Archiv

Erneuerbare Energien
"Die Energiewende ist seit einigen Jahren gestoppt"

Wind- und Solarstrom seien längst konkurrenzfähig, sagte Clemens Hoffmann vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft im Dlf. Dennoch würden - gemessen an dem künftigen deutschen Energiebedarf - zu wenige neue Anlagen gebaut. "Von der Zielzahl sind wir drastisch entfernt."

Clemens Hoffmann im Gespräch mit Ralf Krauter |
Windenergieanlagen im Windenergiepark "Odervorland" im Landkreis Oder-Spree in Brandenburg spiegeln sich in einem Wasserbecken.
Probleme in den Genehmigungsverfahren führen unter anderem dazu, dass nicht genug Windenergieanlagen gebaut werden, sagte Clemens Hoffmann vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft im Dlf (Patrick Pleul / dpa-Zentralbild / ZB )
Ralf Krauter: Falsche wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund dafür, dass die Energiewende in Deutschland ins Stocken geraten ist. Beim Petersberger Klimadialog, der Dienstag mittag in Berlin zu Ende ging, hat die einst als Klimakanzlerin gefeierte Angela Merkel zwar bekräftigt: Am Ziel, dass Deutschland und Europa ab 2050 kein Kohlendioxid mehr ausstoßen, werde festgehalten. Aber konkrete Maßnahmen? Fehlanzeige.
Dabei haben Wissenschaftler um Professor Clemens Hoffmann, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik Kassel, wenige Tage vor dem Treffen der Umweltminister in Petersberg nochmal alle Optionen auf den Tisch gelegt. Im Bericht "Barometer der Energiewende 2019" beschreiben er und seine Kollegen, was passieren müsste, damit die Energiewende doch noch klappt. Ich habe Clemens Hoffmann vorhin gefragt: Wie steht Deutschland aktuell da, beim Ausbau der Erneuerbaren Energien?
Clemens Hoffmann: Wir versuchen in diesem Barometer, sämtliche Dimensionen der Systemtransformation zu erfassen. Zunächst natürlich die erneuerbare Erzeugung, die ja im Wesentlichen zunächst mal von Windenergie und Fotovoltaik und zu kleineren Beimischungen von der Biomasse und von der Wasserkraft in Deutschland getragen wird. Man kann sehr einfach ausrechnen anhand unseres Energiebedarfes, den wir 2030 und schließlich 2050 haben werden, welche Installation wir dann benötigen. Das heißt, wir brauchen dann im Jahr 2050 für die Windenergie etwa 220 Gigawatt, bei der Fotovoltaik auch etwa etwas über 200 Gigawatt. Beide Leistungen sind etwa gleich.
Bei einer angenommenen Lebensdauer der Anlagen von 20 Jahren ermitteln wir, dass wir jedes Jahr einen Zubau von zehn Gigawatt in beiden Kategorien benötigen. Und von dieser Zielzahl, der Rate, die jedes Jahr zugebaut werden muss, sind wir im Moment drastisch entfernt. Also wir sind bei der Windenergie – jetzt habe ich gerade die aktuellste Zahl – 2019 nur für das erste Quartal 134 Megawatt. Das hochgerechnet mal vier, dann wären wir bei 500 Megawatt. Und ich habe eben gerade von zehn Gigawatt gesprochen. Da klafft also noch ein Faktor 20 dazwischen. Bei der Fotovoltaik sieht es ein bisschen besser aus. Wir sind dort bei über zweieinhalb Gigawatt pro Jahr, müssen aber auch in diesem Bereich auf zehn Gigawatt pro Jahr. Also aus unserer Sicht ist die Energiewende seit einigen Jahren gestoppt.
Technologien sind eigentlich konkurrenzfähig
Krauter: Woran liegt das? Offenbar werden viel zu wenig neue Kraftwerke genehmigt und gebaut?
Hoffmann: Absolut, so ist es, es wird zu wenig gebaut. Vor einer Weile hätte man vielleicht noch gesagt, das liegt daran, dass die Förderung weggefallen ist. Inzwischen wissen wir alle miteinander, dass sowohl bei Wind als auch bei Fotovoltaik die Marktgängigkeit und Eigenwirtschaftlichkeit erreicht worden ist. Die Erzeugungspreise sind erheblich runtergegangen.
Krauter: Das heißt, diese Technologien sind mittlerweile konkurrenzfähig?
Hoffmann: Die sind konkurrenzfähig. Was wir aber insbesondere bei der Windenergie zurzeit konstatieren, sind die Probleme in den Genehmigungsverfahren. Dort werden also noch nicht mal die von der Ausschreibung möglichen Mengen ausgeschöpft, wiewohl grundsätzlich jetzt - gemessen an den Zahlen, die ich eben gesagt habe - auch diese Ausschreibungsmengen ja noch nicht hoch genug angesetzt sind. Aber noch nicht mal die werden derzeit getroffen.
Gebäudeheizung und Verkehr auf Strom umstellen
