Archiv


Erschreckende Auswirkungen und neue Perspektiven

Etwa 85 Prozent Grönlands sind von Eis bedeckt: Öl, andere Rohstoffe und günstige Energiequellen sind darunter verborgen. Gleichzeitig ist das Land stärker als andere Staaten vom Klimawandel bedroht. Für europäische Ohren befremdlich, sehen einige Politiker in Grönland aber einen wirtschaftlichen Nutzen in der Erwärmung der Erdatmosphäre. Marc-Christoph Wagner berichtet.

    Im Hafen von Ilulissat herrscht ein buntes Treiben. Fischerboote legen an und fahren hinaus. Auf den Stegen präparieren Männer mit gegerbten Gesichtern ihre Netze für den nächsten Tag. Nur die wenigsten von ihnen interessieren sich dafür, was oben am Hang, im Kongresshotel des Ortes, in diesen Tagen verhandelt wird. Klimawandel, sagt einer der Fischer schulterzuckend, habe es immer gegeben, die Grönländer hätten sich stets angepasst. Zumal – wenn es wärmer werde, ließe sich das in der Disko-Bucht vor Ilulissat vermutete Öl leichter fördern:

    "Ich selbst fische hier draußen im Eisfjord, der ist sehr tief, 800 Meter. Das Öl liegt etwa 100 Seemeilen weiter draußen. Das ist weit weg, da wird schon nichts passieren. Und wenn wir eines Tages Öl fördern, dann müssen wir auch nicht mehr fischen."

    Wenige hundert Meter entfernt, am kleinen Flughafen von Ilulissat, lässt Pilot Anders Dollberg die Rotoren an. Seit sieben Jahren fliegt der Däne in Grönland – keine Ewigkeit, und doch seien die Veränderungen spürbar:

    "Ich will nicht sagen, dass das Wetter besser geworden ist. Aber der Jakobsgletscher hier ist in meiner Zeit markant zurückgegangen. Was uns Piloten jedoch am meisten auffällt, ist das gestiegene Interesse für die Region – Touristen, Wissenschaftler, die den Klimawandel erforschen. Seitdem die UNESCO den Gletscher zum Welterbe erklärte, sind die Besucherzahlen enorm gestiegen."

    Gut eine halbe Flugstunde von Ilulissat entfernt, in nordöstlicher Richtung, mitten auf dem Inlandeis, liegt das Swiss Camp. 1990 wurde die Forschungsstation etabliert, um die Bewegung der grönländischen Eisdecke kontinuierlich zu messen. Und die Tendenz, so erklärt der Schweizer Glaziologe Thomas Philips, Doktorand an der University of Colorado, ist eindeutig. Immer schneller bewegten sich die Eismassen in Richtung mehr, immer größere Mengen stürzen ins Meer.

    "Und wir glauben, dass in diesem Gebiet 65 bis 70 Prozent des Eises ungeschmolzen in den Ozean hineinkommt. Und das hat natürlich großen Einfluss auf den Meeresspiegel. Weil es ist wie bei einem Glas Wasser. Wenn man Eis rein wirft, dann muss das Wasser nicht geschmolzen sein, um den Wasserspiegel anzuheben."

    200 Kubikkilometer waren es allein im vergangenen Jahr – zwei Mal die gesamte Gletschermasse der Alpen oder mehr als vier Jahre Wasserversorgung für ganz Deutschland. Doch was in Europa und anderen Teilen der Welt ernsthafte Sorge auslöst, betrachtet Grönland als Chance. Das schmelzende Eis mache bislang unzugängliche Schiffrouten wie die Nordwestpassage befahrbar, bedeute den Zugang zu günstiger Energie aus Wasserkraft, und es biete sogar die Perspektive einer Unabhängigkeit von Dänemark. Könnte Grönland die enormen Öl- und Gasressourcen vor seinen Küsten fördern, stünde das Land wirtschaftlich auf eigenen Beinen, sei nicht mehr angewiesen auf die Zuschüsse aus Kopenhagen. Einwände, mehr Öl und Gas würden den Klimawandel nur weiter befördern, lässt Grönlands Außenministerin und die Gastgeberin der heutigen Konferenz in Ilulissat, Aleqa Hammond, so auch nicht gelten:

    "Man kann die Dinge immer aus unterschiedlicher Perspektive betrachten – und das sollte man auch. Aber Tatsache ist doch, in der Welt von heute kommen wir ohne Öl nicht aus. Es wäre schön, wenn es so wäre, wenn alle Autos mit Wasserstoff oder Strom fahren würden. Doch bis es soweit ist, braucht die Welt das Öl."