni Kuin spirituell sehr nahe. Ich hatte über sie in Büchern von Anthropologen gelesen. Besonders wenn ich hier in Europa bin, bemerke ich wie sehr in Kategorien gedacht wird. Die Welt wird klassifiziert in richtig, falsch, alles ist straff organisiert. Zeit dominiert alles, vor allem auch die sozialen Beziehungen."
Ernesto Neto - schwarzgraue wuschelige Haare, Indianer-Weste - lernte vor einem Jahr den Huni-Kuin-Stamm kennen. Per Flugzeug und Boot reiste er in den Bundesstaat Acre im Nordwesten Brasiliens. Dort, im Regenwald, lebt das indigene Volk in 33 Dörfern.
"Die Naturverbundenheit, die sich ja auch in meiner Kunst wiederfindet, bestimmt das Leben der Huni Kuin. Dass ich sie kennenlernen durfte, sehe ich als großen Glücksfall an. Obwohl ich mich daran erinnere, wie ich mich zunächst gefühlt habe: Als würde eine Python mich erwürgen. Dann ließ ich mich von der Python erwürgen und nun bin ich froh, dass sie mich erwürgt hat."
Ernesto Neto nimmt sich viel Zeit, um seine Faszination für die Indianer zum Ausdruck zu bringen. Drei Stunden dauert seine Führung durch die Ausstellung. In einem hohen Raum, der komplett mit Fellen ausgekleidet ist, taucht er selbst in einem Video auf.
Ernesto Neto wirkt wie in Trance. Er tanzt sich mit der Skulptur "Torso Profil" des Dadaisten Hans Arp, dem Namenspatron des Museums, in Extase:
"Ich habe ein Lied für die Skulptur geschaffen. Ich tanze mit ihr, ich singe, ich trage sie mit mir herum, ich urarme sie, ich küsse sie. Für mich ist diese Skulptur von Arp ein Objekt, das man anfassen muss. Etwas, mit dem man leben muss. So ein Gefühl kennen viele Kunstsammlung, die ein Werk unbedingt haben wollen, um mit ihm zu leben. So geht es mir auch."
Ein anderes Video zeigt einen der Huni-Kuin-Indianer mit derselben Skulptur. Er singt ein Heilungslied.
Es sei ein Lied, das die Geister der Natur beschwöre und der Skulptur neues Leben einhauche, erklärt Txane Bane, der Sohn des Häuptlings der Huni Kuin.
Superstar der südamerikanischen Kunstszene
Selbstvergewisserung und neue intensive körperlichen Erfahrungen sucht Ernesto Neto in seiner Kunst. Seit der Brasilianer vor elf Jahren auf der documenta ausstellte, gilt er als Superstar der südamerikanischen Kunstszene.
Im Mittelpunkt der Ausstellung in Remagen steht ein gigantisches Labyrinth aus Stoffbahnen. Auch hier hängen mit Sand und Gewürzen gefüllte Schläuche wie volle Euter von der Decke hängen. Unter ihnen können sich müde Besucher auf Schaumstoffmatten in zellenartigen Räumen in Klausur begeben.
"Diese Skulptur besteht aus zwei Zellen, die wiederum aus zwei Zentren bestehen, die miteinander tanzen. Es herrscht hier dieses milchig weiche Licht in Hellgrün und Hellgelb. Ich liebe dieses milde Licht. Das Tolle an diesem Ort, es filtert Informationen. Ich halte dieses Zuviel an Informationen, dem wir ständig ausgesetzt sind, für Gift. Information ist gut, aber die Dosis muss stimmen."
Während die Ausstellung streckenweise wie ein exotischer Abenteuerspielplatz anmutet, beweist Neto in seinen stilleren Skulpturen, die sich mit Hans Arp auseinandersetzen, seinen kunsthistorischen Rang. Er nimmt direkten Bezug auf den biomorphen Formenkanon Arps. Ein Wandrelief aus Stoff und Styropor mit dem Titel "Heimsuchung der Träume" wirkt, als hätte man mehrere Arpskulpturen daraus ausgeschnitten.
Ernesto Neto knüpft an die Avantgarde an. Nicht nur an die der Klassischen Moderne, sondern auch an die Errungenschaften der Sechziger Jahre. Seine Geruchs- und Anfass-Skulpturen zitieren nicht nur die Erweiterungen des Kunstbegriffs. Sie sind auch ohne die Architektur und Designideen der Hippiezeit gar nicht zu denken. In der Ausstellung können sich übrigens auch Yoga- und Meditationsgruppen anmelden. Kunst, die Verspannungen in Geist und Körper löst, was will man mehr.