"Es wurde zwar gesagt, dass das in der Kirche nicht vorgesehen ist zu streiken – gut, also ich denke, wir mussten es versuchen. Und ich kann mir jetzt auch nicht unbedingt vorstellen, dass ein Arbeitgeber ein ganzes Team vor die Tür setzt. Wir mussten es versuchen. Es war unsere einzige Chance."
Eine OP-Schwester aus dem Evangelischen Krankenhaus Bielefeld, die namentlich nicht genannt werden möchte, hat im letzten September mit einigen Kollegen für vier Stunden ihre Arbeit niedergelegt. Keine große Aktion, meint Pastor Günther Barenhoff, Vorstandssprecher der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe:
"Ich sage mal, wenn in einer Stadt ungefähr 10.000 Beschäftigten bei der Diakonie sind und mehr oder weniger eine Handvoll sich öffentlich bekannt hat, gestreikt zu haben, die meisten haben eine aktive Mittagspausen gemacht oder Ähnliches."
Krankenschwester: "Ich habe definitiv gestreikt, es ist nicht in meiner Freizeit geschehen; ich bin diese viereinhalb oder vier Stunden von der Arbeit weggeblieben."
Barenhoff: "Dass der Streik kein Erfolg war, müssten eigentlich auch ver.di-Leute zugeben."
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hatte zu den Streiks aufgerufen. Nach deren Angaben haben rund 300 Mitarbeiter von diakonischen Einrichtungen in vier Bundesländern im September 2009 wenigstens kurzfristig gestreikt. In der Tat keine großen Zahlen. Trotzdem hatte der Streik eine Wirkung, die man historisch nennen kann:
Denn vier diakonische Einrichtungen haben zusammen mit der westfälischen und der hannoverschen Landeskirchen und ihren diakonischen Verbänden, die Gewerkschaft ver.di auf Unterlassung von Streikaufrufen verklagt. Nach Auffassung der Führungsebene der Evangelischen Kirche und ihrer Diakonie darf nämlich in Einrichtungen der Kirche nicht gestreikt werden. Zum ersten Mal wird diese Position nun vor einem deutschen Gericht grundsätzlich geklärt. Am kommenden Mittwoch wird das Arbeitsgericht Bielefeld aller Wahrscheinlichkeit nach in erster Instanz entscheiden. Günther Barenhoff zur Problematik aus kirchlicher Sicht:
"Bei weiteren Aufforderungen zum Streik hätte ja die Situation entstehen können, dass ein Mitarbeiter, eine Mitarbeiterin tatsächlich dem Streik gefolgt wäre, und der Arbeitgeber dann ja bis hin zu Abmahnung, Kündigung sozusagen, hätte reagieren müssen. Denn wenn ich 6000 Beschäftigte habe und zehn streiken, und es passiert nichts, dann sagen die anderen: 'Ja wie ernst nimmt denn der eigene Arbeitgeber seine Grundsätze, nach denen er verpflichtet ist.' Und genau das wollten wir nicht. Wir wollten nicht diese Frage auf dem Rücken einzelner Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter klären, sondern wollten sie, weil offensichtlich sich bei der Gewerkschaft neu die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass der frühere, ich sag mal stille oder heimliche Konsens ist nicht mehr da. Und dann haben wir gesagt: Wir leben in einem Rechtsstaat, also lassen wir doch diese Frage des möglichen Widerspruchs von zwei Grundgesetzartikeln, darum geht es ja rechtlich, lassen wir das doch vor einem deutschen Gericht klären."
Der eine dieser beiden Artikel ist der Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung, der weiterhin gültig ist, wie der Sozialwissenschaftler Hermann Lührs aus Tübingen erklärt. Er ist Experte für die Arbeitsbeziehungen in den Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden:
"Das Grundgesetz legt fest, dass bestimmte Kirchenartikel aus der Weimarer Reichsverfassung weitergelten. Einer dieser Artikel aus der Weimarer Reichsverfassung besagt, dass die Kirchen ihre Angelegenheiten selber ordnen, insbesondere die Besetzung der Ämter, dabei ist vor allem daran gedacht worden, dass die zentralen kirchlichen Funktionen, Pfarrer etc., deren Besetzung, die Regeln dieser Besetzung natürlich von den Kirchen selbst gemacht und verantwortet werden müssen und nicht durch stattliche Intervention geregelt werden können."
Die Kirchen sehen aber auch die Arbeit ihrer Wohlfahrtsverbände als Ausdruck des kirchlichen Selbstverständnisses an, so gilt das Selbstbestimmungsrecht auch für ihre Sozialarbeit. Das bedeutet, dass die Kirchen von ihren Mitarbeitern Loyalität zur kirchlichen Lehre erwarten dürfen: So kann ein Arzt an einem katholischen Krankenhaus, der sich für Abtreibungen ausspricht, entlassen werden. Die Kirchen interpretieren den Grundgesetzartikel aber auch dahingehend, dass sie in ihren Wohlfahrtsverbänden einen eigenen Weg der Tariffindung gehen können – ohne Gewerkschaften und ohne Tarifverträge.
