"19 Uhr - Deutschlandfunk - die Nachrichten: Aus der ersten freien Wahl zur Volkskammer der DDR ist die konservative Allianz für Deutschland nach Prognosen der beiden deutschen Fernsehanstalten als klarer Sieger hervorgegangen."
"Und hier eine Zwischenrechnung - Mein Sachsen lob ich mir: 39 Prozent CDU, 14 Prozent SPD und Sachsen-Anhalt will nicht nachstehen 45 Prozent CDU".
Ulrike Poppe: "Ich war zuerst im Haus der Demokratie in der Friedrichstraße, die Stimmung war schlecht. Es war sehr voll. Manche haben sich fürchterlich empört. Ich weiß noch, wie eine Freundin vom Neuen Forum sehr lautstark rief: 'Erst hieß es: Wir sind das Volk, dann: Wir sind ein Volk und ich sage jetzt: dieses Scheißvolk!'"
Ulrike Poppe erinnert sich noch heute an den Katzenjammer: Die friedlichen Revolutionäre waren mehr als frustriert. Die Sozialdemokraten ebenso. Jubel bei der CDU. Überraschend war das Ergebnis dieser ersten freien Wahl in der DDR für alle. Meinungsforscher und Medien waren fest von einem SPD-Sieg ausgegangen. Dass es anders kam, lag wohl vor allem an der dramatischen Ausgangslage in diesen - wie wir heute wissen - letzten Monaten der DDR.
Mit der Maueröffnung im November 1989 war zwar ein innenpolitischer Frühling angebrochen, aber zugleich der wirtschaftliche Niedergang eskaliert. Alles stand im Zeichen der DM. Und die gab es im Westen. Also gingen die Leute dorthin, machten rüber ... wie vor 1961, als Ulbricht seinen antifaschistischen Schutzwall baute. Nur hießen die "Republikflüchtigen" nun "Umsiedler".
Neue Republikflucht
Lothar de Maizière, der am 18.März 1990 an die Spitze der DDR gewählt wurde, blickt auf die damalige dramatische Situation zurück: "Das waren ungefähr genauso viel, wie vor dem Bau der Mauer 1961 gingen. Da konnte man jeden Abend beim RIAS Nachrichten hören: Heute haben das Notaufnahmelager in Marienfelde erreicht: zweitausendneunhundertfuffzich oder so. Und ich weiß, dass ich mit dem Bundeskanzler schon im Januar gesprochen habe und gesagt habe: Wir müssen etwas tun, was den Menschen Bleibehoffnung gibt. Ansonsten müssen Sie mir zu Weihnachten die Bundeswehr nach Leipzig schicken, damit jemand die Straßenbahn fährt ... so!"
Ende November 1989 hatte Kohl in seinem Zehn-Punkte-Plan den Weg zur Einheit beschrieben. Einen sehr langen Weg, wie es aussah. Die Währungs- und Wirtschaftsunion war ein Bestandteil. Vorher aber musste die Deutsche Demokratische Republik demokratisiert werden. Die Übergangsregierung unter Hans Modrow von der PDS musste durch eine von einem frei gewählten Parlament gewählte Führung ersetzt werden.
Der Wahltermin war schon auf den 6.Mai festgesetzt. Spät, angesichts der krisenhaften Entwicklung des Staates, aber nicht nur deswegen meinte Gregor Gysi, der als PDS-Parteivorsitzender die Neuaufstellung der umbenannten SED im Auge hatte: "Und dann war ja der Termin für die Wahl schon festgelegt auf den 6.Mai 1990, und dann bin ich zu Hans Modrow gegangen und habe gesagt: 'Hans, solange kann ich nicht warten. Ich kann nicht die Reform so verzögern. Das funktioniert nicht! Wann meinst du denn, hast du die wichtigsten Dinge gemacht, sodass man sagen kann, jetzt könnte die Wahl stattfinden und damit auch der Regierungswechsel. Damit wir in die Opposition kommen, und wenn wir in der Opposition sind, dann kann man eine Partei auch wirklich reformieren."
