Dirk-Oliver Heckmann: Im Februar, da wird in Berlin regelmäßig der rote Teppich ausgerollt, denn dann werden die Kinos geöffnet für die Berlinale, für die Internationalen Filmfestspiele in Berlin. Heute ist es wieder soweit. Fotographen, Autogrammjäger und das interessierte Publikum werden Ausschau halten nach Prominenten aus Film und Politik. Auf dem roten Teppich immer als Gastgeber dabei Dieter Kosslick, Direktor der Internationalen Filmfestspiele in Berlin. Es ist bereits seine 16. Berlinale. Und ihn habe ich vor der Sendung gefragt: Ist die Anspannung, die mit dem Festival verbunden ist, immer noch die gleiche, oder hat sich mittlerweile so etwas wie Routine eingeschlichen?
Dieter Kosslick: Natürlich gibt es jetzt Routine, weil ich weiß, wie das abläuft. Ich kann mich ans erste Jahr gut erinnern, wo ich nicht wusste, wie das abläuft, dieser Riesenapparat, den wir hier inszenieren. Aber ansonsten ist ja immer wieder alles neu: Es sind neue Filme, neue Leute, neue Probleme und neue Herausforderungen, die da sind. Das ist jedes Mal wieder ein neues Spiel, was da geht. Sie wissen nie, wie es endet, und von daher würde ich mal sagen, bin ich noch natürlich aufgeregt und habe auch natürlich ein Lampenfieber. Das sollte man nicht verschweigen vor so einem großen Ding.
Keine Absagen wegen Terrorgefahr
Heckmann: Der erste große islamistisch motivierte Terroranschlag in Berlin ist ja erst wenige Wochen her, Herr Kosslick, hat viele Menschenleben gefordert. Ich kann mir vorstellen, dass der eine oder andere sich denkt, die Berlinale, das ist eine Massenveranstaltung, ein mögliches Ziel für Terroristen, da bleibe ich lieber fern. Können Sie solche Leute verstehen?
Kosslick: Aber natürlich kann ich solche Leute verstehen. Wir haben solche Anzeichen nicht. Normalerweise ist es ja so in der Geschichte gewesen, wenn so was passiert, dass dann ganz viele Absagen kommen, vor allen Dingen auch beim Filmmarkt. Ich erinnere mich noch auch in Cannes, wo so was mal stattgefunden hat. Wir haben keine einzige Absage bisher bekommen und auch niemand von den Filmteams aus Übersee. Von daher betrachte ich das auch als ein Statement, dass man sich nicht absagen lässt, sondern dass man kommt und dass man da hingeht, und wir sorgen dafür, dass die Sicherheit, die man gewährleisten kann, dass die auch gewährleistet ist, und dann gibt es auch vielleicht ein bisschen schärfere Kontrollen. Wir hatten letztes Jahr schon das Problem, da waren wir ja kurz nach den Anschlägen von Paris, und das ist gut gegangen. Und ich gehe auch davon aus, wir sind mit allen, mit der Polizei und den Sicherheitsleuten zusammen, dass wir die Lage im Griff haben, wie man so schön sagt.
"Ich habe im Moment sowieso das Gefühl, dass die Leute wieder aufstehen"
Heckmann: Sie sprechen von einem Statement. Ein Statement in welche Richtung?
Kosslick: Ein Statement, dass man sich nicht durcheinanderbringen lässt. Ich meine, wir können ja jetzt nicht irgendwie hier die Zelte abbauen und einfach heimgehen und die Tür abschließen und sagen, das war’s, und den Rest überlassen wir denen, die denken, die müssen jetzt hier ihren Terrorismus veranstalten. Da muss man aufstehen. Und ich habe im Moment sowieso das Gefühl, dass die Leute wieder aufstehen, wenn innerhalb von wenigen Tagen 1,5 Millionen Menschen in Großbritannien sich gegen den Staatsbesuch dieses Präsidenten aussprechen, oder wenn in Amerika Tausende von Menschen auf die Straße gehen, und auch bei uns sieht man ja den Aufbruch, dass was Neues passieren soll, wenn man nur mal anschaut, wie das in dem Politszenario ist. Also da bewegt sich was. Die Leute fangen auch an, darüber nachzudenken und sich zu wehren. Die lassen sich jetzt nicht mehr alles gefallen und das hoffe ich, dass das auch bei der Berlinale so bleibt. Schließlich zeigen wir auch die Filme zu diesem Thema.