Darum gilt für die Angestellten der beiden großen Kirchen sowie der Diakonie und der Caritas der sogenannte "Dritte Weg" der Tariffindung: Mitarbeiter und Leiter von Wohlfahrtseinrichtungen – im kirchlichen Sprachgebrauch: Dienstgeber und Dienstnehmer – kommen zu gleichen Teilen in Arbeitsrechtlichen Kommissionen zusammen. Dort werden die Tarifordnungen und Tariferhöhungen verhandelt. Für Einigungen brauche es eine Mehrheit; keine Seite könne sich allein durchsetzen, erklärt Günther Barenhoff von der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe:
"Wenn diese Einigung da nicht stattfindet, geht die Sache in eine zweite Kommission, die Schlichtungskommission; in dieser Schlichtungskommission besetzen wiederum beide Seiten paritätisch die Kommission. Und die Vertreter von Dienstgebern und Dienstnehmern einigen sich auf einen unparteiischen Vorsitzenden, einstimmig. Weil man davon ausgeht, die Einigung auf eine Person, setzt voraus, dass beide Seiten der Meinung sind, der ist fachlich so qualifiziert und ist neutral."
Kommt es in der Schlichtungskommission wieder zu keinem Ergebnis, gibt der Vorsitzende eine Empfehlung an die Arbeitsrechtliche Kommission. Wenn auch das nicht hilft, kann der Vorsitzende mit seiner Stimme eine Mehrheit herbeiführen. Ein Verfahren, bei dem auch die Arbeitnehmerseite gewinnen kann.
"Der letzte Fall, den wir hatten in der Schiedskommission hier in Nordrhein-Westfalen, war der, dass die Dienstnehmer mit ihrem Antrag voll durchgekommen sind, sogar rückwirkend."
Dies Beispiel zeige doch, dass man das Arbeitskampfmittel "Streik" nicht brauche, meint Günther Barenhoff.
"Also erstens ist Streik ja auch nicht ein Allerweltsgrundrecht, sondern ist die sogenannte ultima ratio; das ist die ultima ratio, wenn auf anderen Wegen keine Einigung zu erzielen ist. Wir glauben, das unser Verfahren geeignet ist, die ultima ratio nicht anzuwenden, sondern dass wir genug andere Verfahren haben, um zu einem solchen gemeinsam getragenen Ergebnis zu kommen."
Aber in der Kirche gibt es natürlich auch eine theologische Begründung für das Streikverbot, immerhin erhebt die Evangelische Kirche den Anspruch in der Diakonie einen Wesenszug ihres Glaubens zu verwirklichen.
"Dass ich im Dienst am Nächsten, in vielfältigen Formen, vom eigenen Auftrag – wir tun das ja nicht, weil der Staat uns den Auftrag gibt – ... vom eigenen Auftrag, niemals die Beteiligten etwas für sich erkämpfen können, was letztlich auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen wird. Und dass ein Streik nicht auch Betroffenheit, in welcher Schärfe auch immer, auslösen wird, das wird man nicht bestreiten können."
Soweit der eine Grundgesetzartikel, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Dies sieht Barenhoff im Streit mit dem anderen Grundrecht, nämlich dem Artikel neun des Grundgesetzes, dem Recht auf Koalitionsfreiheit und Streik; also dem Recht Vereinigungen zu bilden, die, wie es im Grundgesetz heißt, "die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen fördern" und dies auch mit dem Mittel eines Arbeitskampfes.
Günter Busch ist Fachbereichsleiter von ver.di Baden-Württemberg und Mitglied im Team, das die Klage vor dem Arbeitsgericht begleitet; er will sich nicht ohne Weiteres in einen Gegensatz zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht bringen lassen:
"Es geht uns bei den Streiks gar nicht um das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, das wollen wir auch gar nicht antasten; es geht auch nicht darum die Propriumsbereiche, da wo die Kirchen hauptsächlich ihr Selbstverständnis sehen, zu treffen; wir werden nie einen Gottesdienst bestreiken oder Ähnliches. Aber in dem Moment, wo sie Beschäftigte einstellt und mit Arbeitsverträgen versieht, und aufgrund der Arbeitsverträge, die Menschen sich in ver.di organisieren, dann muss sie auch akzeptieren, dass die Instrumente, die gerade dafür vorgesehen ist, nämlich Tarifverträge, die im Grundgesetz stehen, die Tarifautonomie ist dort vorgesehen, dass die auch im kirchlichen Bereich gilt. Das können sie nicht von vornherein ausschließen."
Im Grundgesetz wird den Kirchen das selbständige Verwalten ihrer Angelegenheiten nur "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" gestattet. Nach dieser Lesart ginge es nicht zuerst um eine Güterabwägung zwischen zwei Grundrechten, sondern um die Frage, was das kirchliche Selbstbestimmungsrecht umfasst: Vereinfacht gesagt lautet das Argument: Wenn die Kirche mietet und vermietet oder Waren kauft, muss sie sich auch an die allgemeinen Gesetze halten, warum nicht auch, wenn sie Menschen in ihren Institutionen anstellt? Günter Busch findet, das Angestellte der Kirchen weniger Rechte haben:
"Wenn unsere Mitglieder von uns wollen, dass wir in der Diakonie was tun, dann müssen wir auch die Instrumente dazu haben, also die diakonischen Einrichtungen dann auch zu Tarifverhandlungen auffordern."