"Für Kompetenz und Toleranz steh'n Gregor und Hans"
Also wurde der Wahltermin Ende Januar vorgezogen auf den 18. März. Offiziell begründet mit der zunehmenden Abwanderung in die Bundesrepublik. Er habe so getan, als hätte er Einwände dagegen, sagt Gysi heute. Der kurze Wahlkampf konnte beginnen, auch mit Radiospots wie diesem:
"Jugend wird nicht unpolitischer - wir werden anspruchsvoller - wir werden kritischer - nie wieder Jugend in der zweiten Reihe - nie wieder Kampfreserve - also Leute seid nicht bange, nehmt das Alte in die Zange. Don't worry- take Gysi! Mach dir 'nen Kopf, wähl Gysi. Für demokratische Gleichstellung. Für gesicherte Rechte der Jugend! Für Kompetenz und Toleranz steh'n Gregor und Hans."
Alles war neu bei dieser Wahl. Alle waren Erstwähler - nach 40 Jahren DDR, davor Besatzungszeit und Nationalsozialismus. Wahlkampf kannte man bestenfalls aus dem Westfernsehen. Verglichen damit war einiges anders. Reine Verhältniswahl, keine 5 Prozent Hürde. Auf dem Stimmzettel standen nicht weniger als 23 Parteien und Gruppierungen. Teilweise waren diese, wie zum Beispiel das Bündnis 90 der DDR-Bürgerrechtler, schon Zusammenschlüsse unterschiedlicher Gruppierungen. Sieben Wochen Wahlkampf sind unter diesen Umständen eine sehr kurze Zeit. Deutlich im Vorteil jene, die wie PDS und Ost-CDU als Nachfolger der DDR-Staatsparteien noch über einen weitverzweigten Apparat verfügten.
Gregor Gysi stellt den Aufwand heute ein wenig infrage: "Der war ja insofern ein bisschen sinnlos, weil die, die entschlossen waren uns zu wählen, die wählten uns sowieso. Und die, die entschlossen waren uns nicht zu wählen, die waren auch nicht zu überzeugen. Ich glaube, dass die Schicht derer, die noch überlegten, ob sie uns noch wählt, ganz gering war. Das Wichtige war nur, dass wir präsent waren, permanent präsent. Und das Wichtige waren die Medienauftritte, um Ängste abzubauen."
Der Weg zur Wiedervereinigung war das alles beherrschende Thema in diesem Wahlkampf. Und die Tonlage wurde beim großen Bruder in Bonn bestimmt. Helmut Kohl: "Was wir wollen ist, dass unverzüglich nach den Wahlen zur Volkskammer die neue Regierung daran geht, das Angebot nicht nur zu prüfen, sondern möglichst rasch auch zu akzeptieren, die Währungsunion, die Wirtschaftsgemeinschaft und die Sozialunion zu verwirklichen. Diese Reformen machen nur dann Sinn, wenn in der DDR unverzüglich umfassende marktwirtschaftliche Reformen durchgeführt werden. Ohne sie kann ein wirklicher Neubeginn der DDR nicht bestehen."
Der schnelle Weg zur Mark
Mit der klaren Ansage, dass für die DDR die Bundesrepublik Maßstab aller Dinge sein müsse, brachte Helmut Kohl bei manchen Wahlveranstaltungen weit mehr als 100.000 DDR Bürger zum Jubeln. Er schien der einzige Garant für den schnellen Weg zur D-Mark. Während sich die Sozialdemokraten eher zögerlich zeigten. Wie zum Beispiel Oskar Lafontaine:
"Wer bruchartigen Lösungen das Wort redet, muss dann auch die Folgen dieser bruchartigen Lösungen in Kauf nehmen und verantworten. Bei einer Währungsunion muss man sehr gründliche und sehr zeitraubende Vorarbeiten leisten und da ist es besser, ein paar Monate mehr in diese schwierige Aufgabe zu investieren, damit das Ergebnis auch dauerhaft wirkt. Anstatt alles zu überstürzen und zu sagen: Übermorgen gibt's die neue Währung."
Auch Ost-SPD-Chef Ibrahim Böhme, bald nach der Wahl als Stasi-IM enttarnt und von der politischen Bühne geschickt, wollte seinen Landsleuten den ganz schnellen Weg in den westdeutschen Turbokapitalismus nicht zumuten: "Sozialunion, Währungsunion und Wirtschaftsunion. Die notwendigen Schritte dazu sind: eine Eigentumsreform, eine Preisreform, eine Bankenreform. Ein Gesetzeswerk zur Sozialunion und ein konsequenter Mieterschutz."
