Das englische Volk mochte sie, dem Adel und dem Königshaus waren sie zuwider: Wilde und äußerst brutale Fußball ähnliche Spiele, bei denen im Mittelalter sogar ganze Dörfer gegeneinander antraten. Mit Würfen und Tritten versuchten die Teilnehmer, Medizinball große, mit Stroh oder Federn gefüllte Tierblasen ins Ziel zu bugsieren. Die Obrigkeit befürchtete Aufruhr und sorgte sich um die Wehrtüchtigkeit ihrer Untertanen, die lieber nach Bällen traten, als das Schießen mit Pfeil und Bogen zu üben. Immer wieder hagelte es Verbote. 1314 ließ König Edward II. das volkstümliche Spiel innerhalb der Stadtmauern von London verbieten, bei Strafe der Einkerkerung.
"Bei dem gewöhnlichen Volksfußball muss man sagen, dass er fast ungeregelt war. Die Zahl der Leute war nicht begrenzt, der Platz war auch nicht begrenzt, sondern es ging über Feld, Wald und Wiese und auch über Straßen hinweg, und es gab sogar, weil es reines Geraufe war, manchmal sogar Tote."
Weiß der Fußballhistoriker und Philosoph Christoph Bausenwein.
Bei den mittelalterlichen Volksfußballspielen bewegten die Teilnehmer den Ball mit Füßen und Händen. Diese Mischung aus Hand- und Fußball wurde auch an den elitären englischen Public Schools gespielt, wo der Adel und später auch das wohlhabende Bürgertum ihre Kinder unterrichten ließen.
Lange Zeit ein regelloses Spiel
Lange Zeit diente das regellose Spiel zur Einübung in gewaltbetonte und diskriminierende Männlichkeitsrituale. Das änderte sich erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Im Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung verloren adelige Wertvorstellungen wie Mannhaftigkeit und Durchsetzungskraft mehr und mehr an Bedeutung. Bürgerliche Tugenden wie Selbstdisziplin und Höflichkeit traten an ihre Stelle. An den Public Schools gab es entsprechende Reformen.
"Dann hat man angefangen, einen Ehrenkodex anzulegen, der einzuhalten ist, und aus diesem Ehrenkodex ist dann über Jahre hinweg das entstanden, was man heute Fair Play nennt, also dass man die Regeln anerkennt, und nicht versucht, sie hinterrücks praktisch zu umgehen, das ist also die englische Sportethik gewesen, die dann da im Fußball mit hineingebracht worden ist."
Vom Rüpel-Kick zum Gentlemen-Sport
Ein nach Regeln ausgeübter sogenannter Gentlemen-Sport, bei dem Fairness und Teamgeist im Vordergrund standen, hielt Einzug. Aber jede Schule hatte ihre eigenen Spielregeln. Bei einigen wie in Rugby, stand das Spiel mit der Hand im Vordergrund, in Eton oder Harrow dagegen das Schießen mit dem Fuß. An den Universitäten wurden die unterschiedlichen Regelwerke zum Problem.
"Die meisten, die dann studiert haben, trafen sich in Oxford und Cambridge, und dann war‘s in der Anfangszeit so, dass man praktisch bei jedem Spiel erst einmal aushandeln musste, mit welchen Regeln treten wir jetzt an, und es gab langwierige, tagelange Verhandlungen."
Geburtsstunde des modernen Fußballs
Um diesen Missstand zu beenden und einheitliche Regeln festzulegen, gründeten am 26. Oktober 1863 in London Vertreter von elf Vereinen und Schulen die Football Association FA, den ersten Fußballverband der Welt. Die Gründung gilt als Geburtsstunde des modernen Fußballs. Es wurde heftig gestritten. Erst im Dezember, nach weiteren sechs Sitzungen des Verbandes, konnten sich die englischen Fußball-Pioniere auf 13 allgemeingültige Regeln einigen.
Das Handspiel wurde untersagt, und es war fortan verboten, dem Gegner ein Bein zu stellen, ihn zu treten, zu halten oder wegzustoßen. Zudem hieß es in der letzten Regel:
"Kein Spieler darf hervorstehende Nägel, Eisenplatten oder Naturlatex auf den Sohlen oder Absätzen seiner Stiefel tragen."
Anhänger des rabiaten Rugby-Fußballs, wo Handspiel erlaubt war und ungezügeltes Treten, fürchteten eine "Entmännlichung" des Spiels. Sie zogen sich aus der FA zurück und gründeten 1871 ihren eigenen Verband, die Rugby Football Union.
Anhänger des rabiaten Rugby-Fußballs, wo Handspiel erlaubt war und ungezügeltes Treten, fürchteten eine "Entmännlichung" des Spiels. Sie zogen sich aus der FA zurück und gründeten 1871 ihren eigenen Verband, die Rugby Football Union.
Die Abschaffung des groben Foulspiels machte Fußball auch für die englischen Arbeiter attraktiv. Sie mussten nicht mehr befürchten, infolge von Verletzungen arbeitsunfähig zu werden.
Die FA wuchs, Fußball wurde Massensport. Bereits 1871 organisierte der englische Verband mit dem FA-Cup den ersten landesweiten Wettbewerb. Und 1888 startete die erste englische Profiliga. Inzwischen gibt es weltweit 211 Fußballverbände.