Musik: Afghanistan-Ballade Diese Musik ist inzwischen generationen-übergreifend. Ob es heute 20-, 30- oder vierzigjährige russische Männer sind, sie haben als Soldaten nicht selten miterlebt, wie diese Balladen oft spontan während Kampfpausen oder nachts in den Unterständen entstanden sind, wie sie gemeinsames Erleben verarbeiten ausdrücken, wie sie bis heute als Chiffren des gegenseitigen Wiedererkennens funktionieren. Da spielt es überhaupt keine Rolle, ob die einfachen Melodien und die Worte wirklich poetisch sind oder manchmal nicht doch in bloßen, sentimentalen Kitsch hineinkippen. Diese Musik ist für sie nur willkommener Katalysator, hilft ihnen, zusammen in ihre gruppenspezifischen Erinnerungen, Erlebnisse und Erfahrungen wegzutauchen. Spätestens hier ist für sie klar, wer dazugehört und wer nicht.
Um einen großen, braunen Tisch sitzen drei junge, auf den ersten Blick vielleicht knapp 30-jährige Männer und Wiktor Krachmal, der Chef der Elektrostaler Afghanistanveteranen. Nur der Krieg in Tschetschenien verbindet Michail Dolnitschew, Jurij Koswinzew und Alexej Nowitschkoff, die in Wirklichkeit gerade Mitte 20 sind. Sie haben dort gekämpft, dort im Nordkaukasus. Sie sind, mehr oder weniger heil, aber immerhin lebend zurückgekehrt. Und dennoch: Nun scheint ihr Leben vorbei zu sein, wie verlöscht. Niemand braucht mehr diese jungen Männer, die als Wehrdienstleistende ihr Leben und ihre Gesundheit für die - Zitat: "Einheit des russischen Staates und die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Tschetschenien" ....aufs Spiel gesetzt haben. So lautet die staatsoffizielle, russische Doktrin, mit der unter anderem der Tschetschenien-Feldzug begründet worden ist.
Michail und Alexej waren im ersten Tschetschenienkrieg beim berühmt-berüchtigten Neujahrsturm von Grozny dabei. Kurz zuvor, Mitte Dezember 1994, hatte der damalige russische Verteidigungsminister Pawel Gratschoff noch getönt, er könne die tschetschenische Hauptstadt mit nur zwei Fallschirmjägerbatallionen im Handstreich erobern.
Dann aber saßen die beiden damals 19-Jährigen mit vielen Kameraden ihrer berühmten Eliteeinheit, der 76. Luftlandedivision aus Pskow am Neujahrstag 1995 im Stadtzentrum von Grozny in der Falle. Michail Dolnitschew erzählt:
"Wir hatten den Befehl, aus unseren schweren Waffen nicht zu schießen. Bewahrt die Häuser, hieß es, antwortet nur, wenn ihr beschossen werdet. Wir dachten, wir gehen da friedlich rein, wir werden da stationiert und schieben Wache. Aber wir fuhren einfach in einen großen Hinterhalt."
Fahrunfähig geschossen drehte sich der Schützenpanzer, zu dessen Besatzung Michail gehörte, auf der Stelle. "Stümperhaft", nennt Afganzy-Chef Wiktor Krachmalj diesen Angriff der russischen Truppen. Die russischen Panzerverbände seien gegen alle militärischen Grundregeln ohne Infanterieunterstützung in eine von den Tschetschenen zur Festung ausgebaute Stadt hineingeschickt worden. Erst schossen die Tschetschenen die Panzer fahrunfähig, dann schossen sie - wie bei einer Treibjagd auf Hasen - die aus ihnen herauskriechenden Soldaten einen nach dem anderen ab.
Michail Dolnitschew hat trotz der Wärme in dem überheizten Raum weder die dicke Lederjacke ausgezogen noch die bunte Wollmütze abgesetzt. Ein wenig schief sitzt er in einem quietschenden, Armsessel mit abgeschabten, braunem Kunstlederbezug.
Michail Dolnitschew : "Wir mussten die Verwundeten bergen und in die Wagen laden. Ich rannte auf die freie Kreuzung und habe stehend geschossen. Solange die anderen die Kameraden in die Deckung zogen, schoss ich immer weiter, stehend, solange die Patronen reichten. Ich habe geschossen und geschossen. Ich habe nicht dort gestanden, wo ich sollte, nicht vom Wagen gedeckt, sondern auf dem offenen Platz. Die Scharfschützen haben da ziemlich professionell gearbeitet. Plötzlich spürte ich einen Schlag von der Seite, in der Beckengegend. Ich dachte: Aus, die Beine sind ab. Das war ein Gefühl, als ob der Körper fällt, aber die Beine stehen bleiben. Ich fiel um, ich liege, ich schaue."
