Am Nachmittag (31.10.2020) ist der Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg (BER) mit neunjähriger Verspätung eröffnet worden. Dutzende Umweltaktivisten protestieren gegen Fluglärm und die Umweltverschmutzung durch Flugreisen.
Ganz nah beim Flughafen wohnt und lebt Udo Haase. Er war 30 Jahre lang Bürgermeister von Schönefeld und wird an der
Einweihungsfeier des BER
teilnehmen.
Friedbert Meurer: Wenn ich das richtig sehe, freuen Sie sich. Warum freuen Sie sich heute über den neuen Flughafen?
Udo Haase: Heute gibt es viele Gründe, sich zu freuen: zum einen, weil nun endlich dieser Flughafen an den Start geht. Zum anderen ist heute auch noch ein Feiertag in Brandenburg, wir haben ja den Reformationstag – das wäre auch für Berlin ein großer Grund zu feiern, aber die haben nur vor drei Jahren feiern dürfen, als wir 500 Jahre Reformation hatten. Heute kommt dann noch Halloween, unser Lütke Daldrup hat Geburtstag, und in Schönefeld wird heute in der Kirche noch eine neue Orgel eingeweiht. Also wir haben viele Gründe zu feiern und freuen uns über so vieles hier in Schönefeld, und wenn es nicht schon ein Feiertag wäre, wäre mein Vorschlag, daraus einen zu machen.
"Müssen beides sehen: Lärm und die Entwicklung, die der Flughafen bringt"
Meurer: Jetzt wird sich mancher wundern, dass der ehemalige Bürgermeister – Sie waren es, glaube ich, bis Ende Dezember, fast 30 Jahre lang, haben das alles mitverfolgt –, dass der Bürgermeister von Schönefeld sich wahnsinnig darüber freut, dass sie bald einen Heidenlärm aushalten müssen.
Haase: Na ja, der Lärm ist das eine. Wir müssen ja mal beides sehen: Lärm und auch die Entwicklung, die dieser Flughafen mit sich bringt – nicht nur als Jobmotor, sondern auch als ganz großer Impulsgeber für die gesamte Region. Wir haben hier Zuzüge, wo andere vielleicht von träumen, wir haben die Einwohnerzahl ja in Schönefeld verdreifacht und werden sie noch mal verdreifachen, und wir haben viele, viele Arbeitsplätze geschaffen. Wir haben in Schönefeld Dinge möglich gemacht, die anderen so gar nicht möglich wären, und das wäre ohne Flughafen auch nicht möglich gewesen, zum Beispiel Bau eines S-Bahnhofes, Bau einer Schwimmhalle, Bau von zwei Gymnasien und viele andere Dinge. Die sind so wichtig für uns gewesen, und das ging nur in Zusammenarbeit mit dem Flughafen.
"War klar, dass wir uns zu einer Flughafenstadt hin entwickeln"
Meurer: Schönefeld boomt, 5.000 Einwohner waren es mal vor 30 Jahren, jetzt sind es, korrigieren Sie mich, 17.000 etwa, könnten 45.000 werden. Hat das alles den Preis, dass der Ort total sein Gesicht verändert?
Haase: Die Sache war seit Anfang der 90er-Jahre klar, dass wir hier im Gegensatz zu anderen Gemeinden viel mehr Gewerbe ansiedeln, viel mehr Wohnungen errichten und dass wir im Prinzip uns zu einer Flughafenstadt hin entwickeln.
Meurer: Sie haben mal erzählt von einer Episode, dass Sie im Urlaub waren, und als Sie sagten, Sie kommen aus Schönefeld, hat es brüllendes Gelächter gegeben. Ja, das war für Deutschland eine Lachnummer, was da passiert ist. Wie haben Sie das alles wahrgenommen?
Haase: Aber die Geschichte muss man so erzählen: Wir waren in Namibia, stimmt, und erzählten die Geschichte, dass wir aus Schönefeld kommen, alles lachte, aber – und jetzt kommt’s –, da sagte der eine: Na, das macht euch sympathisch, ist ja wie bei uns. Und da hatten wir praktisch die Sympathien auf unserer Seite, weil wir ja auch nicht nur die Oberlehrer sind als Deutsche in aller Welt. Wir haben zwar eine gute Ingenieurkunst gehabt, die einen Namen hatte, aber die ist ein bisschen angekratzt worden durch Schönefeld – nicht nur durch Schönefeld, wir haben ja noch mehr Großbaustellen in Deutschland –, und das macht uns so ein bisschen sympathisch in anderen Ländern.