Selbst Willy Brandt, als Einheitsverzögerer völlig unverdächtig, riet zur sozialen Absicherung des Bruchs mit dem DDR-System: "Der Zug zur Einheit rollt, jetzt kommt es drauf an, dass niemand unter die Räder kommt, wenn der Zug rollt. Das zu verhindern, zu verhindern, dass viele unter die Räder kommen, ist wichtiger als der Komfort derjenigen, die erster Klasse fahren."
Wie bei PDS und Bürgerrechtlern stand auch bei den Sozialdemokraten die Reform der DDR im Vordergrund, rangierte vor der schnellen Vereinigung. Ibrahim Böhme hoffte, damit auch potenzielle Übersiedler umstimmen zu können: "Wir fordern Sie auf, bleiben Sie in Ihrem, unserem, Land. Helfen Sie mit, ein wirtschaftlich florierendes Land zu gestalten, in dem die Gewässer wieder sauberer, der Himmel wieder blauer und die Erde wieder unbelastet von zerstörenden Chemikalien sein werden. Es gibt eine Chance für ein erfülltes Leben in Freiheit und mit wachsendem Wohlstand."
Ärger über West-Prominenz
Auch manche Akteure der Bürgerbewegung wie Ulrike Poppe stellten sehr bald fest, dass die Ideale des Herbstes 89 mittlerweile passé waren: "Ich hatte mich ja am Wahlkampf beteiligt und da merkte ich schon, dass die Bevölkerung uns zwar sehr viel Sympathie entgegenbrachte, aber uns Oppositionelle nicht gerade für politikfähig hielt, zumal im Vorfeld ja sehr viele Mitteilungen kamen über den - vor allem wirtschaftlichen - Bankrott der DDR, und uns hatte man nicht die wirtschaftliche Kompetenz zugetraut, die DDR-Wirtschaft wieder aus ihrem Sumpf herauszuheben."
Angesichts solcher Erfahrungen wuchs der Ärger der ehemaligen Revolutionäre über den Einsatz der West-Prominenz im DDR-Wahlkampf von CDU, SPD und Liberalen. Matthias Platzeck, damals noch bei den Grünen, in einer Fernsehdiskussion: "Die Parteien, die sich an den Beschluss des Runden Tisches gehalten haben, wie immer man auch dazu stehen mag, und ohne Westköpfe Wahlkampf gemacht hatten, hatten in der aktuellen Kamera so gut wie keine Chance."
Auch bei den DDR-Wählern, wie hier in Rostock am Rande einer Wahlkampfveranstaltung, gab es zuweilen Skepsis gegenüber dem Auftreten der Weststars: "Na mir gefällt das weniger, warum? Na das hat viele Gründe. Ich finde man sollte die Sache den Leuten überlassen, die hier leben, leben müssen. Der soll da seinen Wahlkampf machen, wo er hingehört. Wir haben unsere eigenen Politiker. Wir sind mündig genug, als Menschen selber zu entscheiden, wen wir wählen wollen."
IM-Aufdeckung greift in Wahlkampf ein
Aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung hatte sich eine Gruppierung - der Demokratische Aufbruch um Pfarrer Rainer Eppelmann und Rechtsanwalt Wolfgang Schnur - nicht im eher linken politischen Lager von Bündnis 90 und Grünen oder SPD positioniert, sondern bei den Konservativen. An der Seite der gewendeten DDR-CDU und der mit CSU-Hilfe neugegründeten DSU bildeten sie die "Allianz für Deutschland".
"Der Sozialismus hat Angst und Schrecken verbreitet. Der Sozialismus hat Hunderttausende aus unserer Heimat vertrieben. Der Sozialismus hat uns um den Lohn unserer Arbeit betrogen. Der Sozialismus hat jetzt abgewirtschaftet. Stoppt die sozialistischen Parteien! Am 18. März entscheiden Sie über das Schicksal unseres Landes. Unterstützen Sie unseren Aufbruch in die Demokratie."