In der Tat gibt es unter den kirchlichen Angestellten ver.di-Mitglieder. Wie viele es sind, ist unbekannt, da ver.di keine branchenspezifischen Mitgliederzahlen bekannt gibt.
Vertreter der Evangelischen Kirche betonen, dass ver.di sich doch am Kommissionsmodell beteiligen könne. Die Gewerkschaft ist also wenigstens in einigen Kommissionen eingeladen, zu den Bedingungen der Kirche mitzumachen. Die kircheneigenen Arbeitsvertragsrichtlinien, wie die Tarifordnungen dort heißen, will ver.di aber nicht mitverhandeln, Begründung:
"Die haben keine Rechtswirkung wie Tarifverträge, zum Beispiel gelten sie nicht unmittelbar für Gewerkschaftsmitglieder wie das bei Tarifverträgen ja üblich ist. Das heißt, selbst wenn wir da mitarbeiten würden, könnten wir unseren Mitgliedern die Ergebnisse gar nicht garantieren – weil jeder Arbeitgeber natürlich frei ist, einzelvertraglich irgendwas zu vereinbaren, das findet ja auch heftig statt."
In der Tat gibt es mindestens elf verschiedene Tarife im Bereich der evangelischen Diakonie. Mitunter können die einzelnen diakonischen Geschäftsleitungen und Vorstände – ohne Mitsprache der Mitarbeiter – wählen, welchen Tarif sie anwenden wollen. Und es gibt auch die Fälle, dass in Häusern der Diakonie überhaupt kein verhandelter Tarif angewandt wird, sondern eigene Arbeitsverträge mit den Mitarbeitern geschlossen werden. Aber auch das Modell der paritätisch besetzten Kommissionen lehnt ver.di ab:
"Es gibt natürlich einen strukturellen Vorteil der Arbeitgeberseite, die haben einen Apparat, die haben ihre Verwaltungen, die dazu arbeiten können, die haben die Kirchenämter die Diakonischen Werke, das hat die Arbeitnehmerseite nicht. Die Arbeitnehmerseite hat normalerweise noch nicht mal genügend Freistellungen, um dieses dann richtig machen zu können; da ist schon vom Apparat ein Defizit da. Dann ist vom System her nicht vorgesehen, dass sich die Arbeitnehmervertreter an irgendwas halten müssen, sie sind nur ihrem Gewissen verantwortlich; sie sind an keine Prozesse, die mit der Basis zu tun haben gebunden – ich halte das System insgesamt für undemokratisch."
Dass die Kirchen also ihren Angestellten ein gleichwertiges Arbeitsrecht bieten wie im nichtkirchlichen Bereich, wird von ver.di bestritten. Das habe auch der Fall gezeigt, der zu den Streikaufrufen im September geführt habe, meint Günter Busch:
"Es ist natürlich so, dass die Arbeitgeber in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen versucht haben, ihren strukturellen Vorteil auszunutzen; das heißt, sie haben schlichtweg nichts angeboten oder wenig angeboten und haben gehofft, dass sie dann in der Schlichtung Geld sparen können. Und da hat die Arbeitnehmerseite nicht mitgemacht; unsere ver.di-Mitglieder wollten aber eine Lohnerhöhung haben und deswegen haben wir diakonische Einrichtungen zu Tarifverhandlungen aufgefordert."
Und nachdem diese nicht aufgenommen wurden, rief ver.di zum Streik auf. Vor knapp drei Jahren wurde das bundesweit gültige Tarifwerk im Bereich der Diakonie erneuert: Rund ein Drittel der Mitarbeiter wird inzwischen nach den sogenannten Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes, kurz AVR, bezahlt. Ver.di behauptet, die AVR seien ein Tarif, um sich Wettbewerbsvorteile auf dem Sozialmarkt zu sichern. Die Leitungen der Diakonie bestreiten das.
Barenhoff: "Materiell bildet die Struktur des am Beamtenversorgungsdenkens orientierten TvöD nicht mehr die Möglichkeit, die personalwirtschaftliche Steuerung unter Markt und Wettbewerb angemessen abbilden zu können. Es geht nicht um Absenkung oder Ähnliches, sondern es geht darum, ein personalwirtschaftliches Instrument an die Hand zu bekommen, was sozusagen auch Arbeitsplätze sichert."
Die Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie weichen nun in ihrer grundlegenden Systematik von dem TvöD, also dem Tarifwerk für den öffentlichen Dienst, ab. Deswegen ist die Frage schwer zu beantworten, welcher Tarif für die Arbeitnehmer günstiger ist.
Konkrete Unterschiede sehen die Mitarbeiter des Evangelischen Krankenhauses in Bielefeld, die im September gestreikt haben. Ihr Krankenhaus entstand 2005 durch den Zusammenschluss von drei Krankenhäusern, bei zweien wurde der alte Bundesangestellten-Tarif in der kirchlichen Fassung angewandt, bei einem die Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie. Neueinstellungen werden nach den AVR bezahlt. Das hat Folgen:
Krankenschwester: "Wenn man sich die Vergleiche anguckt der einzelnen Tarife, der Bezahlung, da wird unterschiedlich bezahlt und das sind auch große Unterschiede: Und durch den Zusammenschluss hat es eben auch gegeben, dass in einzelnen Abteilungen, Personal, die die gleiche Arbeit machen, komplett unterschiedlich bezahlt werden, weil die nach zwei verschiedenen Tarifen bezahlt werden. Und das sind natürlich Dinge, die die Mitarbeiter auch unzufrieden machen."