Neun Jahre lang Investoren bei Laune halten
Meurer: Sind Sie in den neun Jahren Verzögerung – 2011 sollte es ja schon losgehen –, sind Sie manchmal verzweifelt und haben gedacht, es gibt im Leben nichts mehr?
Haase: Für mich gab’s das nie. Ich hatte immer Optimismus und wusste, dass der Flughafen an den Start geht, und musste natürlich in der gesamten Zeit immer die Investoren trösten und bei Laune halten, dass die nicht abspringen. Wir haben ja viele Investoren, die hier Land gekauft haben, die bauen wollen seit vielen Jahren, und die waren jedes Mal, wenn wieder eine neue Absage kam, total enttäuscht und haben überlegt, gehen wir weg oder bleiben wir in Schönefeld. Und da war dann meine Aufgabe vor allem darin, diese Menschen auch ein bisschen bei Laune zu halten und zu sagen, Leute, glaubt an Schönefeld, hier entsteht der Berlin-Brandenburger Flughafen. Ist ja gelungen.
Meurer: Umgekehrt haben die neun Jahre auch einen Vorteil gehabt, wie man lesen kann, in der Zeit konnte dann doch einiges gebaut werden, S-Bahnhof und dergleichen, was 2011 nicht fertig geworden wäre.
Haase: Es waren viele Dinge, die wir hier in der Zwischenzeit … Wenn ich jetzt so an die Radwege denke, wir haben ja hier über 80 Kilometer Radwege gebaut, wir haben die Orte versehen mit moderner Infrastruktur, wir haben Straßen ausbauen können, wir haben Schulen, Feuerwehren, Kindergärten erneuert und sind eigentlich fit für diesen Flughafen, jetzt noch besser als vor neun Jahren.
"Natürlich kommt mehr Fluglärm dazu"
Meurer: Aber es gibt ja auch Proteste, mehr Flugverkehr wird mehr Fluglärm bedeuten. Was kommt da auf Schönefeld zu und die Nachbargemeinden?
Haase: Na ja, da kommt natürlich mehr Fluglärm dazu, aber es gibt ja ein Schallschutzprogramm des Flughafens, und ich denke, das wird viel Unmut abmindern können. Zudem arbeiten wir ja auch im Dialogforum sehr eng mit dem Flughafen zusammen, um bestimmte Dinge zu mildern und angenehmer zu machen für die Leute. Und die Entwicklung auch im Flugzeugbau geht ja dahin, dass man jetzt Hybrid- oder elektrisch Fliegen nicht nur diskutiert, sondern die ersten Flieger mit zehn, zwölf Leuten an Bord können ja schon elektrisch fliegen. Also, da wird sich auch einiges ändern.
Meurer: Mit den besseren Fenstern davon profitieren, glaube ich, vor allen Dingen die Schönefelder, aber die ein bisschen weiter vom Flughafen wohnen, dann weniger.
Haase: Na ja, es gibt ja ganz klare Lärmkarten, und die sind untersucht und hinterlegt worden, und jeder, der dort entsprechend mehr Lärm hat, hat auch die Möglichkeit – so ist mir zumindest bekannt –, auch einen Antrag zu stellen auf Lärmschutz.
"Drachen steigen zu lassen vor dem Flughafen gefährdet den Flugverkehr"
Meurer: Jetzt gibt es Proteste heute auch von Klimaschützern, wir haben gerade gehört, sie seilen sich am Terminal ab, haben versucht, in das Terminal einzudringen. Wenn Sie jetzt gleich zum Flughafen fahren, wenn Sie die Gelegenheit hätten, was würden Sie den Klimaschützern sagen?
Haase: Die würde ich schon darauf hinweisen, dass wir hier damit ja nicht nur hier in Schönefeld, sondern weltweit überall die gleichen Probleme haben. München ist viel stärker belastet, Frankfurt ist stärker belastet, andere Orte sowieso. Nun könnte man den Protest ja auch überall machen, aber das macht man nicht. Was mich geärgert hat bei diesen Protesten, war vorher die Ansage, dass man vorhatte, Drachen steigen zu lassen vor dem Flughafen. Dafür hab ich überhaupt kein Verständnis mehr, denn das gefährdet ja den gesamten Flugverkehr. Wer will denn so etwas verantworten?
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