Musik: Mieczysław Weinberg, aus Sinfonie Nr. 21
Mit einem fast 20-minütigen Largo beginnt die 21. Sinfonie von Mieczysław Weinberg – ein opus summum, denn es handelt sich um eine Art musikalische Gesamtschau. Das Werk resümiert ein von Verlust, Verfolgung und Unterdrückung geprägtes Leben. Weinberg musste früh seine Heimat Warschau verlassen, studierte in Minsk und floh anschließend vor Hitlers Schergen nach Usbekistan, um schließlich in der Sowjetunion zu landen, wo er sich auch nie sicher fühlen konnte.
Die 21. Sinfonie – entstanden in einem auffallend großen Zeitfenster zwischen 1964 und 1989 – erzählt viel von Leid und Klage, gewidmet ist sie "dem Andenken der im Warschauer Ghetto Ermordeten".
Nach rund zwei Minuten setzt die Sologeige ein – hier gespielt von Gidon Kremer: eine einzelne Stimme, die leise von den Tragödien des Lebens erzählt. Eine diskrete Klage, in die sich schließlich das Orchester einschaltet und die Musik auf wechselnd dunkel-grelle Weise zu großen Schmerzensschreien steigert.
Shooting star der Klassik-Szene
Die Dirigentin dieser Aufnahme heißt Mirga Gražinytė-Tyla. Sie ist zweifellos einer der shooting stars der Szene und legt nun ihre erste CD beim Label Deutsche Grammophon vor. Sie bezeichnet die 21. Sinfonie als "Weinbergs Schwanengesang" und verweist auf die besonderen Schwierigkeiten dieses Werkes: "Gerade weil eine Solo-Stimme und verschiedene kammermusikalische Ensembles lange Passagen ganz alleine gestalten, während der riesige Apparat von knapp 100 Menschen auf der Bühne sitzt, wird das Spannen des gesamten Bogens sehr schwierig." Doch genau das gelingt Gražinytė-Tyla vor allem in den langsamen Ecksätzen dieses über 50-mintütigen Werkes auf eindringliche Weise. Seit 2016 ist sie Chefdirigentin beim City of Birmingham Symphony Orchestra, das hier gemeinsam mit der Kremerata Baltica zu hören ist.
Musik: Mieczysław Weinberg, aus Sinfonie Nr. 21
Immer wieder sind Anklänge an die Musik von Weinbergs Freund Dmitri Schostakowitsch zu hören, besonders im ironisch-kecken Presto an vierter Stelle, dessen Bitterkeit hier wie ein doppelter Boden mitschwingt.
Musik: Mieczysław Weinberg, aus Sinfonie Nr. 21
Trotz diverser Schostakowitsch-Anleihen bleibt Weinbergs Sinfonie frei vom Verdacht des Epigonentums. Dafür entfaltet das Werk eine zu große, eigenständige Kraft.
Als Gegenentwurf zu diesem üppig besetzten sechssätzigen Koloss versteht sich Weinbergs 2. Sinfonie (von insgesamt 22). Sie ist bereits im Winter 1945/46 entstanden, deutlich kürzer und auch kleiner besetzt, nämlich nur für Streicher. Hier dirigiert Gražinytė-Tyla die Kremerata Baltica.
Musik: Mieczysław Weinberg, aus Sinfonie Nr. 2
Wo Gražinytė-Tyla in der 21. Sinfonie souverän den großen Orchesterapparat steuert, definiert sich ihr Dirigat hier nun mehr über das Feine. Zarte Linien und eine genau austarierte Dynamik zeichnen diese Einspielung aus.
Musik: Mieczysław Weinberg, aus Sinfonie Nr. 2
Neben dieser in jeder Hinsicht eindringlichen Aufnahme mit den beiden Sinfonien hat Gidon Kremer ein Solo-Album veröffentlicht, für das er die 24 Präludien op. 100 – ursprünglich für Cello komponiert – für Geige bearbeitet hat.
Musik: Mieczysław Weinberg, Präludium Nr. 7
Kremer, der seit langem mit Weinbergs Musik vertraut ist, liefert hier eine mustergültige Deutung dieser Präludien: farbenreich und äußerst flexibel, ausdruckstark und voller Tiefe. Beide Aufnahmen zusammen liefern exemplarische Einblicke in das vielseitige Schaffen des Mieczysław Weinberg, der zweifellos zu den großen Komponisten des 20. Jahrhunderts gezählt werden darf.