Der syrische Präsident Baschar al-Assad unterzeichnete das "Gesetz Nummer 10" Anfang des Monats. Es ist Teil eines neuen Rechtsrahmens für den Wiederaufbau des Landes. Erwin van Veen von der niederländischen Denkfabrik Clingendael hat sich ausführlich mit dem "Gesetz Nummer 10" befasst:
"Diese Gesetzgebung und die Aussagen von Regimevertretern, dass die Flüchtlinge nicht unbedingt eingeladen sind zurückzukehren, lässt es so aussehen, dass dieses Gesetz als Vehikel dienen könnte, um Menschen ihren Grundbesitz zu nehmen."
Laut dem Gesetz werden in jedem Bezirk Ämter für den Wiederaufbau geschaffen. Nachdem dann ein Bebauungsplan erlassen wurde, müssen die Besitzer von Land, Häusern und Wohnungen ihre Eigentumsrechte bei dem Amt nachweisen, innerhalb von 30 Tagen.
Jeder zweite Syrer ist auf der Flucht
Doch dazu dürften Hunderttausende nicht in der Lage sein. Etwa jeder zweite Syrer ist auf der Flucht - einige wegen Kämpfen in ihrer Heimat, andere, weil sie politisch gegen die Regierung aktiv waren, wieder andere, weil sie nicht in die Armee eingezogen werden wollten.Van Veen:
"Und wenn die Leute diesen Nachweis nicht erbringen können - was dann? Das Gesetz ist in diesem Punkt nicht sehr deutlich. Aber man sieht sofort, dass es einer massenhaften Enteignung Tür und Tor öffnen könnte."
Van Veen befürchtet eine groß angelegte demografische Umschichtung in syrischen Städten; sie waren häufig Hochburgen des Widerstands gegen die Regierung. Dabei, so sein Szenario, würden regierungstreue Unternehmer die Rechte an umverteilten Grundstücken erhalten und sie bebauen. Armenviertel, die Zentren der Opposition waren, würden verschwinden - und durch Nachbarschaften für Assad-treue Bürger ersetzt. Van Veen:
"Beim Wiederaufbau ist das der Leitgedanke des Regimes: Wer hat sich loyal verhalten, wer war nicht loyal? Die Loyalisten werden belohnt oder bekommen bestimmte Privilegien. Und wer nicht loyal war, wird nötigenfalls kollektiv bestraft."
Nur die Hälfte des Landes in Katasterämtern erfasst
Laut dem Norwegischen Flüchtlingsrat haben zwei Drittel der syrischen Flüchtlinge, die jetzt im Ausland leben, in der Heimat ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung. Doch nur 17 Prozent von ihnen besitzen Eigentumsdokumente. Bereits vor dem Krieg wechselten Immobilien häufig ohne Eintrag ins Grundbuch den Eigentümer. Und ohnehin ist nach Angaben der Weltbank nur etwa die Hälfte des Landes in den Katasterämtern erfasst.
Aus Sicht des niederländischen Forschers van Veen würde es der Regierung nutzen, wenn viele Menschen ihren Grundbesitz durch das "Gesetz Nummer 10" verlieren würden:
"Es könnte dabei helfen, dass Flüchtlinge da bleiben, wo sie jetzt sind, im Libanon, in der Türkei, in Jordanien, im Irak - denn dann sind sie nicht das Problem des Regimes. Wenn es ihre Rückkehr erlauben würde, hätte das Regime auf einmal die Last zu tragen, dass es sich um sie kümmern müsste. Derzeit macht die internationale Gemeinschaft das."
Kürzlich hatte der syrische Minister für Versöhnung gegenüber Politikern der AfD gesagt, alle Flüchtlinge seien herzlich eingeladen, nach Hause zurückzukehren; für den Wiederaufbau werde jeder gebraucht. Van Veen hält das für gelogen:
"Wenn man das ernst meinen würde - wissend, dass die Hälfte der Bevölkerung auf der Flucht ist -, dann würde man kein Gesetz machen, das den Leuten 30 Tage gibt, damit sie ihren Besitz nachweisen."