Mit weit über tausend Folgen hat sich der "Tatort" mit seinem Vorspann ins kollektive Gedächtnis der Fernsehzuschauer eingebrannt. Seine Geburtsstunde erlebte die Reihe am 29. November 1970 mit "Taxi nach Leipzig". Darin will der sture Hamburger Hauptkommissar Trimmel den Tod eines westdeutschen Kindes an der Transitautobahn nach Leipzig aufklären:
"Da gibt es ein totes Kind in der Zone. Und es ist mir ziemlich schnuppe, ob das Kind in Ostdeutschland oder in Westdeutschland gestorben ist."
Gedacht als ZDF-Konkurrenz
Der Film lag beim NDR schon fertig produziert in der Schublade und passte nicht ganz in das neue Serien-Schema, das WDR-Dramaturg Gunther Witte entwickelt hatte: Gedacht als Konkurrenz zur erfolgreichen ZDF-Krimiserie "Der Kommissar", sollte jeder ARD-Sender seine Ermittler nur in der eigenen Region auf Verbrecherjagd schicken, und die Themen sollten ein wenig bundesrepublikanische Wirklichkeit widerspiegeln. Ursprünglich sollte "Tatort" deshalb auch die jeweiligen Landes-Metropolen mit im Titel führen, so Gunther Witte:
"Und dann haben wir aber irgendwie gemerkt, dass der Begriff ‚Tatort‘ von Anfang an so faszinierend war und auch zugkräftig war, dass wir das andere, haben wir gesagt, das merkt man dann schon, ob einer Bayerisch spricht, ein Kommissar, oder einer Hamburgisch oder was weiß ich. Und so kam ‚Tatort‘ zustande."
Föderalistische Befindlichkeiten
Um sich trotzdem als große ARD-Familie zu präsentieren, musste fast jede Folge den Gastauftritt eines Kollegen aus einer anderen Sendeanstalt zulassen. Davon ließen die Macher bald ab. Die Kurzauftritte wirkten zunehmend konstruiert:
"Veigl! Ah, Herr Kollege Haferkamp. Ja, wegen Ihrer Anfrage. Ich habe das Fernschreiben gerade rausgeschickt."
In den 70er-Jahren benahmen sich die meisten Ermittler noch beamtenmäßig korrekt, so wie der Kieler Kommissar Finke: "Sie werden sich vielleicht fragen, warum ich Sie in dieser traurigen Angelegenheit noch einmal belästigen muss." "Sie werden Ihre Gründe haben!"
Die "Schimmmi"-Zäsur
Doch Auftreten und Ton änderten sich zu Beginn der achtziger Jahre radikal:
"Schimanski, Hauptkommissar, 25 Dienstjahre, abnehmende Stressresistenz!" "Das glaubst Du doch wohl alles nicht, Mensch! Dem haben sie ins Gehirn geschissen, Du!"
Der raubeinige Horst Schimanski - Götz George in einer der populärsten Tatort-Figuren - zeigte vor allem Körpereinsatz:
"Wir haben so einen Keil zwischen diese Fernsehlandschaft getrieben. Und wir wurden ja auch dementsprechend behandelt. Wir wurden unendlich angegriffen und beschimpft, dass wir Duisburg in einem so schlechten Licht zeigen."
Markenzeichen Ermittler-Duo
Gleichzeitig etablierte sich mit den "Schimanski-Krimis" eine erfolgreiche neue Idee: das gleichberechtigte Ermittler-Duo. "Schimi" und sein kongenialer Partner Thanner klärten mit der Attitüde eines alteingespielten Ehepaares komplizierte Fälle auf. Seit Mitte der achtziger Jahre trieben die Hamburger Stoever und Brockmöller, gespielt von Manfred Krug und Charles Brauer, dieses Konzept humorvoll auf die Spitze:
"Abendessen bei Kerzenlicht. Wenn uns einer so sehen könnte!" "Jetzt mach ich mal den Vorhang zu!" "So ist es recht Schatz, mach es uns schön gemütlich!"
Der "Tatort" nach der Wende
Nach dem Fall der Mauer stiegen neue ostdeutsche Kollegen wie Peter Sodann als sächsischer MDR-Kommissar Bruno Ehrlicher in die Reihe ein: "Ich habe zwanzig Jahre lang Täter überführt, Straftaten aufgeklärt, die welche waren und sind, unabhängig davon, ob der Staatschef Honecker oder Kohl heißt."
Männer ermitteln, Frauen sind Opfer
Mit der Wende tauchten auch zunehmend mehr weibliche Kommissare auf. Ulrike Folkerts als Lena Odenthal, seit 1989 aktive dienstälteste Ermittlerin aus Ludwigshafen, hatte sich immer daran gestört, dass Frauen in der Regel nur die Opfer spielten:
"Und ich habe auch gemerkt, da gibt es so eine Nachfrage vom weiblichen Publikum, die haben Lust so was zu sehen, die haben Lust eine starke Frau zu erleben, die haben Lust eine Frau in diesem Job zu erleben."
Mittlerweile hält sich die Anzahl der weiblichen und der männlichen Rollen fast die Waage. Während von den rund achtzig Ermittlerteams einige nach kurzer Zeit wieder klanglos verschwanden, traten andere wie Stoever - Brockmöller nach 17 Jahren Dauerpräsenz 2001 öffentlich-wirksam ab. Manfred Krug sehnte sich nach neuen Herausforderungen:
"Ich kann das Wort 'Tatort' nicht mehr hören. Muss ich sagen. Und ich kann auch das Wort Krimi im Moment nicht mehr hören …"
"Ich kann das Wort 'Tatort' nicht mehr hören. Muss ich sagen. Und ich kann auch das Wort Krimi im Moment nicht mehr hören …"
Trend zur Provinz
Es gibt aber auch Unermüdliche, die, wie die Münchner Fernsehbeamten Batic - Leitmayr, auch nach fast dreißig Jahren nicht an Ruhestand denken. Leitmayr-Darsteller Udo Wachtveitl:
"Es ist nach wie vor so: Ich freu mich, wenn ein neues Buch kommt. Und ich freu mich auf die nächste Arbeit."
Seit der Jahrtausendwende hat sich der Trend zu mehr Provinz verstärkt. Nicht nur in den Großstädten lauert das Verbrechen, auch in Weimar, Freiburg, Münster oder Göttingen. Bis heute ist der Tatort für die ARD immer noch ein Quoten-Garant und für Millionen von Deutschen ein Sonntagabend-Ritual. Ende offen.