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Erderwärmung
Studie: Erreichen des 1,5-Grad-Ziels unplausibel

Viele Fachleute bezweifeln mittlerweile, dass die Menschheit eine Erderwärmung um nicht mehr als 1,5 Grad noch einhalten kann. Ein Report von Forschern aus Hamburg untermauert dieses Skepsis jetzt. Sie benennen klar und umfassend, woran es hakt.

Von Volker Mrasek |
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Lässt sich der Anstieg der globalen Durschnittstemperatur begrenzen auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit? (Karl-Josef Hildenbrand dpa/lby (c)
Das ist die Rechnung, die die Klimaforschung heute aufmacht: Um das 1,5-Grad-Ziel noch zu schaffen, muss die Welt bis 2050 dekarbonisiert sein, das heißt: Mitte des Jahrhunderts dürfen die Länder der Erde im Grunde keine Treibhausgase mehr ausstoßen.

Noch knapp drei Jahrzehnte bis dahin, also genügend Zeit, sollte man meinen! Doch für den Hamburger Exzellenzcluster ist der Zug bereits abgefahren. Nicht, weil das Klima schon bald kippt. Sondern weil der gesellschaftliche Wandel zu langsam abläuft. So das Fazit der neuen Studie aus dem Projekt.

Anita Engels stellte sie mit vor. Sie ist Soziologie-Professorin an der Universität Hamburg: „Es gibt ja sehr viele andere wissenschaftliche Arbeiten dazu, die zeigen, wie es noch geschafft werden kann, und die Mut machen. Wir versuchen aber, realistisch-nüchtern da ranzugehen, um zu verhindern, dass sich die Gesellschaft ständig etwas in die Tasche lügt. Und wir sind nicht mal in Ansätzen auf dem richtigen Pfad.“  

Konsum oder Klimaschutz?

Dabei gebe es durchaus positive Entwicklungen. Immer mehr Klimaschutzbewegungen und -projekte auch auf regionaler und städtischer Ebene, genauso wie die steigende Zahl von Gerichtsurteilen zu Gunsten von Klimabelangen. Doch viel schwerer wiegen zwei andere „gesellschaftliche Treiber“, wie sie in der Studie genannt werden. Sie verhinderten die notwendigen, stärkeren Emissionsminderungen, so die Forscherin: „Dagegen sprechen vor allem die Unternehmensreaktionen und die globalen Konsummuster.“               

Demnach fehlt immer noch ein Umdenken bei vielen Menschen. Nur wenige sind bereit, ihren Lebensstil zu ändern, selbst wenn er mit einem hohen Energie- und Ressoucenverbrauch einhergeht wie in den reichen Ländern.

Auch die Wirtschaft zögert, wirklich klimafreundlicher zu werden: „Was wir bei den Unternehmen versucht haben, weltweit einzuschätzen, ist: Wie ernsthaft ist die Mehrheit der Unternehmen schon auf dem Weg, tatsächlich Emissionen zu mindern? Wir haben da ja so einen Wettbewerb der Klimaneutralitätsziele, den sich da gerade viele Unternehmen geben. Wenn man sich das genau anschaut, dann sieht man eben, dass die Kernprozesse in diesen Unternehmen in der Masse noch nicht wirklich ernsthaft in eine andere Richtung weisen.“

Anlass zu Fatalismus?

Wir selbst und die Wirtschaft als Bremser! So kann das nichts werden mit der schleunigen Dekarbonisierung und dem 1,5-Grad-Ziel: „Das reicht eben noch lange nicht aus! Das kann man daran erkennen, und das ist relativ gut untersucht, dass die Erwartungen der Investoren das einfach noch nicht mit einpreisen. Also, im Moment läuft die große Wette auf den Finanzmärkten noch gegen die tiefe Dekarbonisierung.“       

Dennoch dürfe die Gesellschaft in ihren Bemühungen um mehr Klimaschutz nicht nachlassen. Das betonte heute Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie. Dabei berief er sich auch auf Erkenntnisse des Weltklimarates:

„Vielleicht dieses Fatalistische: Ist ja jetzt eh egal! Anderthalb Grad sind durch, dann vergessen wir das ganze Thema doch! Da ist die Antwort leicht zu geben: Für jedes halbe Grad zusätzlicher Globalerwärmung bekommen wir eine deutlich wahrnehmbarere Risikozunahme durch Hitzewellen, Überschwemmungen und Dürren. Und das bedeutet: Egal, welches Maß an globaler Erwärmung bereits geschehen ist – man mindert immer das weitere Risiko, indem man weitere Erwärmung verhindert.“         

Möglicherweise ist es sogar schon zu spät, um zwei Grad Celsius mehr zu verhindern. Das legt eine neue US-amerikanische Studie nahe. Ein Forschungsteam hat dafür Klima- und Emissionspfade mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz überprüft. Das Ergebnis: Wenn wir unsere Emissionen nicht bis 2050 auf Null reduzieren, kommt es vielleicht noch schlimmer. Selbst zwei Grad Erwärmung könnten dann unausweichlich sein.