"Wir haben keine Vergangenheit!" So endet der Wahlspot des Demokratischen Aufbruchs (DA). Was sich dann wenige Tage vor dem 18.März als falsch erwies: Der DA-Vorsitzende Rechtsanwalt Wolfgang Schnur wurde vom Spiegel als Stasi-IM enttarnt. Was Lothar de Maizière dann wenig überraschte.
"Mich hatte ein Rostocker Anwaltskollege angerufen und gesagt: Hier, mit dem Schnur in der Allianz, der ist nicht koscher. Und ich hab denn mit Rainer Eppelmann gesprochen, der ja befreundet war mit Schnur. Der sagte, das ist ne böse Verleumdung, und wollte das nicht glauben. Das war ungefähr drei, vier Wochen vor der Wahl. Und da habe ich gesagt, wenn ihr das nicht glauben wollt, dann glaubt ihr es eben nicht. Ich hatte ja schon früher mit ihm als Anwalt zu tun. Und er genoss als Anwalt bei Gericht bestimmte Privilegien, die ich mir nur so erklären konnte, dass er besondere Schutzengel hatte."
Für den DA war die Enthüllung schmerzhaft, ganze 0,9 Prozent blieben dann am Wahltag für ihn noch übrig. Aber dem grandiosen Sieg der Allianz für Deutschland tat dies keinen Abbruch.
"19.00 Uhr - Deutschlandfunk - Die Nachrichten: Die ARD sagte für die drei Allianzparteien CDU, DSU und Demokratischer Aufbruch insgesamt 48 Prozent, das ZDF sogar 50 Prozent voraus. Die Sozialdemokraten können danach nur mit etwas über 20 Prozent rechnen."
Erdrutschartiger Sieg
Anders als die Meinungsumfragen vor der Wahl war die Prognose am Wahlabend sehr zuverlässig. Ein Erdrutschsieg der Union mit 40,8 brachte die Partei zusammen mit DSU und DA tatsächlich auf 48,1 Prozent, knapp vorbei an der absoluten Mehrheit, aber zusammen mit den Liberalen eine satte Mehrheit - auch ohne die gebeutelten Sozialdemokraten.
Steffen Reiche, später dann Bildungsminister in Brandenburg, war verbittert: "Auch bei uns gab es Fehler, sicher: Wir haben einen anständigen Wahlkampf geführt und wir haben geglaubt, dass wir uns mit dem anständigen Wahlkampf gegen den Wahlkampf der Verleumdungen und Diffamierungen seitens der rechten Parteien und gegen den Wahlkampf der Angst seitens der linken Parteien durchsetzen könnten. Dieses Konzept hat leider nicht gefruchtet."
Der Frust der friedlichen Revolutionäre war zu spüren an diesem Abend. Besonders bei SPD und Bündnis 90. Sogar gemeinsam mit den Grünen hatte der Zusammenschluss der Bürgerrechtler nur 4,9 Prozent bekommen, ein niederschmetterndes Ergebnis. Es klang schon ein bisschen nach "Undank ist der Welt Lohn!" an diesem Abend.
Wolfgang Uhlmann: "Die erste Reaktion ist die, dass ich enttäuscht bin über das schlechte Abschneiden des Wahlbündnisses 90. Die zweite Reaktion ist die, dass ein Demokrat die Entscheidung der Wähler zu respektieren hat, aber er wird sie trotzdem auch kritisieren dürfen. Und ich hoffe nur, dass diejenigen, die heute CDU gewählt haben, es nicht zu sehr bereuen müssen."
PDS konnte feiern
Neben der Allianz für Deutschland hatte auch die PDS etwas zu feiern - und tat das auch. Mit 16,4 Prozent war die Rechtsnachfolgerin der DDR-Staatspartei längst nicht so abgestraft worden, wie sie selbst es befürchtet und andere es erhofft hatten. In Ost-Berlin, wo die Sozialdemokraten mit 34 Prozent stärkste Kraft wurden, kam die PDS mit 30,2 Prozent sogar auf den zweiten Rang weit vor der Union.