Ein weiterer Kollege aus dem Krankenhaus, ver.di-Mitglied Jens Ortmann, nimmt noch den Vergleich mit dem kommunalen Krankenhaus in Bielefeld dazu:
"Es haben auch schon einige Pflegekräfte gekündigt, die mit der Bezahlung und den Bedingungen hier unzufrieden waren, und arbeiten jetzt im städtischen Krankenhaus und die können natürlich erzählen, was man im TvöD im öffentlichen Dienst verdient für die gleiche Arbeit, die gleiche Verantwortung, wir machen hier ja keine andere Krankenhausarbeit, nur weil wir diakonisch sind, es wird ja auch nicht anders im OP gearbeitet, weil es Diakonie ist, aber die Diakonie meint, sie kann und muss anders bezahlen, weil es Diakonie ist."
Die Frage nach der Bezahlung könnte für den Arbeitsgerichtsprozess zum Streikrecht nicht unerheblich sein. Sollte nämlich deutlich werden, dass die diakonischen Mitarbeiter keine gleichwertige Chance haben, ihre Interessen im Dritten Weg durchzusetzen, wäre die Evangelische Kirche in einer rechtlich und politisch schwierigen Position. Hermann Lührs warnt, dass der wirtschaftliche Kurs der letzten Jahre dem Dritten Weg die Legitimation entzogen haben könnte:
"In dem Maße nämlich wie sozusagen die kirchlichen Arbeitgeber ganz normale Arbeitsgeber werden, die sagen: Wir müssen konkurrenzfähig werden und das tun wir durch Umsteuern der Personalressourcen. Wir müssen Kosten senken, um auf diesem Markt in diesem Wettbewerb zu bestehen. In dem Maße werden auch die kirchlich Beschäftigten ganz normale kirchlich Beschäftigte sein, was den Teil der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen angeht. Das eine führt zum anderen."
Die Kirche will freilich kein normaler Arbeitgeber werden, sie hält zwar Streik für ein erlaubtes Mittel in der Wirtschaft, in ihrem eigenen Bereich aber sollen weiterhin andere Regeln gelten. Günther Barenhoff von der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe:
"Matthäus 25: 'Was ihr getan habt diesem einen meiner geringsten Schwestern und Brüder, das habt ihr mir getan.' Und die theologische Auslegung ist: Das heißt in jedem nächsten begegne ich Gott selbst. Ich habe mal in Bielefeld den mutigen Satz gesagt: 'Gott kann man nicht bestreiken.' Die Folgen, ich muss doch die Folgen bedenken. Es geht einmal um diesen Selbstverständnisgedanken: Primär steht der Dienst am Menschen, und wenn ich streike, treffe ich den Menschen."
Eine Position, die in Zeiten von Sparmaßnahmen auch von den Mitarbeitenden immer weniger verstanden wird:
Ortmann: "Ich nehme wahr, weil ich selber nach den AVR bezahlt werde, dass ich schlechter bezahlt werde als meine Kollegen im gleichen Haus und auch als in der Branche üblich ist, dass mein Arbeitgeber, das Unternehmen, in dem ich arbeite, ein Wirtschaftsunternehmen ist. Da gibt es keine diakonischen Grundsätze, weder in der Arbeit mit den Patienten, die eine vordergründige Rolle spielen und schon gar nicht in der Behandlung der Mitarbeiter. Hier werden knallharte Sanierungsmaßnahmen, hier werden Leute vor die Tür gesetzt, das Haus wird nicht nach einem wie auch immer gearteten Leitbild gesteuert, sondern einfach nach Zahlen. Unser Geschäftsführer ist wegen dieser Kompetenz hier eingestellt worden. Das ist der Kurs, den dieses Unternehmen einschlägt, so. Und wir sollen uns aber weiterhin daran halten, dass wir in der Diakonie sind, und doch möglichst alles schiedlich-friedlich, und wir dürfen darum bitten, dass wir vernünftig bezahlt werden, und wenn wir das nicht werden, dann gibt es dafür auch gute Gründe, und dann haben wir das zu schlucken. Und was dann verschiedene Pastoren sagen: Gott würde bestreikt, wenn ein Krankenhaus bestreikt wird – ich weiß nicht, wo diese Menschen leben, die sollen mal einen Tag im Krankenhaus arbeiten und sozusagen die Verkündung des Worts Gottes in Wort und Tat da übernehmen!"
Der Prozess vor dem Bielefelder Arbeitsgericht ist also nicht nur ein Streit zwischen Kirche und Gewerkschaft, sondern wohl auch zwischen den Diakonieleitungen und wenigstens einem Teil ihrer Mitarbeiter. Ein Streit, der wohl eine Weile anhalten wird, denn alle Beteiligten erwarten, dass der Prozess den Instanzenweg bis zum Bundesverfassungsgericht nehmen wird. Bis dahin wird wohl keine Seite klein beigeben: ver.di hat für morgen zu einem Warnstreik im Diakonie-Klinikum Hamburg aufgerufen.