Zwar waren die Beine noch dran, doch die Kugel hatte das untere Ende der Wirbelsäule zerfetzt. Sieben Monate verbrachte Michail in Krankenhäusern und Sanatorien. Er lernte mühevoll langsam wieder gehen. Dann durfte er nach Haus. Als Invalide, am Stock. Aber: Nicht als Kriegsinvalide! Denn nach offiziellem Sprachgebrauch ist der Krieg in Tschetschenien kein Krieg. Er ist in den Mündern der Politiker, Generäle und amtlichen Pressesprecher zum Begriff "Operation" geronnen. Und wo kein Krieg ist, da gibt es natürlich auch keine Kriegsinvaliden. Da gibt es keine besonderen Entschädigungen, keine besondere Rente, keine besondere Fürsorge. Aljeg Blotzkij kennt dieses Gefühl des Verlassen-Seins, dass die Heimkehrer aus dem Krieg befällt. Er hat es oft beobachtet:
Aljeg Blotzkij: "Ein Mensch im Krieg, der dort im Namen der Gesellschaft, die ihn dorthin gesandt hat, andere Menschen umbringt, der fühlt sich vor allem gebraucht. Er stellt sich nicht die Frage: Muss ich töten oder muss ich nicht? Er macht einfach seine Arbeit, gemeinsam mit anderen Leuten. Und er hat einen Begriff von sich als gebrauchter, als wichtiger Mensch. Wenn dann dieser Mensch aus dem Krieg zurückkehrt in die Gesellschaft, dann ist diese Gefühl, dass er wichtig ist, dass er gebraucht wird, das erste, was er verliert. Wenn er aus dem Krieg zurückkehrt, und das war nach Afghanistan so und ebenso jetzt in Tschetschenien, wird er von niemandem mehr gebraucht. Niemand kümmert sich um ihn."
Aljeg Blotzkij, ein schon etwas füllig gewordener Mittdreißiger, war selbst Soldat in Afghanistan und hat seither als Journalist aus so ziemlich allen Krisen- und Kriegsgebieten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion berichtet: Aus Moldawien, Tadschikistan, Abchasien oder Berg-Karabach. So wie Blotzkij es beschreibt ging es auch Jurij, Aleksej und Michail. Niemand hat auf sie gewartet, außer ihre Angehörigen vielleicht, und kaum jemand hilft ihnen, die gerade jetzt Hilfe nötig haben. Vielleicht ist es aber auch gar nicht Hilfe, sondern schlicht das Gefühl wieder aufgenommen zu werden und einfach Zuwendung und Aufmerksamkeit, die Not tun. Doch für die Heimkehrer aus dem Tschetschenienkrieg gibt es das alles nicht, ärgert sich Jurij Wjalba. Der Arzt leitet in Moskau das von ihm gegründete Rehabilitationszentrums "Wasrazhdenije" - zu deutsch: "Wiedergeburt":
Jurij Wjalba: "Hier wirkt eine reine Staatsmentalität aus Sowjetzeiten fort. Dieser Staat betrachtet Menschen als kleine Schräubchen im großen Getriebe, die jederzeit ersetzbar sind. Wenn ein Schräubchen abgenutzt ist oder nicht mehr passt, dann wird es eben durch ein neues ersetzt. Das gilt übrigens nicht nur für ehemalige Soldaten. Genauso gleichgültig werden Drogenabhängige behandelt oder Alkoholiker."
Jurij Wjalba versucht in seinem Zentrum denjenigen zu helfen, die diese Art von "Selektion der Schräubchen" nicht besonders gut überstanden haben. Denen, die mit Drogenkonsum und Selbstmordversuchen auf den Stress, die Grausamkeit des Kriegs und die Gleichgültigkeit danach reagiert haben. Denn niemand sorgt sich um die Heimkehrenden, weiss Jurij Wjalba.
Jurij Wjalba: "Das ist meiner Meinung nach überhaupt nicht organisiert. Mehr noch, man macht alles, um die psychisch traumatisierten Jungs, die durch all diese Kämpfe gegangen sind, noch weiter zu traumatisieren. Die Soldaten sind in keiner Weise sozial abgesichert. Von Seiten des Staates gibt es keinerlei Wohltaten, es gibt keine Vergünstigungen."
Mit seiner Fürsorge steht Jurj Wjalba ziemlich allein. Die wenigen staatlichen Programme reichen bei weitem nicht aus für die inzwischen schätzungsweise 200.000 Soldaten, die insgesamt, bis heute in Tschetschenien gedient und gekämpft haben. Genaue, offizielle Zahlen gibt es allerdings nicht. Außerdem befassen sich die staatlichen Rehabilitierungsprogramme fast ausschließlich mit den physischen Gebrechen der aus dem Krieg zurückkehrenden Soldaten und vernachlässigten deren enorme psychischen Probleme, kritisiert Jurij Wjalba. Zwar gibt es eine Reihe von Initiativen, die sich um Veteranen aus dem jüngsten russischen Krieg zu kümmern versuchen - aber alle tun dies auf privater Basis, fast alle von ihnen ohne jegliche staatliche Unterstützung, manchmal sogar von den Behörden behindert. Afghanistan-Veteran Wiktor Krachmalj lädt die aus dem Krieg Heimkehrenden zu den regelmäßigen Kameradschaftsabenden ein. Der kräftige Mann in den 40ern hat in Afghanistan seinen rechten Arm verloren.
