Die Jugend geht seit Monaten auf die Straße, Klimaschutz spielt bei Wahlen eine immer größere Rolle. Doch in der internationalen Umweltpolitik schlägt sich das noch nicht nieder: "Wir sehen kleinste Schritte, aber leider noch nicht den großen Wurf. Wir müssten eigentlich klotzen und nicht kleckern. Und das sehen wir noch nicht."
Niklas Höhne leitet das NewClimate Institute in Köln. Zusammen mit Fachkollegen zog der Physiker heute auf der Bonner Klimakonferenz Zwischenbilanz, mit der neuesten Ausgabe des sogenannten Climate Action Tracker. Das Paris-Protokoll ist inzwischen gut dreieinhalb Jahre alt. Industrie- und Schwellenländer wissen, dass sie eine viel CO2-ärmere Klimapolitik als heute betreiben müssen, sonst wird sich die Erdatmosphäre um mehr als 1,5 oder zwei Grad Celsius erwärmen.
Es reicht hinten und vorne nicht
Doch was bislang passiert, reicht hinten und vorne nicht: "Die negative Nachricht ist, dass die aktuellen Emissionen weiter steigen. Kohle ist wieder im Kommen. Und insbesondere Gas ist sehr stark gestiegen. Bei Gas ist gerade der Trend hin zu Fracking. Also unkonventionelles Gas, das mit sehr viel Energieaufwand gewonnen wird, in den USA, aber auch in anderen Ländern. Die USA sind inzwischen aufgestiegen zum größten Gas-Produzenten der Welt, auch zum größten Öl-Produzenten der Welt, vor Saudi-Arabien und Russland. Also, das sind besorgniserregende Entwicklungen."
Die gibt es offenbar auch in China und Indien, wo Kohle laut Höhne doch noch nicht abgeschrieben ist: "Beide Länder hatten vorgeschlagen, fast keine Kohlekraftwerke mehr zu bauen. Der Trend ist auch leider wieder rückwärtsgewandt. China hat wieder Kohlekraftwerke neu in Planung genommen, und auch die indischen Planungen sehen wieder weitere neue Kohlekraftwerke vor. China hat über 250 Gigawatt in Planung. In Deutschland haben wir gerade mal 42 Gigawatt laufen an Kohle-Kapazität. Also, das sind riesige Mengen."
Manche Länder ohne Ziele
Wenigstens haben sich Indien und China eigene Ziele für den Rückgang der CO2-Emissionen gesetzt. Und sie bauen auch erneuerbare Energieträger kräftig aus. Andere Staaten tun bis heute scheinbar gar nichts. In der Bewertung ihrer Klimapolitik kommen sie deshalb noch schlechter weg: "Es gibt einige Länder, die haben sich überhaupt nicht ambitionierte Ziele gesetzt. Russland oder Saudi-Arabien oder Türkei oder Ukraine sind in dieser Kategorie. Die müssen eigentlich nichts machen, um ihr Ziel zu erreichen. Das kann nicht Sinn der Sache sein."
Um eine globale Erwärmung von mehr als zwei Grad Celsius noch zu vermeiden, dürfte die Welt Mitte des Jahrhunderts praktisch kein CO2 mehr ausstoßen. Das ergibt sich aus den Berechnungen von Klimaforschern. Und das steht so auch als Richtschnur im Abkommen von Paris. Doch nur eine Handvoll Länder haben bisher entsprechende Gesetze verabschiedet. Als positiv bewertet Niklas Höhne hier vor allem, "dass England als erstes großes Land kurz davor ist, sich ein Null-Emissionsziel zu setzen. Bis jetzt sind es nur kleine Länder wie die skandinavischen Staaten, Neuseeland oder Chile. Aber wenn sich England oder Großbritannien dazu durchringen könnte, dann wäre das ein Durchbruch."
Engagement im Moment noch ungenügend
Im Moment ist das Engagement der Staatengemeinschaft aber auf jeden Fall noch ungenügend. Was bisher an Vorschlägen auf dem Tisch liegt, würde uns laut dem Climate Action Tracker bestenfalls in eine drei Grad wärmere Welt führen. Es könnte aber auch schlimmer kommen, sagt Bill Hare, australischer Physiker und Direktor von Climate Analytics in Berlin, einem Institut für Klima- und klimapolitische Analysen: "Mit dem Climate Action Tracker präsentieren wir die beste wissenschaftliche Schätzung für die künftige Erwärmung, wie sie sich aus allen vorliegenden Klimaschutzmaßnahmen ergibt. Aber es gibt da eine Unsicherheitsspanne. Und es könnten auch mehr als vier Grad Celsius sein! Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt bei 1:3. Wir wissen, dass schon drei Grad Erwärmung katastrophal wären. Vier Grad sind fast unvorstellbar!"