Eigentlich arbeitet der Argentinier Jorge Bucay, geboren 1949, als Psychologe und Therapeut. Nicht nur in Buenos Aires kennt man ihn. Durch zahlreiche Fernsehauftritte sowie die Herausgabe eines Ratgeberheftes sind seine Lebenshilfetipps im ganzen Land gefragt. Sein Erfolgsrezept: Jedes Mal erzählt er seinen Patienten, Lesern oder Zuschauern eine Geschichte wie die vom ´Fröschlein in der Sahne`, vom ´angeketteten Elefanten` oder vom ´König, der angebetet werden wollte`. Den Hang zum Geschichten erzählen verdankt Bucay seiner Kindheit. Ein jüdischer Großvater, ein arabischer Großvater und ein katholischer Priester hatten den jungen Jorge mit ihren Geschichten so geprägt, dass er sie nicht nur an seine Patienten weiter geben wollte, sondern anfing Bücher zu schreiben.
"Liebe mit offenen Augen" erzählt die Begegnung zweier Unbekannter im Internet. Roberto, Marketingexperte in Argentinien, erhält versehentlich E-Mails von der Therapeutin Laura, die eigentlich für ihren Kollegen Fredy bestimmt sind. Zunächst löscht er sie. Doch da sie immer wieder eintreffen, wächst die Neugier in Roberto und er öffnet die fremde Post. In den E-Mails möchte sich Laura mit ihrem Kollegen über Paarbeziehungen austauschen, weil sie planen, ein Buch zu veröffentlichen. Fasziniert von den Ansichten über Liebe und partnerschaftliches Miteinander, in denen sich Roberto wiederfindet, beginnt er sich als Fredy auszugeben, um den elektronischen Kontakt aufrecht zu erhalten. Daraus ergibt sich ein reger Briefwechsel über das Wunder der Verliebtheit, ihre Verwandlung in Liebe und die Möglichkeit zur wahren Selbstentfaltung in der Beziehung.
"Eine Beziehung ist eine Addition. Deshalb lohnt sie sich. Sie lohnt die Mühe, das Leiden, das sie hervorbringt, den Schmerz, mit dem wir uns auseinander setzen müssen. (...) Die Paarbeziehung rettet uns vor nichts. Viele Menschen suchen einen Partner, um auf diese Weise ihre Probleme zu lösen. Sie glauben, dass eine intime Beziehung sie von ihren Ängsten, ihrer Langeweile, ihrem Gefühl der Sinnlosigkeit heilen wird. Sie hoffen, dass ein Partner die Lücken in der eigenen Persönlichkeit stopft. Welch schrecklicher Irrtum! (...) Das Konzept lautet: Ich muss mein eigenes Leben meistern, ohne die Erwartung, dass jemand dies für mich erledigt."
Roberto, der gerade selbst in einer tiefen Beziehungskrise steckt, merkt, dass die Analyse der Expertin ihm in seinem eigenen Leben weiterhilft und wird schnell abhängig von ihren Lebensweisheiten. Er beginnt Buchhandlungen nach Literatur über Paarbeziehungen zu durchkämmen und schreibt selbst Beiträge für das geplante Buch. Doch das dank Internet mögliche Versteckspiel droht aufzufliegen, als der echte Fredy sich von einer langen Reise zurückmeldet und Roberto dadurch in Schwierigkeiten gerät.
Vor dem Hintergrund eines recht einfachen Handlungsstrangs verfolgt der Leser diverse Abhandlungen über paartherapeutische Konzepte von Psychologen oder Schriftstellern aus aller Welt. Laura und Roberto tauschen sich über John Bradshaw, Erich Fromm, Milan Kundera oder Antoine de Saint-Exupéry aus und überlegen, wie sie deren Philosophien in ihr Buchprojekt einbauen könnten:
"Ortega y Gasset sagt, für die Liebe bedürfe es verschiedener Voraussetzungen. Da wäre als erstes die Wahrnehmung, die Fähigkeit den anderen zu sehen, die Kraft sich für eine andere Person zu interessieren, und nicht für sich selbst. (...) Wie du mir ´beigebracht` hast, kann man nur mit jemandem zusammen sein, ihn lieben und lustvoll ergründen, wenn man ihn akzeptiert wie er ist. Aber die meisten Leute befassen sich nicht mit dem Thema, ob sie lieben oder nicht. Sie interessiert lediglich, ob sie geliebt werden. Ob man ihnen Liebe entgegenbringt."
