Seine Majestät glaubt zunächst, sich verhört zu haben:
"Joseph Pomiankowski, österreichisch-ungarischer Feldmarschall-Leutnant und von 1909 bis 1918 Militärbevollmächtigter im Osmanischen Reich war 1916 beim Kaiser."
Um ihn zu überreden, eine seiner Truppen - buchstäblich - in die Wüste zu schicken! Kaiser Franz Joseph, Herrscher über die Donaumonarchie soll einen reichlich exotischen Militäreinsatz bewilligen: die Entsendung einer österreichischen Kampfeinheit in den Nahen Osten!
Auslöser für dieses Unterfangen, so der Wiener Historiker Robert Fischer, ist ein Gesuch des osmanischen Kriegsministers Enver Pascha. Der nämlich plant einen Angriff auf den Suezkanal, der unter britischer Kontrolle steht. Für dieses Vorhaben will er sich die militärische Unterstützung der deutschen und österreichisch-ungarischen Verbündeten sichern.
Der Kaiser sträubt sich. Er hält einen Einsatz seiner Soldaten in der fernen Sinaiwüste für ein Himmelfahrtskommando:
"Es hat dann eine längere Diskussion gegeben. Der Kaiser war ja damals schon ein sehr betagter Mann und er hat dann viele Fragen gestellt, ob dieser Truppeneinsatz wirklich Sinn machen würde, und Pomiankowski hat das immer wieder bestätigt. Und dann hat der Kaiser sich - muss man fast sagen - breit schlagen lassen, seine Zustimmung zu geben."
Ganz Jerusalem auf den Beinen
Also fasst man in Wien den Entschluss, eine Gebirgshaubitzdivision von 22 Offizieren und 813 Mann zusammenzustellen. Die erreicht im März 1916 Beer-Sheva in Südpalästina und zwei Monate später Jerusalem.
Den volksfestartigen Einzug der rund 400 Soldaten in die Heilige Stadt beschreibt die deutsche Augenzeugin Gerda Sdun-Fallscheer:
"Um den Einzug der ersten 400 österreichischen Soldaten am 9. Mai 1916 mitzuerleben, war ganz Jerusalem auf den Beinen. Die Militärkapelle spielte flotte Märsche und die Truppen in den farbenprächtigen Uniformen des Vielvölkerstaates wurden mit Blumen beworfen."
"Auffallend ist, dass es im Offizierskorps der Batterie allein drei jüdische Offiziere und sehr viele jüdische Unteroffiziere gibt."
Notiert in all dem Trubel beeindruckt der Korrespondent einer ungarisch-jüdischen Wochenzeitung mit dem Namen "Gleichheit":
"Die Zahl der jüdischen Soldaten bei der Division ist nicht gesichert. Es ist aber davon auszugehen, dass der Anteil der jüdischen Soldaten relativ hoch war. Die jüdische Bevölkerung der Donaumonarchie war ja in der kaiserlichen Armee durchaus überproportional stark vertreten und war im Ersten Weltkrieg sehr patriotisch und loyal. So gesehen war der Umstand, dass es bei der knapp 1000 Mann starken Division in Palästina doch mehrere Dutzend jüdische Soldaten gab, dann auch wieder nicht so ungewöhnlich."
Des Kaisers Soldaten in der heiligen Stadt
Großes Interesse und lebhafte Reaktionen ruft die Division bei den Jerusalemer Juden hervor - vor allem bei denen, die ursprünglich aus Österreich-Ungarn stammen und ausgewandert sind. Schüler von Talmudschulen, Vertreter der unterschiedlichen Gemeinden, oft benannt nach ihren Herkunftsgebieten - Galizien, Bukowina oder Siebenbürgen - stehen in Festtagskleidung, mit Blumen und Fahnen am Jaffator. Sie grüßen die einmarschierenden Soldaten mit Willkommensrufen auf Hebräisch.
So wollen sie auch ihre Dankbarkeit bekunden, denn seit vielen Jahren unterstützen österreichisch-ungarische jüdische Gemeinden die oft bitterarmen Geschwister-Gemeinden in Palästina:
"Diese Gemeinden waren auf Spenden aus ihrer Heimat angewiesen. Aber natürlich: mehr als ein sehr karges Leben war da nicht drin."
Als die Soldaten mit ihrer Einheit schließlich wieder an die Front zurückkehren, tragen sie in ihren Tornistern Gebetbücher und Tefillin - Gebetsriemen - die ihnen die Gemeindevertreter in Jerusalem geschenkt haben.
"Gewisses Maß an religiöser Toleranz war selbstverständlich"
Die erste Offensive findet am 17. Juli 1916 am Suezkanal statt. Beim Rückmarsch nach El-Arish findet der erste jüdische Soldat der Truppe, der 22-jährige Ungar Neander Kohn den Tod - nicht im Gefecht, sondern durch einen Unglücksfall. Da der zuständige Feldrabbiner in Jerusalem zurückgeblieben ist, übernimmt ein katholischer Priester das Begräbnis.
Anerkennend notiert ein Beobachter:
"Als einziger Kleriker bei der Division war er damit vertraut, den gemischten religiösen Hintergrund der Mannschaft zu berücksichtigen. Er demonstrierte religiöse Sensibilität, indem er seine Predigt frei von christlichen Referenzen hielt."
Ein gewisses Maß an religiöser Toleranz und gegenseitigem Respekt, so Robert Fischer, sei in den Armeen der Donaumonarchie, die schließlich ein Vielvölkerstaat war, selbstverständlich gewesen:
"Es wurde versucht, den jüdischen Feiertagen auch von der Kommandoebene her so weit wie möglich Rechnung zu tragen."
"Zum Beispiel war im Herbst 1917 die Frontlinie seit einigen Monaten bei Gaza und Beer-Sheva, also in Südpalästina. Und es kam ein Feldrabbiner aus Jerusalem angereist, um das jüdische Neujahr zu feiern. Und vielleicht ist das auch noch lobend anzumerken: der deutsche Kommandant der Gesamttruppe, die bei Beer-Sheva stand, Kress von Kressenstein hieß der Mann, der überließ dem Rabbiner dann sogar noch sein Auto, damit der rechtzeitig wieder nach Jerusalem zurückkonnte."
Im Herbst 1916 marschiert die Gebirgshaubitzdivision nach Bethlehem, um im Karmel- und im Salesianerkloster ihr Winterquartier zu beziehen. Dort erfahren die österreichisch-ungarischen Wüstenkämpfer am 23. November, dass ihr oberster Kriegsherr, Kaiser Franz Joseph zwei Tage zuvor gestorben ist. Am 9. Dezember 1917 kam dann Jerusalem unter britische Herrschaft:
"Und der britische General Allenby hielt dann seinen Einzug in der Heiligen Stadt. Die osmanisch-deutsch-österreichische Front brach total zusammen, es gab einen chaotischen Rückzug von Palästina durch ganz Syrien. Und in diesen letzten Wochen hatten auch die österreichisch-ungarischen Truppen sehr hohe Verluste."
Das militärische Abenteuer im Wüstensand war beendet.