Geschichten mit viel Poesie und Humor
Heckmann: Und da sind wir mitten im Thema, bei der Berlinale natürlich. Die letztjährige Berlinale, die stand ja im Zeichen der Flüchtlingssituation. Die Aufregung darum hat sich ja ein wenig gelegt. Aber die Welt ist nicht ruhiger geworden. Ich sage nur Putin, Erdogan, Trump in den USA, Sie haben es gerade schon angesprochen, die Erstarkung des Rechtspopulismus in weiten Teilen der Welt. Herr Kosslick, Sie haben dieser Tage gesagt, Mut, Zuversicht und Humor prägten die diesjährige Berlinale. Heißt das, die Berlinale, die ja als sehr politisch gilt, die tritt die Flucht ins Private an?
Kosslick: Nein! Kein Eskapismus! Was ich meine, ist eine interessante Entwicklung, die wir gesehen haben bei diesen Filmen, dass man jetzt nicht einfach nur diese traurigen Beispiele, die Sie genannt haben, beschreibt, analysiert und sich dazu verhält, sondern dass man Geschichten erfindet, die mit sehr viel Poesie auch ein Maß an Humor beinhalten, damit man das überhaupt ertragen kann. Und das hat damit zu tun, dass sehr viele dieser Filme auch immer einen Ausweg bieten. Das ist auch, glaube ich, das stille geheime Thema bei dieser Berlinale, dass die Leute jetzt darüber nachdenken, die großen Systeme haben versagt, die ökonomischen Systeme haben versagt, diese Populisten sind jetzt nach oben gekommen, wir müssen jetzt mal einen kurzen Moment stillhalten, mal ein bisschen weggucken von unserem Twitter-Account und uns mal überlegen, wo geht es denn eigentlich hin mit uns und gibt es nicht eine neue Möglichkeit, wie wir Kreativität entfalten und wie wir unser Leben gestalten können. Ich glaube, daher kommt dann diese positive Energie, von der ich gesprochen habe. Ich habe ja diese Filme alle gesehen. Es ist verblüffend: Die Themen sind alle da, aber sie werden anders behandelt als früher.
"Der Welt mit einem positiven Ergebnis gegenüber treten"
Heckmann: Gibt es so etwas wie einen Schwerpunkt, einen roten Faden diesmal?
Kosslick: Es gibt immer so ein paar rote Linien, würde ich mal sagen, die sich durchziehen. Eine ist, hängt aber auch mit dieser Diskussion zusammen, dass viele Filmemacher und Filmemacherinnen einfach zurückblicken, was ist denn da eigentlich passiert in Indien, als sie in die sogenannte Freiheit entlassen worden sind von den Kolonisatoren, von den Engländern, was ist denn da passiert und wie wirkt sich das denn bis heute aus. Afrika wird ausgebeutet. Die Kolonialleute, die die ausgebeutet haben, waren kleine Schulkinder gegen die Investoren, was die heute in Nigeria oder im Kongo anrichten mit einer Umweltzerstörung, nur alle diese wertvollen Erze und und wertvollen Erden rausholen, die wir brauchen für unser Handy. All diese Sachen sind ein Schwerpunkt auch in der Berlinale: Zurückblicken um zu analysieren, warum es heute so ist.
