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Erster Weltkrieg
Vorahnungen vom "Menschenschlachthaus"

Der Große Krieg war in Literatur, Kunst und Wissenschaft längst präsent, bevor er 1914 auf den Schlachtfeldern Europas Wirklichkeit wurde. Die Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg hat eine Ausstellung zu den Vorahnungen des Ersten Weltkriegs in Literatur, Kunst und Wissenschaft zusammengestellt.

Von Ursula Storost |
    Erster Weltkrieg: Französische Soldaten klettern während der Schlacht um die ostfranzösische Stadt Verdun zu einem Angriff aus ihren Schützengräben (Archivfoto von 1916).
    Manche Schriftsteller ahnten schon, wie das große Schlachten aussehen wird. (picture-alliance / AFP)
    "Das Kriegsmaschinenwesen hat sich zu genialer Höhe, zu künstlerischer Höhe entwickelter. 240 Kugeln und mehr in einer Minute. Welch ein Wunderwerk der Technik ist solch ein Maschinengewehr. Man lässt es schnurren und schon spritzt es Kugeln dichter als der Regen fällt", schreibt der Hamburger Lehrer und Reformpädagoge Wilhelm Lambszus 1912 in seinem Buch "Das Menschenschlachthaus". Seine Visionen von einem zukünftigen Krieg waren brutal. Ganz im Gegensatz zu den verklärten Wünschen mancher Bürgersöhne, wie zum Beispiel denen des Lyrikers Georg Heym.
    "Ach, es ist furchtbar. Es ist immer das Gleiche, so langweilig, langweilig, langweilig", notiert Heym am 6. Juli 1910 in seinem Tagebuch. "Wenn doch einmal etwas geschehen wollte. Sei es auch nur, dass man einen Krieg begänne, er kann ungerecht sein. Dieser Frieden ist so faul ölig und schmierig wie die Leimpolitur auf alten Möbeln."
    Georg Heym, Wegbereiter des literarischen Expressionismus, hat den von ihm so ersehnten Krieg nicht mehr erlebt. Er ertrinkt 1912, mit nur 24 Jahren, beim Schlittschuhlaufen auf der Havel. Kriegsbegeisterung war vor 1914 vor allem in bildungsbürgerlichen Kreisen weit verbreitet, sagt Professor Bernd Wegner, Historiker an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg.
    "Da haben wir in der Tat auch in unserer Ausstellung auch eine ganze Reihe von Stimmen, die im Grunde den Krieg herbeisehnen als die große Kraftprobe, die Mutprobe, das Stahlbad für die Volkshygiene usw. Diese Stimmen gibt es. Aber das sind nicht Stimmen, die typisch sind für die gesamte Bevölkerung."
    Furchtbar wie keiner seiner Vorgänger
    Bernd Wegner hat mit seinen Studierenden eine Ausstellung mit Statements von Intellektuellen, Künstlern und Wissenschaftlern zusammengestellt. Vorstellungen von einem zukünftigen Krieg vor 1914.
    "Neben den Stimmen von Kriegsbegeisterung gibt es auch Stimmen, die den Krieg ablehnen oder ihm mit größter Skepsis begegnen. Die eine ist idealistisch humanitär bedingt. Sie kommt von Menschlichkeit, seien sie religiös oder durch die Französische Revolution hervorgerufen. Also Berta von Suttner etwa mit ihrem großen Buch, "Die Waffen nieder", das 1899 überhaupt erst dem deutschen Pazifismus eine Stimme gab."
    In ihrem Buch warnt Bertha von Suttner: "Der nächste Krieg wird von einer Furchtbarkeit sein wie noch keiner seiner Vorgänger."
    Aber auch Nicht-Pazifisten befürchten, dass Kriege im Zeitalter der innovativen Technologien in einer Katastrophe für alle Beteiligten enden würden. So der französische Arzt und spätere Medizinnobelpreisträger Charles Richet in einem Buch über Krieg und Frieden 1909.
