Einen "neuen Blick auf das Werk von Alberto Giacometti" soll das "Institut" ermöglichen - und das gelingt. Zwar wird wohl kaum ein Besucher ein gänzlich neues Giacometti-Verständnis mit nach Hause nehmen, doch alleine schon das nachgebildete Atelier setzt die Vorstellungskraft aufs Schönste in Bewegung. Von 1926 bis zu seinem Tod 1966 arbeitete Giacometti im Pariser Stadtteil Montparnasse auf über und über vollgestellten 23 Quadratmetern - und was darin bei seinem Tode sich befand, bewahrte die Witwe des Künstlers, Annette Giacometti, sorgsam auf; eine bis in die kleinsten Details originalgetreue Nachbildung des alten Ateliers erwartet den Instituts-Besucher gleich zu Beginn. Ein Bett in der Ecke, darauf ein Mantel, davor eine Staffelei; an den abgelösten Originalwänden finden sich Farben und Skizzen, Gemälde und afrikanische Masken; Zeichnungen, Briefe liegen herum, auf dem Boden halbfertige Gips-Skulpturen, auch ein Entwurf zum berühmten "Schreitenden Mann" findet sich, ein Hocker, ein Arbeitstisch mit Tuben, Stiften, Stößeln, Lappen und Dutzenden von Pinseln - es ist, als hätte Alberto Giacometti den Raum gerade erst verlassen.
"… das sind alles Sachen, die sich 1966 in seinem Atelier fanden. Auch die Aschenbecher… Selbst die Zigaretten, wie Sie sehen!"
Sagt Serena Bucalo-Mussely, die für die Stiftung die erste Sonderausstellung erarbeitet hat, in der die Künstlerfreundschaft Giacomettis mit dem Schriftsteller Jean Genet ausführlich dargestellt wird.
Als hätte Giacometti "den Raum gerade erst verlassen"
Die Idee zum "Giacometti-Institut" entstand aus der Not heraus: die Stiftung besitzt aus dem Nachlass der Witwe mehr als 300 Skulpturen, mehr als 90 Gemälde sowie Tausende von Arbeiten Giacomettis auf Papier - aber sie hatte keinen Platz, um die Schätze auch zu zeigen. Also suchte die Stiftungspräsidentin Cathérine Grenier einen Ort dafür: und fand ihn in Montparnasse in einer Jugendstilvilla im früheren Atelier des Art Déco-Designers Paul Follot. Auf 350 Quadratmetern werden Giacomettis Werke nun gezeigt, seine schon "klassischen" Bronzen, aber auch Entwürfe dazu, Gemälde, Zeichnungen, Briefe sowie seine gesamte Bibliothek. Cathérine Grenier:
"Giacometti ist berühmt für seine dünnen Figuren, für den "Schreitenden Mann" etwa, und natürlich freut uns das. Aber wir möchten auch anderes zeigen, seine Vorliebe für Gips zum Beispiel. Giacometti liebte Gips, damit fing er an. Seine Gipsfiguren bemalte er, stellte sie auch oft und gerne aus - wenn sie auch sehr zerbrechlich waren, deshalb bevorzugten die Sammler seiner Zeit die Bronzen. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern: dass Giacometti eigentlich das Zarte, Zerbrechliche sehr mochte, anders als seine Kollegen sah er Gips als vollwertiges Material für Objekte der modernen Skulptur an. Das zeigen wir, auch seine filigranen, empfindlichen Werke und zwar in großer Nähe zum Besucher."
Das Institut will kein Museum, sondern eine Forschungseinrichtung sein
In der Tat: man kann sehr dicht an die Objekte herangehen, kann sie studieren, in manchmal geradezu intimer Atmosphäre. Kein Museum, sondern eine Forschungseinrichtung will das Institut sein: jeder kann kommen, muss aber vorher reservieren - mehr als 40 Besucher gleichzeitig werden nicht hineingelassen. Das ermöglicht dem Einzelnen, sich wirklich in Ruhe und aus verschiedenen Distanzen auf die Kunst Giacomettis einzulassen: auf seine Gemälde in gedämpfter Farbpalette, auf den zerbrechlichen Kosmos seiner Gipsfiguren, auf die dürren, immer weiter reduzierten, immer weiter in die Länge gezogenen Bronzen. Cathérine Grenier:
"Wir möchten im Institut wirklich einen neuen Blick auf ihn ermöglichen. Aus Sicht der Kunsthistoriker, aber auch aus Sicht zeitgenössischer Künstler. Annette Messager zum Beispiel zitiert Giacometti immer wieder in ihren Installationen, und sie wird im Herbst in diesen Räumen hier eine Installation errichten. Giacometti hat auch die großen Fotografen angezogen, Brassai, Man Ray, Doisneau - alle waren sie bei ihm. Also laden auch wir Fotografen ein, Peter Lindbergh wird den Anfang machen, er wird - sozusagen - das "Innenleben" der Skulpturen Giacomettis sichtbar machen, Giacomettis Skulpturen haben ein reiches Innenleben - und das interessiert Fotografen sehr…"
Ein Ort für die Forschung, zugänglich auch für Nicht-Fachleute: mit dem "Institut Giacometti" hat die ohnehin schon so reiche Kunstszene von Paris eine weitere und große Bereicherung erfahren.