Wiktor Krachmalj: "Ein Mensch braucht vor allem ein Aufgabe, er muss irgendwo arbeiten. Er muss unter Leute kommen, sich nicht abschließen. Er darf sich nicht in einem abgeschlossenen Aquarium oder Vakuum wieder finden, um nicht jeden Tag mit seinem Schmerz und seinen Problemen allein gelassen zu werden. Und das über eine Rente zu lösen, wie das gemacht wird, das ist doch wirklichkeitsfremd für einen jungen Menschen. Sie verstehen doch selbst, wie man bei uns lebt, wenn man auf eine Rente angewiesen ist."
50, 60 Mark bekommen Rentner umgerechnet im Monat, mit etwas Glück können es 100 werden. Das ist selbst zum Sterben zu wenig. Die Rentenfrage löst im Versammlungsraum der Afghanistan-Veteranen sofort lebhafte Diskussionen aus. Nur schwer kann sich Michail Dolnitschew gegen seine durcheinandersprechenden Kameraden durchsetzen.
Michail Dolnitschew: "Im Krankenhaus haben sie einmal 205 Rubel bezahlt. Das gab's pauschal für die Verwundung, egal wie schwer sie war. Für die Invalidität legten sie nochmal gut 3.000 drauf. Als ich dann aus dem Krankenhaus entlassen wurde, kamen nur die Afganzy zu mir. Vom Staat aber: Nichts! Ich habe ein paar Vergünstigungen, aber weil ich Invalide bin, nicht weil ich in Tschetschenien gekämpft habe."
Das kann auch Jurij Koswinzew bestätigen. Sein verunstalteter Kopf lässt ihn fast zum Double von Boris Karloff werden, dem charakteristischen Hauptdarsteller der alten Frankensteinfilme. Eine dicke lange Narbe zieht sich von Koswinzews linker Wange unter den Haaransatz über den Scheitel des 33-jährigen hinweg. Der ehemalige Automechaniker war in einer Aufklärereinheit in den tschetschenischen Bergen unterwegs, als neben ihm plötzlich der Selbstzerstörungsdetonator eines Grantwerfers explodierte und ihm einen Teil der Schädeldecke wegriss. Seither lebt er mit einer Metallplatte im Kopf - und mit ständigen Kopfschmerzen.
Jurij Koswinzew: "Bei mir haben sie auch noch versucht, mich in eine weniger schwere Invaliditätsgruppe einzuordnen. 'Augenblick mal', habe ich da gesagt, 'ist mir vielleicht eine neue Schädeldecke gewachsen? Ich verstehe nicht ganz', sagte ich. - ' Das haben nicht wir entschieden", sagten die im Krankenhaus. 'Wer dann?', fragte ich. - 'Moskau', war die Antwort."
Oder - wie sein Nebenmann lakonisch zunächst kurz einwirft: "Dort ist ein Krieg, hier ein anderer." So kommentiert Wiktor Krachmalj diese typische Schilderung trocken aber bitter. Eine Bitterkeit, die aber dennoch nicht in eine kompromisslose Ablehnung des Krieges an sich oder in Ausfälle gegen jene Politiker umschlägt, die ihn befohlen haben. Vor allem Präsident Putin genießt weiter großes Vertrauen unter den Männern. Es sei doch schon ein wenig besser geworden im Land, heißt es. Und: Gesetze gebe es ja genügend, es fehle eben nur an der Durchsetzung. Genau das aber fordere Putin ja immer wieder. Aus diesen Äußerungen wird spürbar, wie jedes Zipfelchen vermeintlicher Aufmerksamkeit ihnen gegenüber - und sei es nur in Reden und Erklärungen - mit großer Hoffnung aufgesogen wird. Es sei immer wieder dieses Gefühl des "Auseinanderfallens": Vorher das sich-sorgen, das sich kümmern um die Kameraden in der Armee. Und danach: Die große, allgemeine Missachtung, das die aus dem Krieg Heimkommenden verstöre, sagt Aljeg Blotzkij. Der Krieg habe für Soldaten, so seltsam das klinge, etwas "Anheimelndes". Die Gruppe, der Zug, die Kompanie - dies biete Geborgenheit, die Vorgesetzten dort seien für ihre Soldaten da. - Das Zivilleben dagegen empfinden die Veteranen als ungeregelt, kalt und hart:
Aljeg Blotzkij: "Dort in der Einheit, wenn man im Kampf ist, wird man ständig gezählt, in Listen geführt. Man bekommt immer Zigaretten zugeteilt, Patronen und Essen. Ständig erinnert man sich an dich. Aber wenn man nach Hause kommt, erinnert sich niemand an dich, niemand braucht dich mehr. Das ist für einen Menschen, der aus dem Krieg zurück kommt, am schwersten zu ertragen. Und dann, wenn er sieht, wie wenig ihn die Gesellschaft braucht, kommen die Fragen: Ich habe doch eigentlich für euch gekämpft, ich habe eine wichtige Arbeit gemacht. Und nun stellt sich heraus, dass ihr mich nicht mehr brauchen könnt."
