Der Regisseur, Schriftsteller und Kulturfunktionär Ernst Lothar war ein Österreicher aus ganzem Herzen. Der promovierte Jurist arbeitete zunächst als Staatsanwalt und später als Berater im Handelsministeriums, bevor er 1925 seinen Dienst quittierte, um sich gänzlich seiner Leidenschaft zu widmen, dem Schreiben.
Lothar arbeitete als Kritiker für Tageszeitungen veröffentlichte zahlreiche Gedichtbände und Romane. Er war einer der Initiatoren der Salzburger Festspiele und wurde später gar zum Präsidenten des Gesamtverbandes Schaffender Künstler Österreichs ernannt. Als "Wiener Wunderwuzzi" und Größe des Kulturbetriebs befasste er sich in seinen Romanen vor allem mit seinem eigenen Schicksal: Die Flucht vor den Nationalsozialisten in die USA, die Scham über den Anschluss seiner Heimat an das Deutsche Reich, die Entfremdung vom geliebten Vaterland, die nostalgische Verklärung der Vergangenheit nach dem Krieg.
Nach "Der Engel mit der Posaune" über den Niedergang einer großbürgerlichen Wiener Klavierbauerfamilie, erscheint jetzt ein weiterer Roman in neuer Auflage: In die "Rückkehr", erstmals erschienen 1949, verarbeitet Ernst Lothar seine ernüchternden Erfahrungen über das Österreich der Nachkriegszeit. Eine federleichte Lektüre über ein schwergewichtiges Thema.
"Es ist das einzige Land, in dem ich leben kann."
"In Österreich habe ich mich nicht getäuscht", soll Ernst Lothar zu seinem Vertrauten Sigmund Freund kurz nach dem Fall der Monarchie 1918 gesagt haben. "Es ist das einzige Land, in dem ich leben kann." Freud entgegnete: "Es ist ein Land, über das man sich zu Tode ärgert und wo man trotzdem sterben will." Dieses Gespräch sollte einen Grundstein zu Ernst Lothars literarischem Werk legen. 1938 musste er nach dem "Anschluss" an Hitler-Deutschland als österreichischer Jude seine geliebte Heimat verlassen.
Wenngleich Lothar 1944 die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, fühlte er sich in seiner neuen Heimat nie wirklich zu Hause. Bei seiner Rückkehr nach Österreich zwei Jahre später musste er erkennen, dass es das geliebte Vaterland aus seiner Erinnerung nicht mehr gab.
Über diese inneren Konflikte, die Enttäuschung der eigenen Nostalgie, über die Zerrissenheit zwischen Heimatliebe und unterdrückter Scham aus den Zeiten der nationalsozialistischen Besatzung schrieb Ernst Lothar 1949 seinen Roman "Die Rückkehr".
Emigration als Weigerung, deutsch zu werden
Sein Protagonist Felix von Gelden ist ein Abkömmling einer reichen österreichischen Bankiers-Familie, die das Land 1938 in Richtung USA verlässt. Nicht etwa seine jüdische Abstammung treibt Felix aus dem Land, sondern seine Weigerung, deutsch zu werden, sein Stolz als waschechter Wiener.
"Auch in seiner Erscheinung war Felix ein Wiener. Er war groß, hielt sich aber nicht stramm ('leger' nannte man es in Wien). Die Augen unter den horngefassten Brillen hatten trotz ihrer Kurzsichtigkeit etwas Anziehendes; ihre Bereitwilligkeit zog an und ihre jungenhafte Neugier. Felix war, wie seine Großmutter Viktoria, einer der neugierigsten Menschen der Welt. Dass er sein Haar länger als notwendig trug wie ein Musiker, obwohl er Jurist war, und auf seine Anzüge und Krawatten mehr Sorgfalt verwendete, als er zugab, gehörte zu den wienerischen Widersprüchen seines Wesens: er hasste Prätention oder, wie es in Wien hieß, Getue, aber hatte eine ausgesprochene Schwäche zu gefallen."
Einem solchen Mann muss natürlich auch die New Yorker Damenwelt schnell erliegen. Felix von Gelden arbeitet als, wie es heißt, "glänzender Jurist", übergangsweise in einem New Yorker Kaufhaus als Buchverkäufer und hat sich bei einer Kollegin und deren Schwester Livia eingemietet.
"[Livia] wusste jedenfalls, was Felix freute oder verstimmte. Seit er bei ihrer Schwester Joyce als Mieter eingezogen war, hatte sie das zu ihrer Hauptaufgabe gemacht. Hätte jemand sie gefragt: 'Was studieren Sie?', sie hätte nicht länger beschämt sein müssen, dass ihre Schwester sie verhindert hatte, das College zu besuchen, und dass sie jetzt in Altman’s Kaufhaus in White Plains ihren Unterhalt als Verkäuferin verdienen musste. Sondern sie hätte geantwortet, ihr Hauptfach sei ihre Liebe zu Felix."
Schwere Schicksale - einfache erzählerische Lösungen
Ernst Lothar liebt die großen Gefühle, die tragischen Schicksale und die einfachen erzählerischen Lösungen, das wird bei der Lektüre des Romans bald deutlich. Dessen Handlung ist schnell resümiert:
Felix kehrt nach Kriegsende gemeinsam mit seiner Großmutter Viktoria aus New York nach Wien zurück. Er soll die im Krieg verworrenen Finanzangelegenheiten der von Geldens in Ordnung bringen. Auf dem Schiff noch macht er besagter Livia per Telegramm einen Heiratsantrag. Doch auch in Wien wartet eine Braut auf ihn: Gertrude, die sich für den Erfolg als Opern-Sängerin keinem Geringeren als Reichs-Propaganda-Minister Joseph Goebbels angedient hatte.
