"Hindemith ist einer von denen, die uns von ihrer Sendung als Wegbereiter der Kunst der Zukunft zu überzeugen vermögen."
So las man im "Donaueschinger Tageblatt" nach der Uraufführung des 3. Streichquartetts von Paul Hindemith im Festsaal des Schlosses. Es war der Schluss- und Höhepunkt der ersten Donaueschinger Musiktage, die am 31. Juli 1921 begonnen hatten. Im Vorjahr hatte der Mannheimer Musikprofessor Willy Rehberg hier ein "kleines Musikfest für junge aufstrebende Talente" angeregt. Der wohlhabende Fürst zu Fürstenberg förderte das Projekt, woraufhin ein dreiköpfiger Arbeitsausschuss eingerichtet wurde. An seiner Spitze stand der Donaueschinger Musikdirektor Heinrich Burkard.
Verzicht auf große Besetzungen und Pathos
"Er reiste bald durch ganz Deutschland, um sich ein Netzwerk von Unterstützern aufzubauen, so etwa mit dem Dirigenten Hermann Scherchen, dem Pianisten Eduard Erdmann oder dem noch ganz jungen Paul Hindemith." So der Musikwissenschaftler Matthias Schmidt, der die Gründung der Musiktage zu dieser Zeit und an diesem kleinen Ort als Wagnis einschätzt. "Das war ein echtes Statement inmitten der desolaten oder zumindest entmutigten öffentlichen Musikszene nach dem verlorenen Weltkrieg in Deutschland."
Hindemith reichte sein neues Streichquartett voll Skepsis ein. Für die vorgesehenen Interpreten war es zu schwierig, weshalb der Komponist extra dafür ein neues Ensemble gründete: das Amar-Quartett. Die frühen Donaueschinger Musiktage beschränkten sich auf Kammermusik nicht nur deswegen, weil sich dies leichter organisieren ließ. Es entsprach auch dem Drang vieler junger Komponisten, auf große Besetzungen und romantisches Pathos zu verzichten.
Matthias Schmidt: "Kammermusik war ja nicht massen- oder modetauglich, und mit ihr war ein echter Dialog zwischen Komponisten, Interpretinnen und Interpreten, Kritik und Publikum möglich."
Die sommerlichen Musiktage führten zu guten Begegnungen, wie der Komponist Max Butting bestätigte: "So bildete sich ein Kreis aus jungen Begabungen künstlerisch verschiedenartigster Herkunft; sein Charakteristikum ist nicht eine Einheitlichkeit, sondern die Verständigung innerhalb der Vielseitigkeit."
Radikaler Kurswechsel im NS-Regime
Paul Hindemith, dem die Uraufführung seines 3. Streichquartetts zum Durchbruch verhalf, wurde ab 1923 der wichtigste Kopf des Arbeitsausschusses. Sogleich schlug er Heinrich Burkard vor, auch Arnold Schönberg und Anton Webern einzuladen.
"Wenn Du diese Sachen hast, steht Donaueschingen moralisch hoch über allen anderen Musikfesten dieses Jahres." Tatsächlich erklangen hier 1924 neben neuen Werken von Erwin Schulhoff, Josef Matthias Hauer und Ernst Toch auch solche von Arnold Schönberg und Anton Webern.
Von den 13 Komponisten, die 1924 in Donaueschingen vorgestellt wurden, waren vier Deutsche, fünf Österreicher und vier aus Ländern des europäischen Ostens. Deutschnationale Zeitungen griffen das Musikfest deshalb als Produkt eines – wie es hieß – "internationalen Judentums" an. Entsprechend kam es unter dem NS-Regime zum radikalen Kurswechsel.
Neue Orchestermusik rückte ab 1950 in den Mittelpunkt
Als ab 1950 der Südwestfunk Baden-Baden die künstlerische Verantwortung für das Festival übernahm, verschob sich der Akzent auf neue Orchestermusik. So kam es 1961 zur aufsehenerregenden Uraufführung der Klangkomposition "Atmosphères", in der der Komponist György Ligeti seine Erfahrungen mit elektronischer Musik verarbeitet hatte.
Die Donaueschinger Musiktage sind heute weltweit das älteste Festival für Neue Musik. Ihr Ziel ist die weltoffene Gegenüberstellung verschiedenster Modelle zeitgenössischer Tonkunst – wie schon 1921.
Matthias Schmidt "So wurde bereits damals etwas Wirklichkeit, was auch heute noch den Reiz des Festivals ausmacht, nämlich die Möglichkeit, Unbekanntes zu erproben, unterschiedlichste Strömungen zusammenzubringen, vergleichsweise zwanglos Erfahrungen auszutauschen und damit gemeinsam Neuland der Kunst zu erforschen."