Zu Hause fällt plötzlich alles weg. Dort wartet niemand, dort fordert niemand. Veteranen reagieren nach Blotzkijs Beobachtung darauf in dreifacher Hinsicht:
Aljeg Blotzkij: "Erst fühlt man sich beleidigt, tief gekränkt. Als zweites versucht man zu verstehen, ob das überhaupt richtig war, dorthin zu gehen, in den Krieg. Habe ich meine Kraft und meine Zeit vertan? Am schlimmsten ist es, wenn man, was Gott verhüten möge, zum Krüppel geworden ist. Das ist ganz schrecklich. Wofür denn? Und als Drittes folgt eine unbändige Wut auf die Gesellschaft, darauf, dass sie einen nicht wieder aufnimmt."
Anfang der 90er Jahre, in der Blütezeit der Gorbatschow'schen Perestrojka, wurde vergleichsweise viel für die "Afganzy" getan, die Veteranen des Krieges in Afghanistan in den achtziger Jahren. Sie haben gemeinnützige Vereinigungen bilden können, bekamen eine Reihe von Vergünstigungen. Die Veteranen hatten zum Beispiel freien Zugang zu Universitäten und Technikerschulen, ein in Russland geldwertes Privileg. Das alles gibt es jetzt nicht mehr. Doch selbst damals, schon zu Beginn der neunziger Jahre, wurden viele Veteranen vom organisierten Verbrechen angesprochen, manchmal geradezu aufgesogen. Und zwar nicht nur des angeblich leichten Geldes wegen. Davon ist Aljeg Blotzkij überzeugt.
Aljeg Blotzkij: "Als ich aus Afghanistan zurück kam, Ende der 80er Jahre, begann hier bei uns die Perestrojka. Ich wurde aus der Armee entlassen und mir haben ein paar Kumpel angeboten, mit ihnen zu diesen Afghanistankämpfer-Gruppen zu gehen. Einige meiner Bekannten haben sich da richtig hochgearbeitet, bei den Banditen. Inzwischen sind sie zu ganz legalen Geschäftsleuten geworden, aber zunächst mal waren sie ganz normale, ordinäre Banditen, Schutzgelderpressung und all diese Dinge. Aber: Diese Leute werden meist nicht zu Verbrechern, bloß um leicht an Geld zu kommen. Das ist wohl eher ihre Art, sich an der Gesellschaft zu rächen."
Viele Veteranenverbände, die sogenannten "Afganzy", waren in Bandenkriege verwickelt. Der spektakulärste Vorfall: Ende 1996 sprengte eine Bombe auf einem Moskauer Friedhof eine Trauerfeier für einen im Bandenkrieg umgekommenen Afghanistan-Kameraden in die Luft. 14 Menschen starben, 20 wurden verletzt. Unter den Toten war auch der Vorgänger von Wiktor Krachmalj, der Jurij und Michail geholfen hat, als sie aus Tschetschnien zurück kamen. Das mag natürlich alles Zufall sein. Trotzdem drängt sich die Frage auf, ob das Engagement für die jungen und kampferprobten Tschetschenien-Veteranen wirklich so völlig selbstlos ist. "Ja sicher, es gebe wie überall auch unter den Kriegsveteranen 'schwarze Schafe'", räumt Wiktor Krachmalj ein - aber erst später, im Treppenhaus, in der Raucherecke, ohne Mikrophon. Vorher, vor dem Mikrophon klang das so:
Wiktor Krachmalj: "Sie müssen verstehen, dass es hier keine Kränkungen, auch keine Wut gibt. Ich möchte mal so sagen: Der russische Mensch neigt überhaupt nicht dazu. Aber um das wirklich zu verstehen, muss man schon ein russischer Mensch sein. Russische Menschen sind es gewohnt, Schwierigkeiten zu überwinden. Jemand der in diesem Land geboren wurde, passt sich eben an die hier herrschende Realität an. Auch wenn er natürlich immer zum Besseren hinstrebt."
