Im Büro von Frank Warnecke hängt ein Plakat mit einem Affen darauf. Darunter steht im hellblauen AfD-Design "Affen für Deutschland". Warnecke ist Fraktionsvorsitzender der SPD im Erfurter Stadtrat und hat offensichtlich nichts mit der AfD am Hut. Neben ihm sitzt Oskar Helmerich. Der ist ebenfalls Stadtrat, parteilos, aber noch vor einem Jahr war er Mitglied der AfD. Nun ist er frischgewähltes Mitglied der SPD-Fraktion im Stadtrat. Über die SPD weiß er nur Gutes und Bestes zu berichten.
"Die SPD macht sich Gedanken, die differenziert. Die SPD ist keine Partei, die nicht Kompromisse sucht. Der Kompromiss ist ein ganz wichtiges Element einer Demokratie. Da kommt der soziale Aspekt dazu; der ist für mich sehr wichtig. Die SPD ist auch eine Wirtschaftspartei."
Helmerich hat eine sozialdemokratische Herkunft
Oskar Helmerich muss es wissen, schließlich kommt er aus einer sozialdemokratischen Familie. Dennoch hat er vor drei Jahren die AfD in Thüringen mit aufgebaut, saß im Landesvorstand, führte einen Kreisverband, beherbergte zeitweise die AfD Landesgeschäftsstelle in seiner Rechtsanwaltskanzlei, wurde auf der AfD Liste in Stadtrat und Landtag gewählt. Noch vor einem guten Jahr, im März 2015, war die AfD seine Partei: "Die AfD setzt aus meiner Sicht ihren Erfolgskurs ungehindert fort. Und von einem Scheideweg braucht man nicht auszugehen."
Dann aber setzte sich der rechte Flügel der AfD durch, Helmerichs Themen, der Euro, die Griechenland-Hilfen, waren vom Tisch; es ging nur noch um Flüchtlinge. Helmerich wurde immer fremder in der eigenen Partei und schließlich von seinem Fraktionschef im Landtag, Björn Höcke, aus Fraktion und Partei geekelt. Im Stadtrat und im Landtag saß er dann allein. Politisch bewegen ließ sich da nicht viel, übrig blieben abseitige Themen: "Welche Möglichkeiten hat beispielsweise ein Behinderter; wie kann der die Angelfischerei ausüben? Welche Möglichkeiten gibt es da für ihn?"
Im Plenum giftet Helmerich nun regelmäßig gegen die AfD: "Die angeklungenen Verschwörungstheorien sind abenteuerlich und vermutlich Ausdruck einer umfassenden Persönlichkeitsstörung."
Über Helmerichs Glaubhaftigkeit gehen die Meinungen auseinander
Bei Abstimmungen hält er sich meist an Rot-Rot-Grün. Die nehmen die zusätzliche Stimme zur eigenen knappen Mehrheit gern an. Vorsichtige Annäherungsversuche wehrte die SPD aber zunächst ab, denn viele Sozialdemokraten sind skeptisch, zum Beispiel Diana Lehmann, SPD-Abgeordnete im Landtag.
"Ich finde, dass man sich sehr genau überlegen muss als Partei und auch als Fraktion, ob man jemand, der mal Mitglied einer deutlich rechtspopulistischen Partei war, ob man den in die eigene Fraktion und die eigene Partei aufnehmen möchte. Ich persönlich würde mich da erst mal gegen verwehren."
In Juristenkreisen erzählt man sich zudem, dass Helmerich jahrelang mit einem Anwalt befreundet war, der für Rechtsaußen-Parteien kandidierte und regelmäßig Thüringer Nazis vor Gericht vertreten hat. In der SPD- Stadtrat-Fraktion haben sich nach kurzer Diskussion dennoch die Pragmatiker gegenüber den Moralisten durchgesetzt und Helmerich mit acht gegen vier Stimmen aufgenommen. Der SPD-Landesvorsitzende und Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein begrüßte den Schritt. Die SPD kann jeden Mann gebrauchen. Andere Genossen protestieren. Der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende warf aus Protest das Handtuch. Der Ex-AfD-Mann Helmerich aber zeigte sich dankbar:
"Ich kann nur sagen: Die SPD bietet eigentlich für einen Demokraten alles, was man sich wünscht." Vor einem guten Jahr sagte er noch: "Ich bin konservativ; ich verfolge auch konservative Ziele."
Wenn er im Stadtrat sitzen darf, muss er auch im Landtag sitzen dürfen
Heute wird die SPD-Landtagsfraktion darüber diskutieren, ob der Wandel glaubhaft ist und Helmerich auch bei ihr Mitglied werden könnte. Für den SPD-Fraktionschef im Stadtrat, Frank Warnecke, der auch in der Landtagsfraktion sitzt, reine Formsache.
"Es wäre ja nur konsequent. Also, wenn ich ihn jetzt in die Stadtratsfraktion aufnehme, dann können wir ja nicht sagen: Also Stadtratsfraktion, das geht, aber Landtagsfraktion, das geht nicht. Also entweder oder, muss ja gleiches Recht gelten. Wenn es zur Abstimmung kommt, würde ich mich dafür aussprechen."
Die Abgeordnete Lehmann bleibt dagegen skeptisch. "Er müsste schon sehr gute Argumente bringen, weil es aus meiner Perspektive nicht plausibel ist, wie man sich in einem so kurzen Zeitraum aus einer so radikalen Position zu einer solidarischen, sozialdemokratischen Position entwickeln sollte."
Für den SPD-Fraktionsvorsitzenden Matthias Hey ist angeblich noch alles offen: "Das ist ein Projekt der kleinen Schritte. Und ich bin mal sehr gespannt, wie dieser Prozess weitergeht und ob diese Annäherung dann zum Schluss auch wirklich zu dem führt, worauf im Lande uns mittlerweile jeder anspricht."