Anders als bei späteren Wahlen in den Neuen Bundesländern konnte bei einer landesweiten Wahlbeteiligung von sensationellen 93,4 Prozent niemand behaupten, das Ergebnis habe eine große stumme Minderheit nicht erfasst. Wählerreaktion am Wahlabend vor dem Deutschlandfunkmikrofon in einem Café in Prenzlauer Berg:
"Für mich ist das Schlimme, wirklich, ich empfinde das Wahlergebnis als äußerst schlecht, weil die Kräfte, die die ganze Wende in der DDR inszeniert haben, wie Bündnis 90, Neues Forum, Demokratie jetzt! und so weiter, schlecht abgeschnitten haben. Und die Kräfte, die 40 Jahre der SED hinterhergerannt sind und dann sehr schnell zur West-CDU und zu rechten Positionen übergewechselt sind, doch so viele Wählerstimmen bekommen haben. Für mich ein erschütterndes Ergebnis und völlig unerwartet."
"Erst mal geht's mir darum, dass es schnell geht. Die SED hat uns so runtergewirtschaftet, das ganze Land, dass ich zwar der SPD mehr zutraue, aber schneller wird es mit der CDU gehen, hoffe ich jedenfalls, und deshalb habe ich sie heute auch gewählt. Es wird brutaler zu gehen bei der CDU, schlimmer werden, aber kürzer, hoffe ich."
Zu viel Moral, zu wenig Finanzkompetenz
Lothar de Maizière, damals Wahlsieger und dann Ministerpräsident, sieht die Rolle der Bürgerrechtler in den letzten Monaten der DDR heute ohnehin überschätzt, ihre Wahlniederlage folgerichtig: "Die Wahlen waren wohl auch Wahlen, aber sie waren vor allem ein Plebiszit. Eine Volksabstimmung für Deutsche Einheit, für föderalen Staatsaufbau, für Rechtsstaat mit klarer Gewaltenteilung, Soziale Marktwirtschaft und D-Mark. Und alle, die etwas anderes wollten, wurden nicht gewählt. Und die Bürgerbewegten wollten ja eine neue DDR haben, klein, bescheiden, pazifistisch, ökologisch, basisdemokratisch, himmlisch gerecht, ein richtiger kleiner Gottesstaat mitten im Herzen Europas. Nur wie man den finanziert wussten sie nicht."
Auch für Gregor Gysi kam der ausbleibende Wahlerfolg von Neuem Forum und Co. nicht unerwartet: "Ich wusste, dass Bürgerinnen und Bürger immer Schwierigkeiten haben, wenn jemand - scheinbar - moralisch in jeder Hinsicht im Recht ist. Das mögen sie nicht, weil sie es ja nicht sind. Und das ist so ein Instinkt, da müssen die Leute gar nicht lange drüber nachdenken, dass sie so was dann doch nicht wählen."
Ulrike Poppe macht heute den zögerlichen Umgang mit der Wiedervereinigung verantwortlich für die enttäuschende Wahlentscheidung der DDR-Bürger: "Wir haben immer gesagt: Man muss sich Zeit lassen. Wir müssen erst mal eine stabile DDR aufbauen. Wir waren nicht Gegner der Wiedervereinigung, wie es heute manchmal heißt, es ging auch gar nicht um das 'ob' sondern um das 'wie'. Und da haben wir nicht das Mehrheitsinteresse getroffen."
Auch in der neuen Volkskammer ging der Streit darüber weiter. Wie er am Ende ausging, ist bekannt. Bereits fünf Monate nach der Volkskammerwahl war es soweit: Das frei gewählte Parlament der DDR beschloss den Anschluss an die Bundesrepublik. Eine Dynamik, die auch Lothar de Maizière am Wahlabend nicht für möglich gehalten hätte.
"Ich habe am 19.April eine Regierungserklärung gehalten, und in der habe ich gesagt, ich hoffte, dass wir mit unserer Politik so gut wären, dass wir 1992 wieder gemeinsam nach Barcelona zu Olympia fahren. Das war so der Zeithorizont, den ich damals hatte. Und wenn Sie mal den Zehn-Punkte-Plan von Helmut Kohl vom 28.November 1989 sehen, der hat sicher einen Zeithorizont von fünf bis acht Jahren gehabt oder so was. Ich muss nicht zehn Punkte beschreiben, wenn ich ein Dreivierteljahr später das Ergebnis habe. Geschichte erreicht, wenn man so zurückblickt, eine gewisse Art von Plötzlichkeit."