"Der Staat zuerst. Soldaten sind Helden. Offiziere Ehrenmänner." - Vor allem im korruptions-geplagten Russland zu Beginn des 3. Jahrtausends bewahren solcherlei Mythen ihre Kraft in den Köpfen vieler Russen. - Um so mehr in den Köpfen jener Männer, die für diesen Staat, diese Gesellschaft ihre Körper hingehalten haben, die selbst gelitten haben, ihre Gesundheit verloren haben - aber auch anderen Leiden zufügten. So sehr ihnen die Geringschätzung, die Achtlosigkeit von Seiten ihres Staates jetzt auch weh tut - den oft blinden, verdrängenden Glauben daran zu verlieren, doch das Richtige im Namen und im Auftrag dieses Staates getan zu haben - solch eine Erkenntnis wäre für viele russische Soldaten und Veteranen wohl noch um ein Vielfaches schmerzhafter.
Um einen großen, braunen Tisch sitzen drei junge, auf den ersten Blick vielleicht knapp 30-jährige Männer und Wiktor Krachmal, der Chef der Elektrostaler Afghanistanveteranen. Nur der Krieg in Tschetschenien verbindet Michail Dolnitschew, Jurij Koswinzew und Alexej Nowitschkoff, die in Wirklichkeit gerade Mitte 20 sind. Sie haben dort gekämpft, dort im Nordkaukasus. Sie sind, mehr oder weniger heil, aber immerhin lebend zurückgekehrt. Und dennoch: Nun scheint ihr Leben vorbei zu sein, wie verlöscht. Niemand braucht mehr diese jungen Männer, die als Wehrdienstleistende ihr Leben und ihre Gesundheit für die - Zitat: "Einheit des russischen Staates und die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Tschetschenien" ....aufs Spiel gesetzt haben. So lautet die staatsoffizielle, russische Doktrin, mit der unter anderem der Tschetschenien-Feldzug begründet worden ist.
Michail und Alexej waren im ersten Tschetschenienkrieg beim berühmt-berüchtigten Neujahrsturm von Grozny dabei. Kurz zuvor, Mitte Dezember 1994, hatte der damalige russische Verteidigungsminister Pawel Gratschoff noch getönt, er könne die tschetschenische Hauptstadt mit nur zwei Fallschirmjägerbatallionen im Handstreich erobern.
Dann aber saßen die beiden damals 19-Jährigen mit vielen Kameraden ihrer berühmten Eliteeinheit, der 76. Luftlandedivision aus Pskow am Neujahrstag 1995 im Stadtzentrum von Grozny in der Falle. Michail Dolnitschew erzählt:
"Wir hatten den Befehl, aus unseren schweren Waffen nicht zu schießen. Bewahrt die Häuser, hieß es, antwortet nur, wenn ihr beschossen werdet. Wir dachten, wir gehen da friedlich rein, wir werden da stationiert und schieben Wache. Aber wir fuhren einfach in einen großen Hinterhalt."
Fahrunfähig geschossen drehte sich der Schützenpanzer, zu dessen Besatzung Michail gehörte, auf der Stelle. "Stümperhaft", nennt Afganzy-Chef Wiktor Krachmalj diesen Angriff der russischen Truppen. Die russischen Panzerverbände seien gegen alle militärischen Grundregeln ohne Infanterieunterstützung in eine von den Tschetschenen zur Festung ausgebaute Stadt hineingeschickt worden. Erst schossen die Tschetschenen die Panzer fahrunfähig, dann schossen sie - wie bei einer Treibjagd auf Hasen - die aus ihnen herauskriechenden Soldaten einen nach dem anderen ab.
Michail Dolnitschew hat trotz der Wärme in dem überheizten Raum weder die dicke Lederjacke ausgezogen noch die bunte Wollmütze abgesetzt. Ein wenig schief sitzt er in einem quietschenden, Armsessel mit abgeschabten, braunem Kunstlederbezug.
Michail Dolnitschew : "Wir mussten die Verwundeten bergen und in die Wagen laden. Ich rannte auf die freie Kreuzung und habe stehend geschossen. Solange die anderen die Kameraden in die Deckung zogen, schoss ich immer weiter, stehend, solange die Patronen reichten. Ich habe geschossen und geschossen. Ich habe nicht dort gestanden, wo ich sollte, nicht vom Wagen gedeckt, sondern auf dem offenen Platz. Die Scharfschützen haben da ziemlich professionell gearbeitet. Plötzlich spürte ich einen Schlag von der Seite, in der Beckengegend. Ich dachte: Aus, die Beine sind ab. Das war ein Gefühl, als ob der Körper fällt, aber die Beine stehen bleiben. Ich fiel um, ich liege, ich schaue."
