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Vor 100 Jahren
Ernst Lubitschs Aufbruch nach Hollywood

Mit seinem UFA-Historienfilm „Madame Dubarry“ begeisterte Ernst Lubitsch nach dem Ersten Weltkrieg die US-Kinogänger derart, dass Hollywood den Berliner Regisseur einlud. Heute vor hundert Jahren brach er in die kalifornische Film-Metropole auf.

Von Hartmut Goege |
Der Regisseur Ernst Lubitsch ( vorn links) zusammen mit dem Schauspieler Douglas Fairbanks. Er spielte die Hauptrolle  in Lubitschs Film, "Die Frau im Hermelin "(Originaltitel: "That Lady in Ermine" von 1948.
Der Regisseur Ernst Lubitsch ( vorn links) in Hollywood mit dem Schauspieler Douglas Fairbanks - Hauptdarsteller in Lubitschs letztem Film: "Die Frau im Hermelin" von 1948. (picture-alliance / dpa / UPI)
Zahlreiche Freunde und Kollegen stehen am Morgen des 2. Dezember 1922 im alten Lehrter Bahnhof in Berlin, um Ernst Lubitsch zu verabschieden. Der junge, 30-jährige Regisseur hat eine Einladung der berühmten Mary Pickford nach Hollywood angenommen. Mit ihr in der Hauptrolle soll Lubitsch einen Kostümfilm inszenieren. Der Berliner „Film-Kurier“ hatte zuvor gemeldet:
„Was bereits vor Monaten angezeigt, dann wieder dementiert wurde, ist nun doch Tatsache geworden. Ernst Lubitsch rüstet sich zu einem mehrmonatigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten. Wir wollen ihm angenehmen Aufenthalt wünschen. Für den vollen Erfolg seiner Arbeit wird Ernst Lubitsch schon selbst sorgen.“

Antideutsche Stimmung noch verhalten

In den USA hat Lubitsch Konjunktur. Sein 1919 gedrehter Historienfilm „Madame Dubarry“, dort unter dem Titel „Passion“, begeistert seit zwei Jahren mit seinen pompös ausgestatteten Massenszenen und seinem Star Pola Negri das amerikanische Publikum. Die noch verhalten antideutsche Stimmung für die erste UFA-Produktion in Amerika nach Kriegsende hatte zwar die „New York Times“ noch thematisiert: „Die Herkunft von ‚Passion‘ darf als entschuldigt gelten, weil sein Star eine Polin ist und sein Sujet französisch.“

Holpriger Start in Hollywood

Doch auch die vier neuesten Filme des Berliner Regisseurs, wie etwa „Das Weib des Pharao“, feiern weitere Erfolge in US-Kinos. Als Ernst Lubitsch mit seiner Frau Helene in Hollywood eintrifft, lernt er eine perfekt organisierte Studio-Stadt kennen. Sein Start in der Filmmetropole aber verläuft holprig. Die Zusammenarbeit mit Mary Pickford gestaltet sich schwierig. „Rosita“, die Geschichte einer spanischen Straßensängerin, wird nur wohlwollend aufgenommen, Pickford ist enttäuscht. Lubitsch will schon seine Rückreise vorbereiten, als er ein außergewöhnliches Angebot erhält. Die neu gegründete Warner Brothers bietet ihm für vier Jahre 60.000 Dollar pro Film und freie Stoffwahl.
Pola Negri und Alfred Abel in einer Szene des Films "Die Flamme" von Ernst Lubitsch. Es war Lubitschs letzter in Deutschland gedrehter Film, bevor er 1922 nach Hollywood ging.
Pola Negri und Alfred Abel in einer Szene des Films "Die Flamme" von Ernst Lubitsch. Es war Lubitschs letzter in Deutschland gedrehter Film, bevor er 1922 nach Hollywood ging. (picture-alliance / dpa)
Seine Warner-Filme werden kein historischer Prunk mehr, Lubitsch verlegt sich auf anzügliche Komödien: pikante und vor Witz sprühende Geschichten über Drei- oder Vierecks-Beziehungen. Die Zensur der prüden US-Sittenwächter im Hinterkopf, entwickelt Lubitsch dabei eine wahre Meisterschaft der versteckten Andeutungen.
Der Heimat bleibt er noch verbunden. Über neue Trends berichtet er gelegentlich im Berliner Branchenblatt „Lichtbildbühne“, Titel: „Unsere Chancen in Amerika“: „Das amerikanische Publikum ist momentan gegen die Kostümfilme. Die Ufa braucht attraktive Darsteller in modernen Kostümen. Der moderne Gesellschaftsfilm ist nun einmal in der Welt der große Trumpf und wird es vorläufig wohl auch bleiben.“

Karriere-Booster Tonfilm

Ab 1926 wird Lubitsch regelmäßig zu den amerikanischen Top-Regisseuren gewählt. Anwerbeversuche zur UFA zurückzukehren, lehnt er ab. Nach Berlin kommt er nur noch für Urlaube oder um alte Freunde zu treffen. Der Tonfilm befördert seine Karriere weiter. Auf seinem letzten Berlinbesuch 1932 erklärt er: „Es ist der größte Fortschritt, den jeder Regisseur begrüßen muss. Sehen Sie: der stumme Film war keine völlig in sich abgeschlossene Kunstgattung. Er musste Filmtitel zur Hilfe nehmen, wenn er eine Geschichte erzählen wollte. Dieser Titel war ein Fremdkörper, den der Tonfilm ausmerzte. Und schon diese Tatsache allein genügt, um die Existenz des Tonfilms zu rechtfertigen.“

Anlaufstation vieler Emigranten aus NS-Deutschland

Es entstehen zahlreiche Tonfilmklassiker wie „Trouble in Paradise“, in denen er seinen eleganten Komödienstil um virtuose Dialoge ergänzen und perfektionieren kann. Während er im Filmgeschäft weiter nach oben steigt und 1935 mit 43 Jahren Produktionschef der Paramount wird, entziehen ihm die Nationalsozialisten die deutsche Staatsbürgerschaft, weil er Jude ist. Sein Haus in Beverly Hills wird Anlaufstation vieler vor den Nazis geflohener Emigranten. Der junge Billy Wilder etwa schreibt erfolgreich Drehbücher für ihn, wie die 1939 produzierte Greta-Garbo-Komödie „Ninotschka“; für Wilder ein Sprungbrett für seine erste eigene Regie-Arbeit:
„Am Tage vorher ging ich zum Lubitsch und habe ihm gesagt, ‚morgen mache ich die erste Aufnahme meines ersten Filmes. Ich werde mir in die Hosen scheißen‘. Und da hat der Lubitsch mir gesagt: ‚Ich mache meinen 70. Film, und ich scheiße mir jeden Tag in die Hose‘.“
Während des Krieges, 1942, erregt Lubitsch Aufsehen mit der Komödie „To Be or Not to Be“ über den Widerstand einer Warschauer Theater-Gruppe gegen die deutsche Besatzung. Fünf Jahre später, im November 1947 stirbt der gerade 55-jährige Regisseur an einem Herzinfarkt. Noch im Frühjahr hatte Ernst Lubitsch einen Ehren-Oscar für sein Lebenswerk erhalten.