Und das andere sind die großen Utopien, der Kapitalismus und auch der Kommunismus. Die haben die Leute satt! Die wollen auch diese Globalisierungsgeschichte nicht mehr. Das nutzen ja die Rechten auch aus übrigens. Die Leute suchen neue Einheiten, wo sie sich identifizieren können. Sie suchen nach Menschen und neuen Familienkonstellationen, wenn man das so nennen will, wo man sich wohlfühlt, wieder nachdenken kann und dann mit einem positiven Ergebnis dieser Welt gegenübertritt. Das ist hier auch zu sehen in diesem Programm.
Und dann gibt es viele Künstlerbiografien, die wir haben, über Beuys oder über Giacometti, wo man sieht, dass einzelne Menschen doch so eine riesige kreative Kraft haben können, die ganze Welt mit ihrer Kunst zu verändern, und das passt irgendwie alles so zusammen, dass es nicht nach hinten geht bei dieser Berlinale, sondern dass wir nach vorne blicken und sagen, so, jetzt lasst uns mal gegen diese ganzen Sachen angehen und es nicht so verpennen, wie damals die jungen Leute den Brexit in London verpennt haben.
Heckmann: Der amerikanische Präsident Donald Trump, der hat weltweit für Wut und Empörung gesorgt mit seiner Einreisesperre für Personen aus muslimisch geprägten Ländern. Hollywood hat sich da klar positioniert. Hat diese Entscheidung auch für die Vorbereitung der Berlinale eigentlich irgendwelche Auswirkungen gehabt und wie positioniert sich die Berlinale dabei?
Kosslick: Na ja, sie hatte keine, weil ausreisen dürfen die ja noch, die Amerikaner. Aber man weiß ja nie bei diesem Präsidenten, was da passiert.
Heckmann: Es gibt auch den einen oder anderen, der sich überlegt, auszureisen oder in den USA zu bleiben, weil er nicht genau weiß, ob er wirklich wieder zurückkommt.
"Django Reinhardt - diese Musik trifft jeden ins Herz"
Kosslick: Da haben Sie recht. Ich kenne viele unserer Freunde, Berlinale-Freunde oder Filmfreunde, die sich tatsächlich überlegen, wegzuziehen und einfach auszureisen, weil die das einfach nicht mehr aushalten. Das verstehe ich ja. Und dann gibt es auch welche, die dann Angst haben, nicht mehr zurückkommen zu können. Aber bei uns hat das keine Rolle gespielt. Wir haben das Problem bisher nicht gehabt und ansonsten geben wir natürlich auch Amerikanern Asyl, wenn es notwendig ist.
Heckmann: Fast 400 Filme sind wieder zu sehen in den kommenden Tagen, davon 24 im Wettbewerb. Was ist Ihr persönliches Highlight?
Kosslick: Das darf ich ja gar nicht sagen. Das ist, wie wenn Sie ein Familienvater sind mit 24 Kindern, und einer fragt Sie bei der Geburtstagsfeier, welches ist denn eigentlich Ihr Lieblingskind. Dann können Sie aber die anderen 23 mal angucken, was die machen.
Ich freue mich, dass wir gute deutsche Filme auf der Berlinale haben, und zwar nicht zu knapp, 72 insgesamt im Programm, und ein Highlight ist bestimmt, wenn wir die Eröffnung haben, dass wir einen der größten oder vielleicht sogar den größten Gypsy Jazz Gitarristen der Welt, Django Reinhardt, da sehen, wie er gelebt hat, und diese Musik trifft jeden ins Herz. Und wir sehen, dass diese Musik - und das ist auch eine frohe Botschaft, die von diesem Film ausgeht - die ungeheuerliche Kraft, negative Kraft der Nazis am Ende doch obsiegt hat.
Heckmann: Heute beginnen die Internationalen Filmfestspiele in Berlin. Wir haben gesprochen mit Dieter Kosslick, dem Berlinale-Direktor. Herr Kosslick, danke Ihnen für Ihre Zeit und toi toi, toi!
Kosslick: Ja, ich danke Ihnen! Schönen Tag! - Tschüss!
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