Zwar waren die Beine noch dran, doch die Kugel hatte das untere Ende der Wirbelsäule zerfetzt. Sieben Monate verbrachte Michail in Krankenhäusern und Sanatorien. Er lernte mühevoll langsam wieder gehen. Dann durfte er nach Haus. Als Invalide, am Stock. Aber: Nicht als Kriegsinvalide! Denn nach offiziellem Sprachgebrauch ist der Krieg in Tschetschenien kein Krieg. Er ist in den Mündern der Politiker, Generäle und amtlichen Pressesprecher zum Begriff "Operation" geronnen. Und wo kein Krieg ist, da gibt es natürlich auch keine Kriegsinvaliden. Da gibt es keine besonderen Entschädigungen, keine besondere Rente, keine besondere Fürsorge. Aljeg Blotzkij kennt dieses Gefühl des Verlassen-Seins, dass die Heimkehrer aus dem Krieg befällt. Er hat es oft beobachtet:
Aljeg Blotzkij: "Ein Mensch im Krieg, der dort im Namen der Gesellschaft, die ihn dorthin gesandt hat, andere Menschen umbringt, der fühlt sich vor allem gebraucht. Er stellt sich nicht die Frage: Muss ich töten oder muss ich nicht? Er macht einfach seine Arbeit, gemeinsam mit anderen Leuten. Und er hat einen Begriff von sich als gebrauchter, als wichtiger Mensch. Wenn dann dieser Mensch aus dem Krieg zurückkehrt in die Gesellschaft, dann ist diese Gefühl, dass er wichtig ist, dass er gebraucht wird, das erste, was er verliert. Wenn er aus dem Krieg zurückkehrt, und das war nach Afghanistan so und ebenso jetzt in Tschetschenien, wird er von niemandem mehr gebraucht. Niemand kümmert sich um ihn."
Aljeg Blotzkij, ein schon etwas füllig gewordener Mittdreißiger, war selbst Soldat in Afghanistan und hat seither als Journalist aus so ziemlich allen Krisen- und Kriegsgebieten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion berichtet: Aus Moldawien, Tadschikistan, Abchasien oder Berg-Karabach. So wie Blotzkij es beschreibt ging es auch Jurij, Aleksej und Michail. Niemand hat auf sie gewartet, außer ihre Angehörigen vielleicht, und kaum jemand hilft ihnen, die gerade jetzt Hilfe nötig haben. Vielleicht ist es aber auch gar nicht Hilfe, sondern schlicht das Gefühl wieder aufgenommen zu werden und einfach Zuwendung und Aufmerksamkeit, die Not tun. Doch für die Heimkehrer aus dem Tschetschenienkrieg gibt es das alles nicht, ärgert sich Jurij Wjalba. Der Arzt leitet in Moskau das von ihm gegründete Rehabilitationszentrums "Wasrazhdenije" - zu deutsch: "Wiedergeburt":
Jurij Wjalba: "Hier wirkt eine reine Staatsmentalität aus Sowjetzeiten fort. Dieser Staat betrachtet Menschen als kleine Schräubchen im großen Getriebe, die jederzeit ersetzbar sind. Wenn ein Schräubchen abgenutzt ist oder nicht mehr passt, dann wird es eben durch ein neues ersetzt. Das gilt übrigens nicht nur für ehemalige Soldaten. Genauso gleichgültig werden Drogenabhängige behandelt oder Alkoholiker."
Jurij Wjalba versucht in seinem Zentrum denjenigen zu helfen, die diese Art von "Selektion der Schräubchen" nicht besonders gut überstanden haben. Denen, die mit Drogenkonsum und Selbstmordversuchen auf den Stress, die Grausamkeit des Kriegs und die Gleichgültigkeit danach reagiert haben. Denn niemand sorgt sich um die Heimkehrenden, weiss Jurij Wjalba.
Jurij Wjalba: "Das ist meiner Meinung nach überhaupt nicht organisiert. Mehr noch, man macht alles, um die psychisch traumatisierten Jungs, die durch all diese Kämpfe gegangen sind, noch weiter zu traumatisieren. Die Soldaten sind in keiner Weise sozial abgesichert. Von Seiten des Staates gibt es keinerlei Wohltaten, es gibt keine Vergünstigungen."
Mit seiner Fürsorge steht Jurj Wjalba ziemlich allein. Die wenigen staatlichen Programme reichen bei weitem nicht aus für die inzwischen schätzungsweise 200.000 Soldaten, die insgesamt, bis heute in Tschetschenien gedient und gekämpft haben. Genaue, offizielle Zahlen gibt es allerdings nicht. Außerdem befassen sich die staatlichen Rehabilitierungsprogramme fast ausschließlich mit den physischen Gebrechen der aus dem Krieg zurückkehrenden Soldaten und vernachlässigten deren enorme psychischen Probleme, kritisiert Jurij Wjalba. Zwar gibt es eine Reihe von Initiativen, die sich um Veteranen aus dem jüngsten russischen Krieg zu kümmern versuchen - aber alle tun dies auf privater Basis, fast alle von ihnen ohne jegliche staatliche Unterstützung, manchmal sogar von den Behörden behindert. Afghanistan-Veteran Wiktor Krachmalj lädt die aus dem Krieg Heimkehrenden zu den regelmäßigen Kameradschaftsabenden ein. Der kräftige Mann in den 40ern hat in Afghanistan seinen rechten Arm verloren.