Krauter: Selbst bei den erneuerbaren Energien also eine gemischte Bilanz, obwohl da in der öffentlichen Wahrnehmung das sicher so ist, dass man denkt, da tut sich doch vieles. Noch deutlich schlechter sieht es ja aus in anderen Bereichen: Im Gebäudesektor, also der Wärmeversorgung und im Verkehrssektor. Auch da sollen die Erneuerbaren ja künftig vermehrt zum Einsatz kommen. Was müsste denn passieren, dass wir da schneller vorankommen?
Hoffmann: In der Tat ist es so, dass wir auch die erneuerbare Stromerzeugung in die Bereiche Verkehr, Mobilität und in den Bereich Wärmeerzeugung hineinbringen müssen - aus zwei Gründen. Erstens: Wir erreichen CO2-Freiheit in diesen Sektoren. Und zweitens: Wir brauchen sozusagen aus systemischen Gründen diese Verbrauchssektoren, denn diese erneuerbaren Energiequellen haben ja gegenüber anderen Erzeugungsmöglichkeiten diese Eigenschaft, schwankend zu sein. Und wir brauchen Verbraucher, die diese Schwankungen mitgehen können.
Die traditionellen Verbraucher, also die industrielle Produktion und der haushaltliche Verbrauche, die schaffen diese hohen Flexibilitäten nicht. Das heißt, auch aus einem Systemgrund heraus brauchen wir eine hochgradige Elektrifizierung des Verkehrs und der Wärme. Und schließlich brauchen wir auch eine Wasserstofferzeugung aus erneuerbarem Strom als eine starke, flexibilisierbare Verbrauchslast.
"Gebäudebereich ist die härteste Nuss in der Energiewende"
Krauter: Das Stichwort in diesem Kontext ist ja die sogenannte Sektorkopplung. Das heißt, dass der Elektrizitätssektor gekoppelt wird mit dem Verkehr und mit der Wärmeversorgung. Das Schlagwort steht schon länger im Raum, aber mein Gefühl ist: Außer so einigen Pilotprojekten, zum Beispiel saisonale Wärmespeicher für ganze Kommunen oder Power-to-X-Anlagen, die aus Sonnen- oder Windenergie grünen Sprit erzeugen, ist da eigentlich nicht viel passiert. Täuscht das?
Hoffmann: Sie greifen dieses Stichwort Sektorkopplung auf. Wir sprechen inzwischen mehr von Sektorintegration, denn so wie ich Ihnen das eben dargestellt habe, ist das ja eine notwendige Konsequenz. Und was braucht es dann konkret? Wir müssen die Menge elektrischen Stroms, der im Verkehr eingesetzt wird, massiv erhöhen. Das bedeutet natürlich im Individualverkehr, dass wir elektrische Fahrzeuge haben müssen oder auch hybridisierte Fahrzeuge. Dann sind wir aus diesem Reichweitenproblem völlig heraus. Das heißt, es wäre eine Mischung aus der Benutzung von elektrischem Strom und elektrisch erzeugtem synthetischen Kraftstoff.
Da wissen Sie selbst, dass bis vor Kurzem die Verkaufszahlen dort wesentlich zu niedrig waren. Aber aufgrund insbesondere der europäischen Pennalen, die inzwischen auf Flottengrenzwerte wirken, hören wir von den Automobilkonzernen, dass die auch marketingseitig demnächst alles machen werden, um Elektromobile und Hybride auf den Markt zu bringen.
Der Gebäudebereich ist eigentlich die härteste Nuss in der Energiewende, weil er der größte Emittent von CO2 ist - und dort haben wir eine komplexere Situation. Denn Autos können hochautomatisiert am Ende vom Fließband rollen, während Gebäude alles Unikate sind. Das heißt, eine neue Heiztechnik dort hineinzubringen und auch das Thema Gebäudeisolation erfordert natürlich immer einen individuellen Planungsaufwand. Und dort sind unsere Raten zu niedrig, und es müssen entsprechende Anreize, aber auch Mentalitäten bis hinunter ins Handwerk entwickelt werden, damit wird dort eine deutliche Steigerung der Aktivität sehen.
"Jetzt müssen wir richtig kräftig Gas geben"
Krauter: Also eine enorme Herausforderung, die dringend angegangen werden müsste?
Hoffmann: Ja. Wir haben erneuerbare Energien sehr gut in Deutschland angeschoben. Wir sind auch weiterhin, würde ich sagen, eine Art Weltmeister, an diese kritische Grenze zu stoßen, wo die Erneuerbaren praktisch die Verbrauchsleistung zeitweise schon vollständig übernehmen können. Soweit haben wir es geschafft. Und wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, wo das sowohl technisch als auch energiewirtschaftlich in eine Begrenzung reingelaufen ist. Wir haben uns jetzt die letzten fünf Jahre, würde ich mal sagen, seit 2012 etwa sortiert, was ist denn jetzt eigentlich zu machen. Und es gibt da ja keinen Vorreiter. Also bis auf kleinere Länder wie Dänemark beispielsweise haben es ja noch keine Länder vorgemacht, wie man so ein großes Wirtschaftssystem umsteuert. Also ich denke, wir sollten nicht zu streng mit uns sein. Aber jetzt müssen wir richtig kräftig Gas geben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.