Eine OP-Schwester aus dem Evangelischen Krankenhaus Bielefeld, die namentlich nicht genannt werden möchte, hat im letzten September mit einigen Kollegen für vier Stunden ihre Arbeit niedergelegt. Keine große Aktion, meint Pastor Günther Barenhoff, Vorstandssprecher der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe:
"Ich sage mal, wenn in einer Stadt ungefähr 10.000 Beschäftigten bei der Diakonie sind und mehr oder weniger eine Handvoll sich öffentlich bekannt hat, gestreikt zu haben, die meisten haben eine aktive Mittagspausen gemacht oder Ähnliches."
Krankenschwester: "Ich habe definitiv gestreikt, es ist nicht in meiner Freizeit geschehen; ich bin diese viereinhalb oder vier Stunden von der Arbeit weggeblieben."
Barenhoff: "Dass der Streik kein Erfolg war, müssten eigentlich auch ver.di-Leute zugeben."
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hatte zu den Streiks aufgerufen. Nach deren Angaben haben rund 300 Mitarbeiter von diakonischen Einrichtungen in vier Bundesländern im September 2009 wenigstens kurzfristig gestreikt. In der Tat keine großen Zahlen. Trotzdem hatte der Streik eine Wirkung, die man historisch nennen kann:
Denn vier diakonische Einrichtungen haben zusammen mit der westfälischen und der hannoverschen Landeskirchen und ihren diakonischen Verbänden, die Gewerkschaft ver.di auf Unterlassung von Streikaufrufen verklagt. Nach Auffassung der Führungsebene der Evangelischen Kirche und ihrer Diakonie darf nämlich in Einrichtungen der Kirche nicht gestreikt werden. Zum ersten Mal wird diese Position nun vor einem deutschen Gericht grundsätzlich geklärt. Am kommenden Mittwoch wird das Arbeitsgericht Bielefeld aller Wahrscheinlichkeit nach in erster Instanz entscheiden. Günther Barenhoff zur Problematik aus kirchlicher Sicht:
"Bei weiteren Aufforderungen zum Streik hätte ja die Situation entstehen können, dass ein Mitarbeiter, eine Mitarbeiterin tatsächlich dem Streik gefolgt wäre, und der Arbeitgeber dann ja bis hin zu Abmahnung, Kündigung sozusagen, hätte reagieren müssen. Denn wenn ich 6000 Beschäftigte habe und zehn streiken, und es passiert nichts, dann sagen die anderen: 'Ja wie ernst nimmt denn der eigene Arbeitgeber seine Grundsätze, nach denen er verpflichtet ist.' Und genau das wollten wir nicht. Wir wollten nicht diese Frage auf dem Rücken einzelner Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter klären, sondern wollten sie, weil offensichtlich sich bei der Gewerkschaft neu die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass der frühere, ich sag mal stille oder heimliche Konsens ist nicht mehr da. Und dann haben wir gesagt: Wir leben in einem Rechtsstaat, also lassen wir doch diese Frage des möglichen Widerspruchs von zwei Grundgesetzartikeln, darum geht es ja rechtlich, lassen wir das doch vor einem deutschen Gericht klären."
Der eine dieser beiden Artikel ist der Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung, der weiterhin gültig ist, wie der Sozialwissenschaftler Hermann Lührs aus Tübingen erklärt. Er ist Experte für die Arbeitsbeziehungen in den Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden:
"Das Grundgesetz legt fest, dass bestimmte Kirchenartikel aus der Weimarer Reichsverfassung weitergelten. Einer dieser Artikel aus der Weimarer Reichsverfassung besagt, dass die Kirchen ihre Angelegenheiten selber ordnen, insbesondere die Besetzung der Ämter, dabei ist vor allem daran gedacht worden, dass die zentralen kirchlichen Funktionen, Pfarrer etc., deren Besetzung, die Regeln dieser Besetzung natürlich von den Kirchen selbst gemacht und verantwortet werden müssen und nicht durch stattliche Intervention geregelt werden können."
Die Kirchen sehen aber auch die Arbeit ihrer Wohlfahrtsverbände als Ausdruck des kirchlichen Selbstverständnisses an, so gilt das Selbstbestimmungsrecht auch für ihre Sozialarbeit. Das bedeutet, dass die Kirchen von ihren Mitarbeitern Loyalität zur kirchlichen Lehre erwarten dürfen: So kann ein Arzt an einem katholischen Krankenhaus, der sich für Abtreibungen ausspricht, entlassen werden. Die Kirchen interpretieren den Grundgesetzartikel aber auch dahingehend, dass sie in ihren Wohlfahrtsverbänden einen eigenen Weg der Tariffindung gehen können – ohne Gewerkschaften und ohne Tarifverträge.