    "Nicht die Weisheit der Regierung oder Völker ist es, welche seit 37 Jahren große europäische Kriege verhindert hat; vielmehr ist es die berechtigte Furcht vor den unübersehbaren Folgen der neuen Bewaffnung."
    Kriege, so meinen damals viele, seien im Zeitalter der technischen Erfindungen nicht unbedingt unmoralisch, sondern, so Bernd Wegner, vor allem unvernünftig.
    Keine Sieger mehr
    "Gleichgültig ob es sich um Sieger oder Besiegte handelt. Das heißt, jede beteiligte Gesellschaft, jede Volkswirtschaft würde so erschüttert und zerrüttet werden, dass es gar keine wirklichen Sieger mehr geben würde."
    Die Zeit um 1900 ist eine Zeit des Umbruchs, der technischen Revolution. Flugzeuge, Luftschiffe, die ersten LKWs und Maschinengewehre werden erfunden. Entwicklungen, die die Bevölkerung verunsicherten, sagt Bernd Wegner. "Und das führte dazu, dass es so viele apokalyptische Vorstellungen gab. Dass Dinge wie die Wiederkehr des Halleschen Kometen 1910 mit vielen unheilvollen Erwartungen verknüpft wurde und so weiter. Manche schlimmen Ereignisse wurden auch erst nachträglich als Vorboten des Krieges interpretiert. Etwa der Untergang der Titanic, der also plötzlich das positive Narrativ des technologischen Fortschritts umkehrt und die dunkle Seite der Technik zeigt."
    Viele dieser technischen Neuerungen, sind direkt für militärische Zwecke entwickelt worden. Und, so Professor Kurt Möser, Technikhistoriker am Karlsruher Institut für Technologie, sehr viele Mächte hatten das Gefühl sich in einem Kampf um die Weltherrschaft zu befinden.
    "Und hier bekommt jetzt Technik eine bestimmte Funktion. Nämlich wie ein deutscher Offizier 1906 sagte, im darwinistischen Kampf um’s Dasein bekommt die Technik einen besonderen Stellenwert. Und das bedeutet, man muss aufrüsten. Und zwar nicht nur quantitativ, sondern man muss auch diese neuen Technologien in die militärische Struktur integrieren. Wenn man das nicht tut, fällt man zurück und hat in dem globalen Kampf 'ne schlechtere Position."
    Viele Schriftsteller und Intellektuelle lebten ihre Kriegsfantasien in ihren Romanen aus. Die Vorabdrucke in Zeitungen erreichten ein sehr breites Lesepublikum, sagt Kurt Möser. Häufig gab es das Szenario des kurzen harten Krieges.
    "Die Idee, dass die technischen Vernichtungsmittel so fortschrittlich sind, dass eigentlich ein längerer Krieg undenkbar wird. Dass die Bevölkerung ihn nicht aushalten würde, dass die Vernichtungskraft so stark würde, dass dieser Krieg nicht über längere Zeit führbar würde. Das hat so was wie eine morbide Faszination ausgeübt. Man hat es deutlich gemerkt bei dem Lesepublikum. Die wollten darüber lesen."
    Luftschiffe als ultimative Waffe
    Es waren insbesondere Science-Fiction-Autoren, die vor 1914 solche Technikfantasien propagierten, weiß Florian Wachtmeister. Der 28-jährige Geschichtsstudent hat die Ausstellung mit erarbeitet. Manche dieser Autoren halten einen hoch technisierten Krieg für undenkbar, sagt er, "während es andere Autoren gab, die gerade in den Luftschiffen die ultimative Waffe gesehen haben, die Landheere überflüssig macht, weil man einfach, wie es beispielsweise Rudolf Martin gesagt hat, den Feind in seinem tiefsten Hinterland so lange mit Luftschiffen bombardiert, seine Städte dem Erdboden gleich macht, bis der Feind letzten Endes kapituliert. Und der normale Soldat am Boden irgendwann komplett von der Bildfläche verschwindet und ersetzt wird durch den Luftschiffer, der das neue Idealbild des Soldaten dann darstellt."
