Historische Nachhilfe ist dringend nötig und allemal willkommen. Denn wer weiß schon wirklich, wer dieser Gawrilo Princip war, warum er geschossen hat und dafür in weiten Kreisen der Bevölkerung im zerfallenen Jugoslawien als Held verehrt wird. Zum Jubiläum bekommt er gleich zwei Denkmäler, in Belgrad und am Ort der Tat, in Sarajewo; und schon im Vorfeld erntete der Tote Ruhm und Ehrung auch durch kulturelle Ideenträger wie etwa den Musiker und Film-Regisseur Emir Kusturica. Straßen sind nach Princip benannt; und an der Hauptstraßenecke in Sarajewo, von der aus der Attentäter auf das herrscherliche Paar schoss, waren in unterschiedlichen Epochen in den vergangenen hundert Jahren unterschiedliche Gedenktafeln angebracht – vom Museum ganz zu schweigen, dass hier stand.
Wer weiß schon, dass der Mord vom 28. Juni 1914 in einer Reihe kaum zu zählender Attentatsversuche stand, die zuweilen auf erstaunliche Weise scheiterten – Bogdan Zerajic etwa, den Princip verehrte, hätte dem greisen Kaiser Franz Joseph aus Wien praktisch die Kehle durchschneiden können, bekam aber plötzlich Ehrfurcht vor Alter und Gebrechlichkeit. Als er ersatzweise dann einen niederen Repräsentanten der Weltmacht töten wollte, schoss er fünf Mal daneben – um sich danach mit sechs Schüssen selbst zu töten. So verrückt Kusturicas Filme sind, so kurios wirkt oft der Kampf der balkanischen Nationalisten. Aber er gehört zum Kern vom Konflikt.
Das ist der Drina-Marsch; auch er erinnert an eine Schlacht und es braucht wirklich viel Erinnerung an viele Schlachten, um das Balkan-Drama halbwegs in den Griff zu bekommen. Kroesingers Bemühung beginnt sehr spielerisch – vier Darsteller, zwei sprechen Deutsch, zwei Serbokroatisch, fingieren den Beginn einer Tagung zum Thema, die eigentlich erst morgen richtig los geht; was wir in der Folge zu sehen bekommen, ist also sozusagen das Vorspiel. Dann werden Materialien aufgefächert.
Und nur wer genau hinhört, merkt schnell, dass da nicht vom postjugoslawischen Schlachten vor 20 Jahren die Rede sein kann – tatsächlich sind wir mitten im Okkupationskrieg, den die Monarchie gegen die widerspenstigen Balkan-Völker 1878 führte. Und noch viel weiter zurück reichen die Wurzeln von Rache und Hass – bis zur Schlacht auf dem Amselfeld, dem "kosove pole", im Jahr 1389, die der serbische Feldherr Lazar gegen die Türken verlor. Nach gregorianischer Rechnung fand diese Schlacht am 28. Juni statt – ausgerechnet an diesem Tag, 525 Jahre später, besuchte Franz Ferdinand Sarajewo: eine offene Provokation. Das Deutsche Reich des zweiten Kaisers Wilhelm wiederum verstärkte in den Vorkriegsjahren bereits die Hochrüstung des osmanischen Reiches der Türken; Regine Duras Ausstellungsinstallation ein Stockwerk tiefer im Haus 3 vom "Hebbel am Ufer" erzählt fakten- und assoziationsreich von dieser Geschichte. Noch Recep Tayyip Erdogan beschwört die gemeinsame deutsch-türkische Kriegsgeschichte im gegenwärtigen Wahlkampf.
Gawrilo Princip, für die balkanischen Nationalisten der Held des Tages vor fast hundert Jahren, wurde verurteilt und starb 1918 in Einzelhaft.
Dieser Teil der Erinnerung an die Wurzeln des Krieges blieb hierzulande wenig bekannt. Insofern: Besten Dank für die Nachhilfe!
Aber sonst? Selbst für dokumentarisches Theater, das bekanntermaßen extrem sparsam umgeht mit szenischen Reizen, ist Kroesingers "Schlachtfeld Erinnerung" über Gebühr armselig. Und wenn dann doch mal Szenisches ins Spiel kommt, wird nur ein eher albernes Nach-Spiel des Attentats mit Bastelkram und Spielzeug draus. Kurz kommt noch Stefan Zweig zu Wort - mit ersten Worten aus dem Epochenroman "Die Welt von gestern". Und Ernst Jandls Gedicht vom "Schtttzzzngrmm" setzt den Schlusspunkt.
Doch nach über hundert Minuten mit nichts als Papier retten auch die beiden Dichter nichts mehr. Die Bühne hat es jedenfalls nicht gebraucht für den Geschichtsunterricht.