Wiktor Krachmalj: "Ein Mensch braucht vor allem ein Aufgabe, er muss irgendwo arbeiten. Er muss unter Leute kommen, sich nicht abschließen. Er darf sich nicht in einem abgeschlossenen Aquarium oder Vakuum wieder finden, um nicht jeden Tag mit seinem Schmerz und seinen Problemen allein gelassen zu werden. Und das über eine Rente zu lösen, wie das gemacht wird, das ist doch wirklichkeitsfremd für einen jungen Menschen. Sie verstehen doch selbst, wie man bei uns lebt, wenn man auf eine Rente angewiesen ist."
50, 60 Mark bekommen Rentner umgerechnet im Monat, mit etwas Glück können es 100 werden. Das ist selbst zum Sterben zu wenig. Die Rentenfrage löst im Versammlungsraum der Afghanistan-Veteranen sofort lebhafte Diskussionen aus. Nur schwer kann sich Michail Dolnitschew gegen seine durcheinandersprechenden Kameraden durchsetzen.
Michail Dolnitschew: "Im Krankenhaus haben sie einmal 205 Rubel bezahlt. Das gab's pauschal für die Verwundung, egal wie schwer sie war. Für die Invalidität legten sie nochmal gut 3.000 drauf. Als ich dann aus dem Krankenhaus entlassen wurde, kamen nur die Afganzy zu mir. Vom Staat aber: Nichts! Ich habe ein paar Vergünstigungen, aber weil ich Invalide bin, nicht weil ich in Tschetschenien gekämpft habe."
Das kann auch Jurij Koswinzew bestätigen. Sein verunstalteter Kopf lässt ihn fast zum Double von Boris Karloff werden, dem charakteristischen Hauptdarsteller der alten Frankensteinfilme. Eine dicke lange Narbe zieht sich von Koswinzews linker Wange unter den Haaransatz über den Scheitel des 33-jährigen hinweg. Der ehemalige Automechaniker war in einer Aufklärereinheit in den tschetschenischen Bergen unterwegs, als neben ihm plötzlich der Selbstzerstörungsdetonator eines Grantwerfers explodierte und ihm einen Teil der Schädeldecke wegriss. Seither lebt er mit einer Metallplatte im Kopf - und mit ständigen Kopfschmerzen.
Jurij Koswinzew: "Bei mir haben sie auch noch versucht, mich in eine weniger schwere Invaliditätsgruppe einzuordnen. 'Augenblick mal', habe ich da gesagt, 'ist mir vielleicht eine neue Schädeldecke gewachsen? Ich verstehe nicht ganz', sagte ich. - ' Das haben nicht wir entschieden", sagten die im Krankenhaus. 'Wer dann?', fragte ich. - 'Moskau', war die Antwort."
Oder - wie sein Nebenmann lakonisch zunächst kurz einwirft: "Dort ist ein Krieg, hier ein anderer." So kommentiert Wiktor Krachmalj diese typische Schilderung trocken aber bitter. Eine Bitterkeit, die aber dennoch nicht in eine kompromisslose Ablehnung des Krieges an sich oder in Ausfälle gegen jene Politiker umschlägt, die ihn befohlen haben. Vor allem Präsident Putin genießt weiter großes Vertrauen unter den Männern. Es sei doch schon ein wenig besser geworden im Land, heißt es. Und: Gesetze gebe es ja genügend, es fehle eben nur an der Durchsetzung. Genau das aber fordere Putin ja immer wieder. Aus diesen Äußerungen wird spürbar, wie jedes Zipfelchen vermeintlicher Aufmerksamkeit ihnen gegenüber - und sei es nur in Reden und Erklärungen - mit großer Hoffnung aufgesogen wird. Es sei immer wieder dieses Gefühl des "Auseinanderfallens": Vorher das sich-sorgen, das sich kümmern um die Kameraden in der Armee. Und danach: Die große, allgemeine Missachtung, das die aus dem Krieg Heimkommenden verstöre, sagt Aljeg Blotzkij. Der Krieg habe für Soldaten, so seltsam das klinge, etwas "Anheimelndes". Die Gruppe, der Zug, die Kompanie - dies biete Geborgenheit, die Vorgesetzten dort seien für ihre Soldaten da. - Das Zivilleben dagegen empfinden die Veteranen als ungeregelt, kalt und hart:
Aljeg Blotzkij: "Dort in der Einheit, wenn man im Kampf ist, wird man ständig gezählt, in Listen geführt. Man bekommt immer Zigaretten zugeteilt, Patronen und Essen. Ständig erinnert man sich an dich. Aber wenn man nach Hause kommt, erinnert sich niemand an dich, niemand braucht dich mehr. Das ist für einen Menschen, der aus dem Krieg zurück kommt, am schwersten zu ertragen. Und dann, wenn er sieht, wie wenig ihn die Gesellschaft braucht, kommen die Fragen: Ich habe doch eigentlich für euch gekämpft, ich habe eine wichtige Arbeit gemacht. Und nun stellt sich heraus, dass ihr mich nicht mehr brauchen könnt."
