"Er trug Montreal in den meisten Songs immer im Herzen. Der berühmteste, und vielleicht mein Lieblingssong, 'Suzanne' ist unten im alten Hafen entstanden. In ihm wird die 'Our Lady of the Harbour' besungen, die Statue auf der Kirche, die alles von oben beobachtet."
Sylvie Simmons kennt Leonard Cohen gut. Die Musikkritikerin hat 2012 eine Biografie über ihn veröffentlicht, die auf etlichen Gesprächen mit Cohen basierte. Die US-Journalistin steht mit ihrer Ukulele in der Notre-Dame-de-Bon-Secour Kirche im alten Teil von Montreal und singt. Im Publikum: Fans aus der ganzen Welt, die an diesem Tag jene Orte besucht haben, die für Cohen so wichtig waren. Organisiert hat das Ganze Eva Poola.
"Wir haben in Westmount angefangen, wo er geboren wurde und wo er zur Schule gegangen ist, sind dann über den Berg Mont Royal gegangen und haben uns ein großes gemaltes Bild an einer Häuserwand angeschaut. Danach sind wir in den Stadtteil Le Plateau gefahren, wo sein Haus steht."
Montreal zollt Cohen einmal mehr Respekt
Das rote Backsteinhaus kennt in Montreal fast jede und jeder. In dem kleinen Park davor saß Cohen immer mit Anzug und Hut auf einer Bank. Man ließ ihn in Ruhe, wenn er über die Welt nachdachte. Die Menschen von Montreal zollten ihm somit Respekt. Und das tut die Stadt weiterhin, wenn seine Zeilen in Lichtinstallationen an Hauswände projiziert und fünf seiner Alben in fünf Konzerten nachgespielt werden. Auch das MAC, das Museum für Zeitgenössische Kunst, ehrt den Musiker in der Ausstellung "A Crack in Everything". MAC-Leiter John Zepetello hat sie kuratiert.
"Es ging dabei um Leonards Präsenz in der gesamten Kultur. Er hat die Erfahrungen von Künstlern mehrerer Generationen aus allen Bereichen beeinflusst. Das waren nicht nur seine Gebiete, die Musik und Poesie. Wir wollten mit der Ausstellung seinen kulturellen Einfluss würdigen, die Möglichkeiten, die er Künstlern gegeben hat."
Kaum Biografie, keine klassische Huldigung
Diese Wertschätzung zeigt sich anders als man sie erwartet. Biografische Fakten werden in einer kleinen Ecke eher schnell abgehakt: Geburt 1934, Tod des Vaters mit zwölf, Studium an der McGill Universität, der Schritt vom Schriftsteller zum Sänger, der Buddhismus, der seine Despression erträglich machte. Als Zepetello vor drei Jahren die Arbeit begann, waren dem Kurator andere Dinge wichtiger.
"Leonard hätte uns nicht erlaubt, eine eher klassisch biografische Huldigung zu veranstalten. Er war glücklich mit unserem Vorschlag, weil wir genau das nicht machen wollten. Wir wollten Künstlern die Möglichkeit geben, über seine Kunst nachzudenken."
18 Männer singen voller Inbrunst "I'm your Man".
20 Kunstwerke von Künstlern aus unterschiedlichen Bereichen rücken Stationen und Songs im Leben von Leonard Cohen durch ihre Interpretationen in ein neues Licht. Es gibt Videos und Virtual Reality. In einem Raum legen sich die Besucher auf den Boden, der Song "Famous Blue Raincoat" erklingt, an den Wänden erscheinen Animationen mit dem Songtext. In einer anderen Sequenz tauchen 18 männliche Cohen-Fans auf – ohne Musik im Hintergrund singen sie im Kreis angeordnet voller Inbrunst Songs vom 1988er Comeback-Album "I'm your Man".
Natürlich darf auch "Hallelujah" nicht fehlen. Die Künstlerinnen Melissa Mongiat und Mouna Andraos sammeln Live-Daten davon, wie oft das Stück gerade jetzt auf der Welt auf YouTube, Spotify oder Vimeo gehört wird.
"Hallelujah" wird auch spürbar
"Aus diesen Daten haben wir einen virtuellen Chor erschaffen. Für jede Person, die den Song hört, ertönt eine summende Stimme. Man kann den Chor also im Museum in einem besonderen Raum mit perfekter Akustik hören."
Die Besucher sind eingeladen, selber ein Mikrofon zu nehmen und mit zu summen. Ihre Stimme wird dabei in Vibrationen im Fußboden umgewandelt, so dass "Hallelujah" auch spürbar ist. Man verfällt ein wenig in eine Art Meditation. Der Puls beruhigt sich. Die Außenwelt ist vergessen. Leonard Cohen und seine Musik umhüllen die Hörer. Das gilt für die meisten Exponate der Ausstellung: Man fühlt sich wie durch eine Art audiovisuelle Wand vor dem Bösen beschützt. Beim Verlassen des Museums scheint einem aber die Sonne von Montreal wieder direkt ins Gesicht: "There is a crack in everything. That's how the light gets in".