"Wer parlamentarische Mehrheiten will, der muss den Mainstream verlassen." Dieser Satz stammt von Peter Brandt. Auf die Frage, ob damit gemeint sei, die Sozialpolitik zu verlassen und mehr Außenpolitik zu machen oder ob es so oder so Zeit für Erneuerung der SPD sei, sagte Brandt: "Wenn man auf einem Niveau von 20,5 Prozent bei Bundestagswahlen angekommen ist, dann ist geboten, sich zu überlegen, was ist schiefgelaufen." Bezugnehmend auf das Wahlergebnis sagte Brandt - Sohn von Rut und Ex-Bundeskanzler Willy Brandt: "Wenn das kein Weckruf ist, dann weiß man nicht, wie einer aussehen könnte."
"Der Sozialstaat ist unter Druck"
Gleichwohl sei die Sozialpolitik nach wie vor ein Problem, meinte der emeritierte Professor für Neuere Geschichte an der Fern-Uni Hagen. "Der Sozialstaat ist ja seit den späten 70er-Jahren, das was man dann als Globalisierung bezeichnet hat, unter Druck. Wir haben eine ausgeprägte soziale Polarisierung in unserer Gesellschaft, nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt", meinte Brandt und führte als Beispiel die Lohnentwicklung hierzulande an. "Wir haben für 40 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung seit den 90er-Jahren fast eine Stagnation der Realeinkommen. Das ist schon eine Situation, wo die alte soziale Frage noch relevant ist."
Jeremy Corbyn, "der linke Zausel"
Das Problem mit Erneuerungsforderungen sei, dass nicht auf der Hand liege, in welche Richtung erneuert werden müsse. "Denken wir an Großbritannien, wo ein Mann wie Jeremy Corbyn die Führung übernommen hat. Die versammelte Presse stellte es so dar, als ob nun die Labour-Party völlig im Orkus verschwindet. Wie das dann hieß bei diesem linken Zausel, dem Dinosaurier. Ja, und sie ist deutlich nach vorne gegangen." Das sei nicht simpel zu übertragen, es gebe vielmehr unterschiedliche Antworten. "Das ist ja das Problem, dass sich nicht alle einig sind, wie man eine Krise zu beantworten hat."
Schulz-Hype weckte Hoffnungen
Ohne Zweifel erfordere die aktuelle Lage sozialdemokratische Antworten. "Es gibt ein Bedürfnis nach Sozialdemokratie, nicht nur bei eingeschriebenen Mitgliedern", sagte Brandt. "Dieser im Nachhinein irreal wirkende Martin-Schulz-Hype vor einem Jahr hatte auch damit zu tun, dass wieder Hoffnungen geweckt wurden, die offenbar im Wahlkampf nicht so konkretisiert werden konnten, dass es sich nachhaltig ausgewirkt hat. Aber wir wissen, dass in allen sozialen Gruppen, die SPD in ganz kurzer Frist Zusztimmung gewonnen hatte und zwar vor allem in unteren Schichten überproportional. Das heißt, es gibt ein Potenzial. Es ist nicht so, dass man sagen muss, das ist irgendwie verschwunden."
Die Frage sei, wie die Sozialdemokratie es schaffen kann, die unterschiedlichen Segmente zu bündeln.
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