Darum gilt für die Angestellten der beiden großen Kirchen sowie der Diakonie und der Caritas der sogenannte "Dritte Weg" der Tariffindung: Mitarbeiter und Leiter von Wohlfahrtseinrichtungen – im kirchlichen Sprachgebrauch: Dienstgeber und Dienstnehmer – kommen zu gleichen Teilen in Arbeitsrechtlichen Kommissionen zusammen. Dort werden die Tarifordnungen und Tariferhöhungen verhandelt. Für Einigungen brauche es eine Mehrheit; keine Seite könne sich allein durchsetzen, erklärt Günther Barenhoff von der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe:
"Wenn diese Einigung da nicht stattfindet, geht die Sache in eine zweite Kommission, die Schlichtungskommission; in dieser Schlichtungskommission besetzen wiederum beide Seiten paritätisch die Kommission. Und die Vertreter von Dienstgebern und Dienstnehmern einigen sich auf einen unparteiischen Vorsitzenden, einstimmig. Weil man davon ausgeht, die Einigung auf eine Person, setzt voraus, dass beide Seiten der Meinung sind, der ist fachlich so qualifiziert und ist neutral."
Kommt es in der Schlichtungskommission wieder zu keinem Ergebnis, gibt der Vorsitzende eine Empfehlung an die Arbeitsrechtliche Kommission. Wenn auch das nicht hilft, kann der Vorsitzende mit seiner Stimme eine Mehrheit herbeiführen. Ein Verfahren, bei dem auch die Arbeitnehmerseite gewinnen kann.
"Der letzte Fall, den wir hatten in der Schiedskommission hier in Nordrhein-Westfalen, war der, dass die Dienstnehmer mit ihrem Antrag voll durchgekommen sind, sogar rückwirkend."
Dies Beispiel zeige doch, dass man das Arbeitskampfmittel "Streik" nicht brauche, meint Günther Barenhoff.
"Also erstens ist Streik ja auch nicht ein Allerweltsgrundrecht, sondern ist die sogenannte ultima ratio; das ist die ultima ratio, wenn auf anderen Wegen keine Einigung zu erzielen ist. Wir glauben, das unser Verfahren geeignet ist, die ultima ratio nicht anzuwenden, sondern dass wir genug andere Verfahren haben, um zu einem solchen gemeinsam getragenen Ergebnis zu kommen."
Aber in der Kirche gibt es natürlich auch eine theologische Begründung für das Streikverbot, immerhin erhebt die Evangelische Kirche den Anspruch in der Diakonie einen Wesenszug ihres Glaubens zu verwirklichen.
"Dass ich im Dienst am Nächsten, in vielfältigen Formen, vom eigenen Auftrag – wir tun das ja nicht, weil der Staat uns den Auftrag gibt – ... vom eigenen Auftrag, niemals die Beteiligten etwas für sich erkämpfen können, was letztlich auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen wird. Und dass ein Streik nicht auch Betroffenheit, in welcher Schärfe auch immer, auslösen wird, das wird man nicht bestreiten können."
Soweit der eine Grundgesetzartikel, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Dies sieht Barenhoff im Streit mit dem anderen Grundrecht, nämlich dem Artikel neun des Grundgesetzes, dem Recht auf Koalitionsfreiheit und Streik; also dem Recht Vereinigungen zu bilden, die, wie es im Grundgesetz heißt, "die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen fördern" und dies auch mit dem Mittel eines Arbeitskampfes.
Günter Busch ist Fachbereichsleiter von ver.di Baden-Württemberg und Mitglied im Team, das die Klage vor dem Arbeitsgericht begleitet; er will sich nicht ohne Weiteres in einen Gegensatz zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht bringen lassen:
"Es geht uns bei den Streiks gar nicht um das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, das wollen wir auch gar nicht antasten; es geht auch nicht darum die Propriumsbereiche, da wo die Kirchen hauptsächlich ihr Selbstverständnis sehen, zu treffen; wir werden nie einen Gottesdienst bestreiken oder Ähnliches. Aber in dem Moment, wo sie Beschäftigte einstellt und mit Arbeitsverträgen versieht, und aufgrund der Arbeitsverträge, die Menschen sich in ver.di organisieren, dann muss sie auch akzeptieren, dass die Instrumente, die gerade dafür vorgesehen ist, nämlich Tarifverträge, die im Grundgesetz stehen, die Tarifautonomie ist dort vorgesehen, dass die auch im kirchlichen Bereich gilt. Das können sie nicht von vornherein ausschließen."
Im Grundgesetz wird den Kirchen das selbständige Verwalten ihrer Angelegenheiten nur "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" gestattet. Nach dieser Lesart ginge es nicht zuerst um eine Güterabwägung zwischen zwei Grundrechten, sondern um die Frage, was das kirchliche Selbstbestimmungsrecht umfasst: Vereinfacht gesagt lautet das Argument: Wenn die Kirche mietet und vermietet oder Waren kauft, muss sie sich auch an die allgemeinen Gesetze halten, warum nicht auch, wenn sie Menschen in ihren Institutionen anstellt? Günter Busch findet, das Angestellte der Kirchen weniger Rechte haben:
"Wenn unsere Mitglieder von uns wollen, dass wir in der Diakonie was tun, dann müssen wir auch die Instrumente dazu haben, also die diakonischen Einrichtungen dann auch zu Tarifverhandlungen auffordern."
In der Tat gibt es unter den kirchlichen Angestellten ver.di-Mitglieder. Wie viele es sind, ist unbekannt, da ver.di keine branchenspezifischen Mitgliederzahlen bekannt gibt.
