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Erster Verhandlungstag in Berlin
Mordprozess im Fall von Weizsäcker beginnt

Fritz von Weizsäcker wurde nur 59 Jahre alt. Der Sohn des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker starb im November 2019 bei einem Messerattentat. Der Mord ereignete sich mitten in Berlin, vor Publikum bei einem Vortrag. Heute beginnt vor dem Landgericht Berlin der Strafprozess.

Von Daniela Siebert |
Feuerwehrleute, Polizisten und medizinisches Personal nach dem tödlichen Angriff auf den Mediziner Fritz von Weizsäcker in der privaten Schlosspark-Klinik in Berlin-Charlottenburg. Das Opfer war der Sohn des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker.
November 2019: Polizei und Rettungskräfte nach der Tat in einer Berliner Privatklinik (dpa/Paul Zinken)
Regierungssprecher Steffen Seibert fasste die Betroffenheit nach der Tat im November damals in diese Worte: "Das ist ein entsetzlicher Schlag für die Familie von Weizsäcker. Und die Anteilnahme der Bundeskanzlerin, sicher auch der Mitglieder der Bundesregierung insgesamt, gehen an die Witwe, an die ganze Familie."
Professor Fritz von Weizsäcker war Chefarzt an der Berliner Schlosspark-Klinik. Fachgebiet Innere Medizin. An seinem Todestag, dem 19. November 2019, beendet er in der Klinik gerade einen Vortrag über das Thema Fettleber. Im Raum: rund 30 Patienten und Gäste, allesamt angemeldete Zuhörer. Plötzlich erhebt sich ein Mann aus dem Publikum, stürmt auf ihn los und rammt ihm ein Messer in den Hals.
Diesen Tathergang wird die Staatsanwaltschaft heute Gregor S. zur Last legen, einem 57-Jährigen, der für die Tat eigens mit dem Zug von Rheinland-Pfalz nach Berlin gereist sein soll.
Fragen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten
Auch einen Polizisten, der eigentlich als Zuhörer zum Vortrag gekommen war, dann aber wohl spontan versuchte, den Angreifer zu überwältigen, auch diesen Mann soll Gregor S. durch Messerstiche verletzt haben. Die Anklage lautet daher auf Mord, versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung.
Gerichtssprecherin Lisa Jani: "Die Tötung des Professor Dr. von Weizsäcker wird als Mord gewertet von der Staatsanwaltschaft, weil hier zwei Mordmerkmale als gegeben angesehen werden, einmal das Mordmerkmal der Heimtücke und des weiteren das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe, denn der Angeklagte hat im Ermittlungsverfahren angegeben, er habe aus Hass auf die Familie von Weizsäcker gehandelt. Zusätzlich ist der Angeklagte wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung angeklagt, weil er den Polizeibeamten, der da eingegriffen hat, schwer verletzt haben soll und zusätzlich soll er dabei in Kauf genommen haben, auch diesen Zeugen zu töten."
Insbesondere den Vater des Getöteten soll Gregor S. gehasst haben: den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Fritz war dessen jüngster Sohn, eins von vier Kindern. Das mutmaßliche Motiv wirft Fragen auf, vor allem zur Schuldfähigkeit des Angeklagten. Der ist derzeit jedenfalls in der geschlossenen Psychiatrie eines Krankenhauses untergebracht.
Richard von Weizsäcker hat die rechte Hand zum Schwur erhoben und spricht den Amtseid.
Richard von Weizsäcker: Soldat, Jurist, Bürgermeister, Bundespräsident
Richard von Weizsäcker war Bundespräsident von 1984 bis 1994. Berühmt wurde der CDU-Politiker vor allem durch seine Rede am 40. Jahrestag des Kriegsendes des Zweiten Weltkriegs.
"Es gibt Zweifel an der Schuldfähigkeit des Angeklagten, es gibt Untersuchungen von ihm, die noch keinen eindeutigen Schluss zulassen, deswegen findet hier eine normale Hauptverhandlung statt, es könnte sein, dass er nur vermindert schuldfähig gehandelt hat und deswegen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann, sollte er aber wegen Schuldunfähigkeit frei gesprochen werden, könnte es sein, dass die Voraussetzungen eben für eine dauerhafte Unterbringung in der Psychiatrie gegeben sind."
Ein psychiatrischer Gutachter wird daher den Prozess von Anfang an begleiten und seine Einschätzung einbringen. Das erinnert an frühere Attentate auf prominente deutsche Politiker, etwa Oskar Lafontaine oder auch Wolfgang Schäuble. Auch diese Täter hatten psychische Erkrankungen.
Doch Fritz von Weizsäcker stand selbst nicht in der politischen Öffentlichkeit, obwohl er Mitglied der FDP war. Beruflich hatte er sich der Medizin verschrieben, privat mochte er Schach und Mathematik, spielte gerne Klavier. Doch womöglich wurde ihm sein Familienname zum Verhängnis.
Tatmotiv im Zusammenhang mit Vietnamkrieg?
Lisa Jani: "Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte den Geschädigten deshalb umgebracht hat, weil er der Familie von Weizsäcker angehörte und nach den ersten Angaben des Angeklagten im Ermittlungsverfahren hat er insbesondere Anstoß genommen an der Rolle des Vaters des Verstorbenen, wegen dessen Tätigkeit in den 60er-Jahren als Vorstandsmitglied für einen großen Pharmakonzern, der an der Herstellung des Entlaubungsmittels Agent Orange beteiligt gewesen sein soll, welches wiederum im Vietnamkrieg eingesetzt wurde und zu großen Schäden dort geführt hat." Richard von Weizsäcker war Anfang der 60er-Jahre tatsächlich Mitglied der Geschäftsführung von Boehringer Ingelheim.
Im Berliner Landgericht wird die Bedeutung des Mordes an Fritz von Weizsäcker heute zu einem Konflikt mit den Corona-Bedingungen führen. Denn das Interesse an dem Prozess ist groß, zugleich gelten auch dort im Moment besondere Hygiene- und Abstandsregeln. Im Saal 700 – dem größten des Landgerichts – sind für den Prozess daher nur zehn Presseplätze vorgesehen und neun für normales Publikum.
Das Landgericht hat für die Verhandlung gegen Gregor S. bislang fünf weitere Termine angesetzt. Demnach könnte es Ende Juni ein Urteil geben. Fritz von Weizsäcker wurde im Dezember auf einem Friedhof in Berlin-Dahlem beigesetzt. Neben seinem Vater Richard von Weizsäcker. Der wurde 94 Jahre alt. Fritz nur 59.