Ist Bucays neuer Roman nur eine Aneinanderreihung von abgedroschenen Lebensweisheiten, kalenderspruchartig abgedruckt oder trifft er mit seinen einfachen Metaphern und Vergleichen den Nerv der Zeit? Immer mehr Leser sind schließlich vom Stil eines Eric Immanuel Schmidt, Paolo Coelho oder François Lelord und ihren eingängigen aber sinnstiftenden Geschichten über das Leben begeistert. Bucay jedenfalls bleibt auch weiterhin Psychologe und sieht sich selbst nur in zweiter Linie als Romanautor:
""Nun, klar: Dies ist ein Buch eines Therapeuten und nicht das Buch eines Schriftstellers. Ich bin ein Therapeut, der schreibt und kein Schriftsteller, der nebenbei noch die Psychotherapie studiert. Die Idee war es, über Paare zu schreiben, die ganze Theorie der Paarbeziehungen zu vermitteln. Statt dies in Form eines akademisches Textes zu tun, wollte ich es als Roman zusammenbauen. Das Ergebnis war, dass der Roman die Theorie geschluckt hat."
´Liebe mit offenen Augen` ist kein wirklicher Roman, sondern eher ein literarisch verkleideter Ratgeber über Paarbeziehungen. Es wirkt so, als sei der Briefwechsel zwischen Roberto und Laura ein Abdruck der Korrespondenz zwischen Jorge Bucay und seiner Threrapeuten-Kollegin Adriana Schnake Silva, der er mehrfach für die Zusammenarbeit dankt. Wer also eine spannende Handlung erwartet, dürfte enttäuscht sein; wer gerade selbst in einer Beziehungskrise steckt, kann vielleicht dazu lernen. Bucays Botschaft lautet:
"Das Wichtigste ist, was der Titel bereits sagt: Lerne den anderen so zu lieben, wie er ist, versuche nicht ihn zu verändern, gib nicht vor, er sei anders, verschließe deine Augen nicht vor dem, was dir nicht gefällt. Sieh den anderen wie er ist, betrachte ihn mit offenen Augen. Und wenn du imstande bist, ihn so zu lieben, wie er ist, dann kannst du mit ihm zusammen sein."
Bucay glaubt, Geschichten helfen Kindern beim Einschlafen und Erwachsenen beim Aufwachen. So beendet er auch seinen Roman, wie sollte es anders sein, mit einer Geschichte, die zeigen soll, wie man am besten mit den Macken seines Partners umgeht:
"Es war einmal in einem Dorf ein Mann, der als Wasserträger arbeitete. (...) Eines Morgens bekam einer der Tonkrüge einen Sprung und verlor Wasser. Somit konnte er mit diesem Krug nicht mehr so viel Geld verdienen. Der Krug wollte sich dafür bei dem Mann entschuldigen, doch dieser erwiderte: Austauschen konnte ich dich nicht, und so fasste ich einen Entschluss: Ich kaufte Blumensamen in allen erdenklichen Farben und säte sie zu den Seiten des Weges aus. Bei jedem Fußmarsch, den ich machte, besprenkelte das Wasser, das du verlierst, den Wegrand und in diesen zwei Jahren hast du diesen Unterschied bewirkt. (...) Ich habe dir für deinen Mangel zu danken."
Jorge Bucay, Liebe mit offenen Augen.
Aus dem Spanischen von Petra Willim, Zürich 2008, 272 Seiten.
"Liebe mit offenen Augen" erzählt die Begegnung zweier Unbekannter im Internet. Roberto, Marketingexperte in Argentinien, erhält versehentlich E-Mails von der Therapeutin Laura, die eigentlich für ihren Kollegen Fredy bestimmt sind. Zunächst löscht er sie. Doch da sie immer wieder eintreffen, wächst die Neugier in Roberto und er öffnet die fremde Post. In den E-Mails möchte sich Laura mit ihrem Kollegen über Paarbeziehungen austauschen, weil sie planen, ein Buch zu veröffentlichen. Fasziniert von den Ansichten über Liebe und partnerschaftliches Miteinander, in denen sich Roberto wiederfindet, beginnt er sich als Fredy auszugeben, um den elektronischen Kontakt aufrecht zu erhalten. Daraus ergibt sich ein reger Briefwechsel über das Wunder der Verliebtheit, ihre Verwandlung in Liebe und die Möglichkeit zur wahren Selbstentfaltung in der Beziehung.
"Eine Beziehung ist eine Addition. Deshalb lohnt sie sich. Sie lohnt die Mühe, das Leiden, das sie hervorbringt, den Schmerz, mit dem wir uns auseinander setzen müssen. (...) Die Paarbeziehung rettet uns vor nichts. Viele Menschen suchen einen Partner, um auf diese Weise ihre Probleme zu lösen. Sie glauben, dass eine intime Beziehung sie von ihren Ängsten, ihrer Langeweile, ihrem Gefühl der Sinnlosigkeit heilen wird. Sie hoffen, dass ein Partner die Lücken in der eigenen Persönlichkeit stopft. Welch schrecklicher Irrtum! (...) Das Konzept lautet: Ich muss mein eigenes Leben meistern, ohne die Erwartung, dass jemand dies für mich erledigt."