Vertreter der Evangelischen Kirche betonen, dass ver.di sich doch am Kommissionsmodell beteiligen könne. Die Gewerkschaft ist also wenigstens in einigen Kommissionen eingeladen, zu den Bedingungen der Kirche mitzumachen. Die kircheneigenen Arbeitsvertragsrichtlinien, wie die Tarifordnungen dort heißen, will ver.di aber nicht mitverhandeln, Begründung:
"Die haben keine Rechtswirkung wie Tarifverträge, zum Beispiel gelten sie nicht unmittelbar für Gewerkschaftsmitglieder wie das bei Tarifverträgen ja üblich ist. Das heißt, selbst wenn wir da mitarbeiten würden, könnten wir unseren Mitgliedern die Ergebnisse gar nicht garantieren – weil jeder Arbeitgeber natürlich frei ist, einzelvertraglich irgendwas zu vereinbaren, das findet ja auch heftig statt."
In der Tat gibt es mindestens elf verschiedene Tarife im Bereich der evangelischen Diakonie. Mitunter können die einzelnen diakonischen Geschäftsleitungen und Vorstände – ohne Mitsprache der Mitarbeiter – wählen, welchen Tarif sie anwenden wollen. Und es gibt auch die Fälle, dass in Häusern der Diakonie überhaupt kein verhandelter Tarif angewandt wird, sondern eigene Arbeitsverträge mit den Mitarbeitern geschlossen werden. Aber auch das Modell der paritätisch besetzten Kommissionen lehnt ver.di ab:
"Es gibt natürlich einen strukturellen Vorteil der Arbeitgeberseite, die haben einen Apparat, die haben ihre Verwaltungen, die dazu arbeiten können, die haben die Kirchenämter die Diakonischen Werke, das hat die Arbeitnehmerseite nicht. Die Arbeitnehmerseite hat normalerweise noch nicht mal genügend Freistellungen, um dieses dann richtig machen zu können; da ist schon vom Apparat ein Defizit da. Dann ist vom System her nicht vorgesehen, dass sich die Arbeitnehmervertreter an irgendwas halten müssen, sie sind nur ihrem Gewissen verantwortlich; sie sind an keine Prozesse, die mit der Basis zu tun haben gebunden – ich halte das System insgesamt für undemokratisch."
Dass die Kirchen also ihren Angestellten ein gleichwertiges Arbeitsrecht bieten wie im nichtkirchlichen Bereich, wird von ver.di bestritten. Das habe auch der Fall gezeigt, der zu den Streikaufrufen im September geführt habe, meint Günter Busch:
"Es ist natürlich so, dass die Arbeitgeber in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen versucht haben, ihren strukturellen Vorteil auszunutzen; das heißt, sie haben schlichtweg nichts angeboten oder wenig angeboten und haben gehofft, dass sie dann in der Schlichtung Geld sparen können. Und da hat die Arbeitnehmerseite nicht mitgemacht; unsere ver.di-Mitglieder wollten aber eine Lohnerhöhung haben und deswegen haben wir diakonische Einrichtungen zu Tarifverhandlungen aufgefordert."
Und nachdem diese nicht aufgenommen wurden, rief ver.di zum Streik auf. Vor knapp drei Jahren wurde das bundesweit gültige Tarifwerk im Bereich der Diakonie erneuert: Rund ein Drittel der Mitarbeiter wird inzwischen nach den sogenannten Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes, kurz AVR, bezahlt. Ver.di behauptet, die AVR seien ein Tarif, um sich Wettbewerbsvorteile auf dem Sozialmarkt zu sichern. Die Leitungen der Diakonie bestreiten das.
Barenhoff: "Materiell bildet die Struktur des am Beamtenversorgungsdenkens orientierten TvöD nicht mehr die Möglichkeit, die personalwirtschaftliche Steuerung unter Markt und Wettbewerb angemessen abbilden zu können. Es geht nicht um Absenkung oder Ähnliches, sondern es geht darum, ein personalwirtschaftliches Instrument an die Hand zu bekommen, was sozusagen auch Arbeitsplätze sichert."
Die Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie weichen nun in ihrer grundlegenden Systematik von dem TvöD, also dem Tarifwerk für den öffentlichen Dienst, ab. Deswegen ist die Frage schwer zu beantworten, welcher Tarif für die Arbeitnehmer günstiger ist.
Konkrete Unterschiede sehen die Mitarbeiter des Evangelischen Krankenhauses in Bielefeld, die im September gestreikt haben. Ihr Krankenhaus entstand 2005 durch den Zusammenschluss von drei Krankenhäusern, bei zweien wurde der alte Bundesangestellten-Tarif in der kirchlichen Fassung angewandt, bei einem die Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie. Neueinstellungen werden nach den AVR bezahlt. Das hat Folgen:
Krankenschwester: "Wenn man sich die Vergleiche anguckt der einzelnen Tarife, der Bezahlung, da wird unterschiedlich bezahlt und das sind auch große Unterschiede: Und durch den Zusammenschluss hat es eben auch gegeben, dass in einzelnen Abteilungen, Personal, die die gleiche Arbeit machen, komplett unterschiedlich bezahlt werden, weil die nach zwei verschiedenen Tarifen bezahlt werden. Und das sind natürlich Dinge, die die Mitarbeiter auch unzufrieden machen."