Zu Hause fällt plötzlich alles weg. Dort wartet niemand, dort fordert niemand. Veteranen reagieren nach Blotzkijs Beobachtung darauf in dreifacher Hinsicht:
Aljeg Blotzkij: "Erst fühlt man sich beleidigt, tief gekränkt. Als zweites versucht man zu verstehen, ob das überhaupt richtig war, dorthin zu gehen, in den Krieg. Habe ich meine Kraft und meine Zeit vertan? Am schlimmsten ist es, wenn man, was Gott verhüten möge, zum Krüppel geworden ist. Das ist ganz schrecklich. Wofür denn? Und als Drittes folgt eine unbändige Wut auf die Gesellschaft, darauf, dass sie einen nicht wieder aufnimmt."
Anfang der 90er Jahre, in der Blütezeit der Gorbatschow'schen Perestrojka, wurde vergleichsweise viel für die "Afganzy" getan, die Veteranen des Krieges in Afghanistan in den achtziger Jahren. Sie haben gemeinnützige Vereinigungen bilden können, bekamen eine Reihe von Vergünstigungen. Die Veteranen hatten zum Beispiel freien Zugang zu Universitäten und Technikerschulen, ein in Russland geldwertes Privileg. Das alles gibt es jetzt nicht mehr. Doch selbst damals, schon zu Beginn der neunziger Jahre, wurden viele Veteranen vom organisierten Verbrechen angesprochen, manchmal geradezu aufgesogen. Und zwar nicht nur des angeblich leichten Geldes wegen. Davon ist Aljeg Blotzkij überzeugt.
Aljeg Blotzkij: "Als ich aus Afghanistan zurück kam, Ende der 80er Jahre, begann hier bei uns die Perestrojka. Ich wurde aus der Armee entlassen und mir haben ein paar Kumpel angeboten, mit ihnen zu diesen Afghanistankämpfer-Gruppen zu gehen. Einige meiner Bekannten haben sich da richtig hochgearbeitet, bei den Banditen. Inzwischen sind sie zu ganz legalen Geschäftsleuten geworden, aber zunächst mal waren sie ganz normale, ordinäre Banditen, Schutzgelderpressung und all diese Dinge. Aber: Diese Leute werden meist nicht zu Verbrechern, bloß um leicht an Geld zu kommen. Das ist wohl eher ihre Art, sich an der Gesellschaft zu rächen."
Viele Veteranenverbände, die sogenannten "Afganzy", waren in Bandenkriege verwickelt. Der spektakulärste Vorfall: Ende 1996 sprengte eine Bombe auf einem Moskauer Friedhof eine Trauerfeier für einen im Bandenkrieg umgekommenen Afghanistan-Kameraden in die Luft. 14 Menschen starben, 20 wurden verletzt. Unter den Toten war auch der Vorgänger von Wiktor Krachmalj, der Jurij und Michail geholfen hat, als sie aus Tschetschnien zurück kamen. Das mag natürlich alles Zufall sein. Trotzdem drängt sich die Frage auf, ob das Engagement für die jungen und kampferprobten Tschetschenien-Veteranen wirklich so völlig selbstlos ist. "Ja sicher, es gebe wie überall auch unter den Kriegsveteranen 'schwarze Schafe'", räumt Wiktor Krachmalj ein - aber erst später, im Treppenhaus, in der Raucherecke, ohne Mikrophon. Vorher, vor dem Mikrophon klang das so:
Wiktor Krachmalj: "Sie müssen verstehen, dass es hier keine Kränkungen, auch keine Wut gibt. Ich möchte mal so sagen: Der russische Mensch neigt überhaupt nicht dazu. Aber um das wirklich zu verstehen, muss man schon ein russischer Mensch sein. Russische Menschen sind es gewohnt, Schwierigkeiten zu überwinden. Jemand der in diesem Land geboren wurde, passt sich eben an die hier herrschende Realität an. Auch wenn er natürlich immer zum Besseren hinstrebt."
"Der Staat zuerst. Soldaten sind Helden. Offiziere Ehrenmänner." - Vor allem im korruptions-geplagten Russland zu Beginn des 3. Jahrtausends bewahren solcherlei Mythen ihre Kraft in den Köpfen vieler Russen. - Um so mehr in den Köpfen jener Männer, die für diesen Staat, diese Gesellschaft ihre Körper hingehalten haben, die selbst gelitten haben, ihre Gesundheit verloren haben - aber auch anderen Leiden zufügten. So sehr ihnen die Geringschätzung, die Achtlosigkeit von Seiten ihres Staates jetzt auch weh tut - den oft blinden, verdrängenden Glauben daran zu verlieren, doch das Richtige im Namen und im Auftrag dieses Staates getan zu haben - solch eine Erkenntnis wäre für viele russische Soldaten und Veteranen wohl noch um ein Vielfaches schmerzhafter.