Roberto, der gerade selbst in einer tiefen Beziehungskrise steckt, merkt, dass die Analyse der Expertin ihm in seinem eigenen Leben weiterhilft und wird schnell abhängig von ihren Lebensweisheiten. Er beginnt Buchhandlungen nach Literatur über Paarbeziehungen zu durchkämmen und schreibt selbst Beiträge für das geplante Buch. Doch das dank Internet mögliche Versteckspiel droht aufzufliegen, als der echte Fredy sich von einer langen Reise zurückmeldet und Roberto dadurch in Schwierigkeiten gerät.
Vor dem Hintergrund eines recht einfachen Handlungsstrangs verfolgt der Leser diverse Abhandlungen über paartherapeutische Konzepte von Psychologen oder Schriftstellern aus aller Welt. Laura und Roberto tauschen sich über John Bradshaw, Erich Fromm, Milan Kundera oder Antoine de Saint-Exupéry aus und überlegen, wie sie deren Philosophien in ihr Buchprojekt einbauen könnten:
"Ortega y Gasset sagt, für die Liebe bedürfe es verschiedener Voraussetzungen. Da wäre als erstes die Wahrnehmung, die Fähigkeit den anderen zu sehen, die Kraft sich für eine andere Person zu interessieren, und nicht für sich selbst. (...) Wie du mir ´beigebracht` hast, kann man nur mit jemandem zusammen sein, ihn lieben und lustvoll ergründen, wenn man ihn akzeptiert wie er ist. Aber die meisten Leute befassen sich nicht mit dem Thema, ob sie lieben oder nicht. Sie interessiert lediglich, ob sie geliebt werden. Ob man ihnen Liebe entgegenbringt."
Ist Bucays neuer Roman nur eine Aneinanderreihung von abgedroschenen Lebensweisheiten, kalenderspruchartig abgedruckt oder trifft er mit seinen einfachen Metaphern und Vergleichen den Nerv der Zeit? Immer mehr Leser sind schließlich vom Stil eines Eric Immanuel Schmidt, Paolo Coelho oder François Lelord und ihren eingängigen aber sinnstiftenden Geschichten über das Leben begeistert. Bucay jedenfalls bleibt auch weiterhin Psychologe und sieht sich selbst nur in zweiter Linie als Romanautor:
""Nun, klar: Dies ist ein Buch eines Therapeuten und nicht das Buch eines Schriftstellers. Ich bin ein Therapeut, der schreibt und kein Schriftsteller, der nebenbei noch die Psychotherapie studiert. Die Idee war es, über Paare zu schreiben, die ganze Theorie der Paarbeziehungen zu vermitteln. Statt dies in Form eines akademisches Textes zu tun, wollte ich es als Roman zusammenbauen. Das Ergebnis war, dass der Roman die Theorie geschluckt hat."
´Liebe mit offenen Augen` ist kein wirklicher Roman, sondern eher ein literarisch verkleideter Ratgeber über Paarbeziehungen. Es wirkt so, als sei der Briefwechsel zwischen Roberto und Laura ein Abdruck der Korrespondenz zwischen Jorge Bucay und seiner Threrapeuten-Kollegin Adriana Schnake Silva, der er mehrfach für die Zusammenarbeit dankt. Wer also eine spannende Handlung erwartet, dürfte enttäuscht sein; wer gerade selbst in einer Beziehungskrise steckt, kann vielleicht dazu lernen. Bucays Botschaft lautet:
"Das Wichtigste ist, was der Titel bereits sagt: Lerne den anderen so zu lieben, wie er ist, versuche nicht ihn zu verändern, gib nicht vor, er sei anders, verschließe deine Augen nicht vor dem, was dir nicht gefällt. Sieh den anderen wie er ist, betrachte ihn mit offenen Augen. Und wenn du imstande bist, ihn so zu lieben, wie er ist, dann kannst du mit ihm zusammen sein."
Bucay glaubt, Geschichten helfen Kindern beim Einschlafen und Erwachsenen beim Aufwachen. So beendet er auch seinen Roman, wie sollte es anders sein, mit einer Geschichte, die zeigen soll, wie man am besten mit den Macken seines Partners umgeht:
"Es war einmal in einem Dorf ein Mann, der als Wasserträger arbeitete. (...) Eines Morgens bekam einer der Tonkrüge einen Sprung und verlor Wasser. Somit konnte er mit diesem Krug nicht mehr so viel Geld verdienen. Der Krug wollte sich dafür bei dem Mann entschuldigen, doch dieser erwiderte: Austauschen konnte ich dich nicht, und so fasste ich einen Entschluss: Ich kaufte Blumensamen in allen erdenklichen Farben und säte sie zu den Seiten des Weges aus. Bei jedem Fußmarsch, den ich machte, besprenkelte das Wasser, das du verlierst, den Wegrand und in diesen zwei Jahren hast du diesen Unterschied bewirkt. (...) Ich habe dir für deinen Mangel zu danken."
Jorge Bucay, Liebe mit offenen Augen.
Aus dem Spanischen von Petra Willim, Zürich 2008, 272 Seiten.