Ein weiterer Kollege aus dem Krankenhaus, ver.di-Mitglied Jens Ortmann, nimmt noch den Vergleich mit dem kommunalen Krankenhaus in Bielefeld dazu:
"Es haben auch schon einige Pflegekräfte gekündigt, die mit der Bezahlung und den Bedingungen hier unzufrieden waren, und arbeiten jetzt im städtischen Krankenhaus und die können natürlich erzählen, was man im TvöD im öffentlichen Dienst verdient für die gleiche Arbeit, die gleiche Verantwortung, wir machen hier ja keine andere Krankenhausarbeit, nur weil wir diakonisch sind, es wird ja auch nicht anders im OP gearbeitet, weil es Diakonie ist, aber die Diakonie meint, sie kann und muss anders bezahlen, weil es Diakonie ist."
Die Frage nach der Bezahlung könnte für den Arbeitsgerichtsprozess zum Streikrecht nicht unerheblich sein. Sollte nämlich deutlich werden, dass die diakonischen Mitarbeiter keine gleichwertige Chance haben, ihre Interessen im Dritten Weg durchzusetzen, wäre die Evangelische Kirche in einer rechtlich und politisch schwierigen Position. Hermann Lührs warnt, dass der wirtschaftliche Kurs der letzten Jahre dem Dritten Weg die Legitimation entzogen haben könnte:
"In dem Maße nämlich wie sozusagen die kirchlichen Arbeitgeber ganz normale Arbeitsgeber werden, die sagen: Wir müssen konkurrenzfähig werden und das tun wir durch Umsteuern der Personalressourcen. Wir müssen Kosten senken, um auf diesem Markt in diesem Wettbewerb zu bestehen. In dem Maße werden auch die kirchlich Beschäftigten ganz normale kirchlich Beschäftigte sein, was den Teil der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen angeht. Das eine führt zum anderen."
Die Kirche will freilich kein normaler Arbeitgeber werden, sie hält zwar Streik für ein erlaubtes Mittel in der Wirtschaft, in ihrem eigenen Bereich aber sollen weiterhin andere Regeln gelten. Günther Barenhoff von der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe:
"Matthäus 25: 'Was ihr getan habt diesem einen meiner geringsten Schwestern und Brüder, das habt ihr mir getan.' Und die theologische Auslegung ist: Das heißt in jedem nächsten begegne ich Gott selbst. Ich habe mal in Bielefeld den mutigen Satz gesagt: 'Gott kann man nicht bestreiken.' Die Folgen, ich muss doch die Folgen bedenken. Es geht einmal um diesen Selbstverständnisgedanken: Primär steht der Dienst am Menschen, und wenn ich streike, treffe ich den Menschen."
Eine Position, die in Zeiten von Sparmaßnahmen auch von den Mitarbeitenden immer weniger verstanden wird:
Ortmann: "Ich nehme wahr, weil ich selber nach den AVR bezahlt werde, dass ich schlechter bezahlt werde als meine Kollegen im gleichen Haus und auch als in der Branche üblich ist, dass mein Arbeitgeber, das Unternehmen, in dem ich arbeite, ein Wirtschaftsunternehmen ist. Da gibt es keine diakonischen Grundsätze, weder in der Arbeit mit den Patienten, die eine vordergründige Rolle spielen und schon gar nicht in der Behandlung der Mitarbeiter. Hier werden knallharte Sanierungsmaßnahmen, hier werden Leute vor die Tür gesetzt, das Haus wird nicht nach einem wie auch immer gearteten Leitbild gesteuert, sondern einfach nach Zahlen. Unser Geschäftsführer ist wegen dieser Kompetenz hier eingestellt worden. Das ist der Kurs, den dieses Unternehmen einschlägt, so. Und wir sollen uns aber weiterhin daran halten, dass wir in der Diakonie sind, und doch möglichst alles schiedlich-friedlich, und wir dürfen darum bitten, dass wir vernünftig bezahlt werden, und wenn wir das nicht werden, dann gibt es dafür auch gute Gründe, und dann haben wir das zu schlucken. Und was dann verschiedene Pastoren sagen: Gott würde bestreikt, wenn ein Krankenhaus bestreikt wird – ich weiß nicht, wo diese Menschen leben, die sollen mal einen Tag im Krankenhaus arbeiten und sozusagen die Verkündung des Worts Gottes in Wort und Tat da übernehmen!"
Der Prozess vor dem Bielefelder Arbeitsgericht ist also nicht nur ein Streit zwischen Kirche und Gewerkschaft, sondern wohl auch zwischen den Diakonieleitungen und wenigstens einem Teil ihrer Mitarbeiter. Ein Streit, der wohl eine Weile anhalten wird, denn alle Beteiligten erwarten, dass der Prozess den Instanzenweg bis zum Bundesverfassungsgericht nehmen wird. Bis dahin wird wohl keine Seite klein beigeben: ver.di hat für morgen zu einem Warnstreik im Diakonie-Klinikum Hamburg aufgerufen.