"Drei, zwei, eins ..."
Großer Bahnhof heute für den Testzug Lucy im historischen Bahnhof von Schlettau, einem kleinen Bergbaustädtchen nahe Annaberg-Buchholz. Unweit von hier betreibt die Deutsche Bahn seit gut einem Jahr das damals erste digitale Stellwerk Europas. Das ist ein wichtiger Mosaikstein für das künftige Testfeld für digitalisiertes autonomes Eisenbahnfahren. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber an diesem Dienstag soll ein wichtiger Meilenstein gesetzt werden, wie Sören Clauss, der technische Leiter des im Aufbau befindlichen Smart Rail Connectivity Forschungs-Campus erklärt:
"Das, was wir heute zeigen ist teleoperiertes Fahren. Stellen Sie sich vor, Sie haben kein Personal mehr an Bord und Sie haben irgendeine Störung oder die Sensorik meldet irgendetwas, so dass der Zug zum Halten kommt. Dann bleiben bloß zwei Möglichkeiten: entweder Sie haben jemanden, der relativ schnell dort ist, was häufig nicht realistisch ist. Oder Sie haben die Möglichkeit aus einer Fernleitwarte den Zug zu übernehmen und dann weiterzusteuern."
Riesige Datentranfers nötig
Um so einen Fernsteuerungsprozess überhaupt durchführen zu können bedarf es eines riesigen Datentransfers, der nur über ein 5G-Netz möglich ist. Das Erzgebirge kennt viele Funklöcher, aber in Schlettau steht an diesem Morgen ein nagelneuer 5G-Mast mit 60 integrierten kleineren Antennen als Basisstation. Der speist seine Daten über Richtfunk ins Glasfasernetz und schließlich in das Rechenzentrum des Mobilfunkkonzerns Vodafone.
Im mobilen Fernleitcockpit am Schlettauer Bahngleis bereitet sich derweil Thomas Kayser, gelernter Lokomotivführer auf die Weltpremiere vor. Gleich wird er den Zug von hier aus steuern:
Kein Hören, kein Sehen -alles vom Monitor aus
"Normalerweise sitzt man als Lokführer im Führerstand und hat den Blick auf die Strecke, bekommt was vom Fahrzeug mit und Geräusche und auch wie das Fahrzeug reagiert und nun sitze ich hier, etwas abseits vom Fahrzeug und höre das Fahrzeug auch gar nicht und sehe nur vom Monitor wie es eben losfährt. Das ist ein komisches Gefühl..."
Und dann ist es soweit. Der dunkelgraue Triebwagenzug, Baujahr 1994, voller Technik und mit zahllosen Sensoren über und unter dem Führerstand setzt sich in Bewegung.
Lucy rollt aus dem Bahnhof auf die Teststrecke. 400 Meter wird sie an diesem Tag fahren, mit Weichenwechsel und einem leeren Cockpit. Nur zur Sicherheit befindet sich ein Lokführer an Bord um im Notfall die Bremse zu ziehen. Das ist heute nicht nötig, die Testfahrt gelingt. Eine Weltpremiere im Erzgebirge und ein wichtiger Meilenstein für das autonome Eisenbahnfahren sagt Kai Taylor vom Thales-Konzern:
"Ob es also um Connectivität geht. Die Fernsteuerung eines Zuges oder die Anwendung von artificial intelligence, das sind alles diese Technologien, die zwar irgendwo schon vorhanden sind, aber in der Bandbreite gar zusammengeführt werden konnten."
Riesenschub für die Region
Rund 120 Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft haben sich unter der Führung der Technischen Universität Chemnitz in dem Eisenbahn-Campus-Projekt – kurz SRCC –zusammengeschlossen. Sitz des SRCC wird in Annaberg-Buchholz sein. Der Oberbürgermeister der Stadt, Rolf Schmidt sieht großes Potenzial:
"Heute ist der Tag wo die ersten Ergebnisse sichtbar werden und ich glaube für die ganze Region ist das ein Riesenschub, der da kommen wird, wenn alles so kommt, wie wir uns das vorstellen."
Doch auch die Bevölkerung muss und will mitgenommen auf diesem Weg. Der Ausbau der Funkmasten entlang der Bahnstrecke ist kostenintensiv und nicht unumstritten. Derzeit laufen Gespräche mit dem Freistaat Sachsen.