    Wilhelm Lamszus hat schon 1912 visionär die Brutalität eines zukünftigen Krieges beschrieben. Für den Hamburger Lehrer war das gerade erfundene Maschinengewehr damals Anlass für seinen Roman "Das Menschenschlachthaus", so Professor Andreas Pehnke, Bildungshistoriker an der Universität Greifswald.
    "Er hat gesehen, dass das klassische Bild vom Tod, mit der Sense, dass das in der modernen Kriegsform maschinell gemacht wird. Also eine maschinelle Tötungsmaschinerie erfunden wurde. Und vor diesem Hintergrund hat er sich Gedanken gemacht als Pädagoge, als Erzieher, wie kann er die Jugend warnen vor Kriegsrealität. Und er hat im Prinzip dann von der Mobilmachung bis hin zur Realität im Schützengraben die bluttriefende Kriegsmaschinerie dargestellt."
    "Einst war’s ein Reitertod. Ein ehrlicher Soldatentod. Jetzt ist es ein Maschinentod. Das ist es, was mir bis zum Halse steht. Von Technikern, von Maschinisten werden wir vom Leben zum Tode befördert. Und wie man Knöpfe und Stecknadeln im Großbetrieb erzeugt, erzeugt man nun die Krüppel und die Leichen mit Maschinenbetrieb."
    Der Krieg wurde technisiert
    Wilhelm Lamszus wird nach Erscheinen seines Buches aufgrund höchster königlicher Weisung sofort aus dem Schuldienst entlassen.
    "1912 war das Jahr, wo sämtliche Bildungsinhalte im öffentlichen Bildungssektor auf militaristische Gesichtspunkte umgestellt wurde. Es sollte eine Kriegsbegeisterung erzeugt werden. Und ein Lehrer im Schuldienst, von dem wurde natürlich verlangt und erwartet, dass er zu Heldentum und zur Soldatenbegeisterung erzieht."
    Wilhelm Lamszus Tagebücher sind für heutige Historiker eine wahre Fundgrube. Sie relativieren, so Andreas Pehnke, die absolute Kriegsbegeisterung bürgerlicher Kreise nach dem 1. August 1914. "Zum Beispiel mit Blick auf seinen Kollegenkreis benennt er dort konkret Namen, die sich umgebracht haben nach der Mobilmachung. Nachdem die eigenen Kinder sich freiwillig gemeldet hatten für den Fronteinsatz und sie damit gar nicht umgehen konnten, also das sehr kritisch reflektiert haben."
    Vieles, was Intellektuelle, Literaten und Wissenschaftler über die Schlacht der Zukunft vorausahnten, ist tatsächlich eingetreten. Der Krieg wurde technisiert. Ein neuer Soldatentypus brauchte nicht nur Bereitschaft, sondern musste Maschinen bedienen. Aber, resümiert der Technikhistoriker Kurt Möser, worüber man vor 1914 nicht nachgedacht hat, waren die sozialen Folgen für die Gesellschaften.
    "Es ging also nicht mehr um heroische Opferungen, sondern es ging eben dann darum durchzuhalten, wie der Fachausdruck damals hieß. Also im Prinzip passive Tugenden zu entwickeln. Hunger auszuhalten, auszuhalten, dass die Verluste stiegen, ohne dass es zu irgendwelchen sichtbaren Entscheidungen kam. Also diese Veränderungen in der Gesellschaft, das waren Lernprozesse, die eigentlich vor 1914 nicht antizipiert wurden."
    Die Ausstellung "Das Menschenschlachthaus: Vorahnungen des Ersten Weltkriegs in Literatur, Kunst und Wissenschaft" ist noch bis zum 27. Februar 2015 in der Hauptbibliothek im Hauptgebäude der Helmut-Schmidt-Universität zu sehen.