Felix’ Liebe zu ihr ist größer als Gertrudes kleiner Makel, und so drängt er sie zur Heirat. Gertrude aber, vom schlechten Gewissen als frühere "Nazi-Braut" gequält, nimmt sich das Leben. Felix wiederrum soll gegen einen Nazi-Verbrecher aussagen, doch niemand scheint die Verurteilung des Täters wirklich zu verfolgen. Am Ende bleibt Felix noch verwirrter zurück als er in seiner fremden Heimat angekommen war.
Die Erinnerungen des Autors im Roman spürbar
Es sind nicht die ziemlich vorhersehbaren Handlungswendungen, noch ist es die wenig kunstvolle Sprache, die Ernst Lothars Heimkehrer-Roman lesenswert machen. In jeder Zeile muss man vielmehr den Autor des Werkes mitdenken, seine eigenen Erfahrungen und deren Übertragung in die Literatur. Als historisches literarisches Dokument hat der Roman "Die Rückkehr" durchaus seinen Reiz. Als Felix und seine Großmutter etwa an der zerstörten Wiener Oper vorbeilaufen, heißt es:
"Das herrliche Haus, mit dem sich für Felix untrennbar die Vorstellung des Vollkommenen verband, war ein armseliges Wrack. Verbrannte Mauern, Schutt. Von der Hitze verbogene, ins Leere starrende Eisentraversen zeigten, wo einmal das Dach gewesen war. Trümmer häuften sich auf dem Trottoir. Trotzdem hing vom Dachstuhl, den es nicht gab, eine große, schwarze wohlerhaltene Trauerfahne herab. 'Grauenhaft!', sagte Felix. Viktoria sagte: 'Das sieht wirklich herzzerreißend aus. [...] 'Sehn’S, was die Amerikaner gemacht haben!', sagte der Mann, der vorher gesprochen hatte. 'Die Amerikaner haben’s ja nicht aus Zerstörungswut gemacht', entgegnete Viktoria.' [...] 'So? Nicht aus Zerstörungswut? Und weswegen denn? Warum haben’s dann die Oper zerdroschen? Möchte die Dame mir das vielleicht sagen? Is eine Oper ein Bahnhof? Is eine Oper eine Arsenal? Die Dame is nicht von hier, drum wissen S’net.'
Als Emigranten, die die österreichische Staatsbürgerschaft gegen die amerikanische eingetauscht haben, schlägt Felix und seiner Großmutter in Wien offene Ablehnung entgegen. Immer wieder drehen sich die Dialoge zwischen den Dagebliebenen und den Geflohenen, zwischen den überlebenden so genannten "Kazettlern" und den früheren Nazi-Schergen um die Frage nach Schuld und Zwang, um Gerechtigkeit, Vertuschung und Versöhnung, um Vergangenheit und Zukunft der österreichischen Nation. Im Gespräch mit einem Justizbeamten weist Ernst Lothars Protagonist Felix etwa auf das Schicksal der Emigranten in den USA hin.
"Ich meine Advokaten, die jetzt mit Bürsten hausieren gehen. Ärzte, die hier Professoren gewesen sind und drüben dreimal bei der englischen Sprachprüfung durchgefallen sind. Kunsthistoriker, die Fahrstuhlwärter wurden. Berühmte Schauspieler, die Uniformsterne für die Armee sticken. Schriftsteller, die Arbeitslosenunterstützung beziehen. Herr Sektionschef, sie haben glücklicherweise die Hölle des KZ überlebt und sie sind wieder in Amt und Würden. Das ist zumindest eine winzige Wiedergutmachung. Dagegen kenne ich eine ganze Anzahl von Österreichern, die die Hölle der Emigration nicht überleben konnten. Sie sind daran gestorben."
Getrübte Nostalgie
Diese heute reichloch plump wirkende Aufrechnung erinnert an die Schicksale von Joseph Roth, Stefan Zweig oder Egon Friedell, die direkt am Land oder an seinem Verlust zugrunde gegangen sind. Lothars Roman lässt jenseits aller sprachlichen und pädagogischen Einfachheit gleichsam Widerwillen dennoch die schweren Brüche einer Nationalgeschichte hervortreten. Wie unmittelbar der jüdische Autor und tief-patriotische Österreicher Ernst Lothar selbst zwischen diesen Konfliktlinien stand, geht aus seiner Autobiographie "Das Wunder des Überlebens" hervor, aus der er wörtliche Zitate in seinen Roman über Felix von Gelden übernimmt:
"Illusionen nützen nichts. Der Antisemitismus, sagte er, bestehe nach wie vor. Dass sechs Millionen Juden ermordet worden waren, seien die sieben Millionen Österreicher (und übrigens die ganze Welt), im Begriff zu vergessen; sie nähmen es sogar ausgesprochen übel, daran erinnert zu werden, es gelte als taktlos."
Ernst Lothars Inszenierungen am Wiener Burgtheater nach dem Krieg verströmten selbst eine deutliche Österreichtümelei, mit der man nach 1945 versuchte, sich weitest möglich von den Deutschen zu distanzieren, an deren Seite man gerade noch in den Krieg gezogen war. In Lothars Roman "Die Rückkehr" findet sich neben der puren Verzweiflung über Österreichs Rolle im Vernichtungskrieg ebendiese nostalgische Sehnsucht nach nationaler Harmonie.