"Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters wird der Deutsche Bundestag eine Reform verwirklichen, die in erster Linie für unsere Jugend, darüber hinaus aber auch für unsere ganze Gesellschaft von weitreichender Bedeutung ist."
Gerhard Jahn, unter Willy Brandt Justizminister der sozialliberalen Koalition, in der Bundestagssitzung am 22. März 1974. Mit der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters von 21 auf 18 verschwand eine fast hundert Jahre alte Regelung. Mit 18 sollte man von nun an voll geschäftsfähig werden, über ein eigenes Vermögen verfügen dürfen, Verträge schließen, den Wohnort frei bestimmen und nach eigener Wahl eine Ausbildung beginnen können. Auslöser für diese Gesetzesänderung waren unter anderen die jugendlichen Protestbewegungen der 60er-Jahre. Die politische Debatte darüber hatte Bundeskanzler Willy Brandt 1969 in seiner Regierungserklärung selbst angestoßen:
"Diese jungen Menschen müssen (aber) verstehen, dass auch sie gegenüber Staat und Gesellschaft Verpflichtungen haben. Wir werden dem Hohen Hause ein Gesetz unterbreiten, wodurch das aktive Wahlalter von 21 auf 18, das passive von 25 auf 21 Jahre herabgesetzt wird. Wir werden auch die Volljährigkeitsgrenze überprüfen."
Im Wettstreit um das junge Wählerpotential beschlossen die Parteien 1970, das Wahlalter auf 18 zu senken − eine wichtige Vorentscheidung für die spätere Volljährigkeitsregelung. Noch im selben Jahr führte dazu das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit eine groß angelegte Befragung durch. In der Folgezeit stritten Sozialverbände, Kirchenkreise, verschiedene Gremien und Jugendhilfen über alle Aspekte der neuen Altersgrenze. Die Kirche befürchtete einen Anstieg der Frühehen, weil Männer nun schon mit 18 statt mit 21 Jahren heiraten durften. Und die sozialpädagogische Fachzeitschrift Unsere Jugend fand 1973:
"Im Gegensatz zum Wahlrecht der 18-Jährigen handelt es sich bei der beabsichtigten Vorverlegung der Volljährigkeit um eine revolutionäre Veränderung der familiären Ordnungsstruktur, in einem Ausmaß, dass man sich fragen muss, ob damit nicht das Verfassungsgebot, die Familie unter den besonderen Schutz des Staates zu nehmen, verletzt wird."
CSU stellte "höhere Ansprüche an die soziale Reifung"
Und deshalb warnten auch einige Konservative, wie etwa der CSU-Abgeordnete Richard Jaeger, vor dem Beispiel DDR, das seine 18-Jährigen schon 1950 als junge Erwachsene aus der Obhut der Familie in die Arme der Staatsgewalt getrieben habe:
"Es ist darauf hingewiesen worden, dass der ganze Osten 18 Jahre als Grenze hat. Die Privatautonomie wird dort ideologisch und praktisch beschränkt. In unserem freien Lande werden höhere Ansprüche an die soziale Reifung eines Menschen gestellt wie im Osten."
Außerdem sah Jaeger Widersprüche in der Tatsache, dass die 18-jährigen zwar volljährig wurden, vor Gericht aber weiter nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden sollten:
"In meinen Augen ist es ein Akt der Schizophrenie des Gesetzgebers, wenn der 18-Jährige ein Warenhaus leiten kann, wenn ein Gleichaltriger aber bei einem Ladendiebstahl in diesem Warenhaus vor ein Jugendgericht gestellt beziehungsweise nach dem Jugendrecht verurteilt wird."
Andere sorgten sich um die fehlende Reife etwa bei Risikogeschäften oder sagten massenhaft in den Ruin getriebene Jungunternehmer und verschleuderte Erbvermögen voraus. Letztendlich aber setzte sich in den Schlussberatungen des Bundestages eine große Mehrheit für die Herabsetzung ein, denn keine Partei wollte es sich mit den geburtenstarken Jahrgängen aus der Mitte der 50er-Jahre verscherzen. In seltener Übereinstimmung mit der Regierung erklärte Anton Stark für die CDU-Opposition:
"Ich darf für meine Fraktion, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagen, dass wir in der überwiegenden Mehrheit der Meinung sind, dass nach dem überwiegenden Verhalten der Mehrheit der 2,5 Millionen Betroffenen es durchaus gerechtfertigt finden, diesen Vertrauensvorschuss zu geben."
Nach Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1975 wurden von einem auf den anderen Tag rund 2,5 Millionen Jugendliche zu mündigen Bürgern. Schon ein halbes Jahr später gaben erste empirische Untersuchungen des Deutschen Jugend-Instituts Entwarnung in allen Bereichen. Die zuvor beschriebenen Katastrophenszenarien waren ausgeblieben.