Das Urteil der vorwiegend schwedischen Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Humanities und Social Scientist Communications“ ist vernichtend. Die Regierung habe sich blind auf das Urteil der schwedischen Gesundheitsbehörde „Folkhälsomyndigheten“ verlassen. Diese wiederum habe ihr eigenes Süppchen gekocht und die Expertise externer Fachleute einfach ignoriert, sagt Jens Sörensen, einer der Autoren des Artikels.
„Man ist nicht wissenschaftlicher Evidenz gefolgt, sondern einer Strategie, die auf einer Ideologie basierte. Die Folge war eine Politik, bei der wissenschaftliche Fakten einfach ignoriert wurden.“
Keine Maskenpflicht während gesamter Pandemie
Jens Sörensen forscht am Institut für Global Studies an der Universität Göteborg. Als Beispiel führt er die Maskenpflicht an. Obwohl eine Vielzahl an Studien bewiesen hat, dass medizinische Masken vor einer Ansteckung mit dem neuartigen Coronavirus schützen, habe die schwedische Regierung diese Fakten ignoriert. Während der gesamten Pandemie gab es in Schweden keine Maskenpflicht. Und auch andere Schutzmaßnahmen seien vernachlässigt worden, kritisieren die Autoren des Artikels.
„Corona-Tests sind erst sehr spät eingeführt worden. Und inzwischen wird gar nicht mehr getestet. Außerdem haben die Behörden keine Kontakte von Infizierten nachverfolgt. Man hat den Menschen gesagt, dass sie selbst schauen sollen, mit wem sie Kontakt hatten und sich gegenseitig über Ansteckungen informieren. Und in den Schulen gab es keine Hygienekonzepte. Keine dieser Schutzmaßnahmen hat man in Schweden eingeführt.“
„In Schweden hatten wir eine Locked-in-Strategie"
Die Bevölkerung sei von der Regierung zudem darüber im Unklaren gelassen worden, dass auch Corona-Infizierte ohne Symptome ansteckend sind. Die Warnungen einer Gruppe von 22 schwedischen Forschenden aus unterschiedlichen Disziplinen, die das Pandemie-Bekämpfungskonzept der Gesundheitsbehörde schon sehr früh kritisierten, hätten kein Gehör gefunden. Von den laxen Maßnahmen profitiert hätten vor allem diejenigen, die Schwedens Ökonomie am Laufen halten, bilanziert Jens Sörensen. Schwächere Menschen hatten das Nachsehen.
„In Schweden hatten wir eine Locked-in-Strategie. Alte Menschen und Risikogruppen mussten sich einschließen, wenn sie keine Ansteckung riskieren wollten. Und das fast zwei Jahre lang. Es gab Familien mit Risikopatienten, bei denen sogar die Kinder Angst hatten, dass sie aus der Schule nach Hause kommen und Mama oder Papa anstecken. Diese Corona-Strategie war auf gesunde starke Schweden und Schwedinnen aus der Mittelklasse zugeschnitten, aber nicht für alte und kranke Menschen. Und ich finde das zutiefst unmenschlich und unsolidarisch.“
Besonders scharf kritisierten Sörensen und seine Kolleginnen und Kollegen, dass alten Menschen in Pflege- und Altenheimen während der ersten Coronawelle zum Teil Morphin anstelle von Sauerstoff verabreicht wurde. Eine Praxis, die auch andere Forschende verurteilen. Es gibt aber auch Intensivmediziner, die die Auffassung vertreten, eine Beatmung mit Sauerstoff hätte das Leben dieser Menschen nicht zwangsläufig verlängert. Fakt ist aber: In Schwedens Nachbarländern gab es mit durchweg strengeren Corona-Maßnahmen insgesamt deutlich weniger Todesfälle. In Schweden starben pro 100 000 Einwohner drei mal mehr Menschen an den Folgen einer Coronainfektion als in Norwegen und mehr als doppelt so viele wie in Finnland.
Schwedische Gesundheitsbehörde kritisiert den Artikel
Die schwedische Gesundheitsbehörde will die harsche Kritik dennoch nicht so stehen lassen und kommentierte den Artikel mit den Worten:
„Der Text enthält inhaltliche Fehler und erhebt schwere Vorwürfe ohne wissenschaftliche Methodik und Objektivität.“
Auf konkrete Kritikpunkte der Autoren hat die schwedische Gesundheitsbehörde auf Nachfrage bislang jedoch noch nicht geantwortet.