Deutsche Kirchenglocken hoch über den Dächern der Altstadt von Qingdao. Wie vor 100 Jahren schallen die Glocken vom Turm der evangelischen Christuskirche, jede halbe Stunde, jede Stunde, am Sonntag auch länger. Oben im Turm am mechanischen Uhrwerk setzt Küster Xing Zhenghe sein Ölkännchen ab:
"Ich komme jeden Tag - um nach dem Uhrwerk zu sehen. Es läuft genau, keine Sekunde zu früh oder zu spät. Deutsche Besucher sind immer besonders geehrt und erstaunt, dass das 100 Jahre alte Uhrwerk immer noch auf die Sekunde genau geht."
Deutsche Wertarbeit aus Niedersachsen im 8.000 Kilometer entfernten Qingdao, oder Tsingtau wie die Stadt von den Deutschen damals genannt wurde. Nicht nur die Christuskirche und ihr Uhrwerk, auch viele Wohnhäuser von damals sind erhalten geblieben. Die Schulen, das Gouverneurshaus, der Offiziersklub, die Kanalisation in der Altstadt. Bis heute heißen die Gully-Deckel in Qingdao - Gu Li. Auf das deutsche Erbe sind die Menschen der Hafenstadt stolz, so wie der Rentner Zhang, der in der Altstadt aufgewachsen ist:
"Die deutschen Gebäude sind sehr solide und geräumig und sie halten lange. Sicher, die Deutschen waren damals Besatzer, das war schlecht, aber es gab auch viele Vorteile, von denen wir lernen können."
Kaum eine Spur von Kritik
Selbst im städtischen Museum kaum eine Spur von Kritik: Zwar wird die Kolonialzeit als Zeit der Plünderung bezeichnet, aber dann wird ausgiebig der deutschen Ingenieurskunst gehuldigt: Selbst die Gully-Deckel sind ausgestellt neben Nähmaschinen und Glühlampen. Das Ende der Besatzung wird erwähnt, aber so als hätte es mit den chinesischen Bürgern nichts zu tun. Gong Shengqi ist Historiker und empfängt Besucher in einem der alten Kolonialgebäude:
"Es war ein seltsamer Krieg. Es war ein unfairer Krieg von zwei Ländern auf chinesischem Territorium. Das war für China irrelevant. China unterstützte keines der beiden Länder."
China war unter der Herrschaft der Qing-Kaiser ein schwaches Land, das sich gegen die deutschen und anderen Kolonialherren kaum zu wehren vermochte. Die Boxeraufstände von 1900 in der Provinz Shandong hatten die Kolonialmächte brutal niedergeschlagen. Doch Qingdao blieb davon weitgehend verschont.
Belagerung der Stadt ab Sommer 1914
Und die Belagerung der Stadt durch japanische und britische Truppen ab Sommer 1914 war ein Konflikt, der vor allem zwischen den 4.000 deutschen Verteidigern Qingdaos und der Übermacht der Alliierten ausgetragen wurde. Die Zivilbevölkerung blieb weitgehend verschont, sagt Harm Oltmann, Vorsitzender eines deutsch-chinesischen Vereins zum Erhalt der deutschen Gebäude in Qingdao.
"Die Japaner waren ja gut ausgebildet vorher auch von deutschen Militärexperten und von britischen Militärexperten und konnten mit den Waffen, Haubitzen, die sie hatten, offenbar sehr gezielt und sehr genau schießen und haben tatsächlich nur die militärischen Anlagen beschossen, wo die Deutschen und eine Handvoll Österreicher zugegen waren, sodass die Stadt und die Zivilgebäude so gut wie gar nicht beschossen wurden."
Ob es damals auch Opfer unter der chinesischen Zivilbevölkerung gab, wissen selbst chinesische Historiker nicht. Auf deutscher Seite starben rund 220 Soldaten, bei den Briten und Japanern etwa ebenso viele. Den meisten Chinesen aber war der Krieg damals herzlich egal, sagt Historiker Gong:
"Ich habe noch nie Quellen gesehen, die daraufhin hin deuten, dass die Chinesen einen großen Anteil an dem Krieg hatten. Sicher, sie haben die Japaner nicht willkommen geheißen; aber die Chinesen haben auch nichts getan, um den Deutschen zu helfen oder ihre Niederlage zu verhindern."
Dass trotzdem die deutschen Kolonialherren heute im kollektiven Gedächtnis der Stadt viel besser wegkommen als die Japaner, liegt weniger am Ersten Weltkrieg, sondern vor allem an der zweiten japanischen Kolonialzeit nach 1937, als die Besatzer auch Gräueltaten an der Zivilbevölkerung verübten.