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Erste Penicillin-Behandlung vor 80 Jahren
Der lange Weg zum Antibiotikum

Durch Zufall entdeckte der britische Bakteriologe Alexander Fleming 1928 eine neuartige Substanz, die gegen lebensgefährliche Infektionen mit Bakterien eingesetzt werden konnte. Penicillin wurde am 12. Februar 1941 erstmals einem Todkranken verabreicht. Eine Erfolgsgeschichte mit vielen Rückschlägen.

Von Martin Winkelheide |
    Erinnerungsstein am St Marys Hospital in London. Der Bakteriologe Alexander Fleming entdeckte hier Penicillin durch Zufall im September 1928
    Der Bakteriologe Alexander Fleming entdeckte Penicillin durch Zufall im September 1928 (imago /Loop / Roberto Herrett)
    Es war eine kleine Verletzung mit fatalen Folgen: Ein Rosendorn, ein Kratzer im Gesicht des Polizisten Albert Alexander. Die Wunde infizierte sich mit Bakterien, es bildeten sich Abszesse. Dann bekam Alexander Fieber. Der Brite wurde in ein Krankenhaus in Oxford eingeliefert. Weil nichts half, entschlossen sich die Ärzte zu einer experimentellen Behandlung. Am 12. Februar 1941 spritzten sie dem Todkranken 160 Milligramm einer neuartigen Substanz: Penicillin. Innerhalb von 24 Stunden verschwand das Fieber, der Appetit kam wieder und die Wunden begannen zu heilen.
    "Die erste praktische Anwendung von Penicillin war sehr problematisch. Obwohl sie zunächst sehr erfolgreich schien."

    Erster Patient starb trotz Behandlung

    Die Ärzte um den Pathologen Howard Florey in Oxford, so der Heidelberger Medizinhistoriker Wolfgang Eckart, hatten zu wenig und zu schlecht gereinigtes Penicillin. Sie hätten Albert Alexander über sieben bis zehn Tage behandeln müssen, ihr Vorrat aber war nach fünf Tagen aufgebraucht.
    "Wenn die Patienten einmal anbehandelt waren, dann aber der Behandlungsstoff ausging, also das Penicillin, dann konnte sich sehr schnell eine noch dramatischere Situation ergeben, und die Patienten verstarben dann schnell. Und so ist es leider auch diesem ersten Patienten ergangen."
    Albert Alexander erlitt einen Rückfall und starb am 15. März 1941.

    Entdeckung durch Zufall

    Dass bestimmte Schimmelpilze Stoffe bilden, die Bakterien abtöten, hatte der britische Arzt und Bakteriologe Alexander Fleming bereits im September 1928 entdeckt. Durch einen Zufall.
    Fleming hatte Bakterien angezüchtet. Einige Kulturschalen mit diesen Staphylokokken hatte er wohl vergessen, vor dem Urlaub zu entsorgen.
    Auf einigen waren Schimmelpilze gewachsen. Er entdeckte: Rund um den blau-grünen Schimmel gab es keine Staphylokokken, erinnerte sich seine Witwe und Assistentin Amalia.
    "Er begann daraufhin, diesen Schimmelpilz sorgfältig zu untersuchen. Es ergab sich, dass er der Gruppe Penicillium angehörte. Und er nannte die neue Substanz daher Penizillin."

    Fachartikel von 1929 fand wenig Beachtung

    Die Ergebnisse seiner Laboruntersuchungen fasste Fleming 1929 in einem Fachartikel zusammen. Die Arbeit fand zunächst wenig Beachtung. Erst 1939 begannen Chemiker um Howard Florey und Ernst Chain von der Universität Oxford, aus dem vom Schimmelpilz gebildeten Stoffgemisch die medizinisch wirksame Substanz, das Penizillin-G, zu isolieren und in größeren Mengen zu gewinnen. Großbritannien befand sich bereits im Krieg mit Deutschland.
    "Deshalb wurde beschlossen, aus diesem Projekt ein Joint-Venture, würde man heute sagen, zu machen und die Produktion beziehungsweise die großtechnische Reinigung des Stoffes in die USA zu verlagern, weil da mehr Kapazitäten vorhanden waren."

    Massenproduktion durch Hilfe der USA möglich

    Schon früh war klar, so Wolfgang Eckart, dass dieses Medikament kriegswichtig sein würde. Die Massenproduktion von Penicillin wurde – wie die Entwicklung der Atombombe – von den USA mit aller Macht vorangetrieben.
    "Man musste dieses Penicillin haben, weil mit einer großen Zahl verwundeter alliierter Soldaten zu rechnen war, während der Landung in der Normandie."
    1943 produzierten die US-amerikanischen Pharmafirmen bereits knapp 1,5 Tonnen reines Penicillin, 1945 über 400 Tonnen.

    In Deutschland auf dem Schwarzmarkt gehandelt

    Nach Deutschland kam das Penicillin mit den Besatzungstruppen. Aber es wurde zunächst nicht an die deutsche Bevölkerung verteilt. Eine Folge: Sehr schnell entwickelte sich ein Schwarzmarkt.
    "Penicillin wurde praktisch mit Gold aufgewogen. Das schönste Beispiel für diese dramatische Schwarzmarktsituation ist der Film ‚Der Dritte Mann‘."
    Aus dem Jahr 1949. Nach einem Drehbuch von Graham Greene, in dem es um den kriminellen Handel mit gestrecktem Penicillin im besetzten Wien geht.
    Orson Welles im Film "Der Dritte Mann" 1949.
    Orson Welles im Film "Der Dritte Mann" 1949. (Imago / AD)
    "Auf dem Tempelhofer Feld in Berlin landet eine amerikanische Maschine mit dem neuen Heilmittel Penicillin. Es ist zur Verwendung in deutschen Krankenhäusern bestimmt."

    Erste Resistenzen durch massenhaften Einsatz

    Ab Anfang der 50er-Jahre war Penicillin zwar verfügbar, aber teuer und wurde daher noch zurückhaltend eingesetzt. Erst mit seinem breiten Einsatz wurde klar, dass Erreger auf den Druck von Penicillin reagieren.
    Es entwickelten sich erste resistente Keime, denen das Antibiotikum nichts mehr anhaben konnte. Ob wir auch auf lange Sicht wirksame Medikamente gegen krankmachende Bakterien haben werden, ist keineswegs sicher.