Es ist Spätherbst 1944. Die Alliierten sind nach ihrer Landung nordwärts vormarschiert, die südlichen Niederlande haben sie schon befreit. Nicht aber Rotterdam, Amsterdam, die Regionen im Norden und Osten. Michiel, 15 Jahre alt, lebt in dem kleinen Dorf de Vlank. Nachts hört er die Bomber Richtung Deutschland fliegen. Das Ende des Krieges naht, der Terror nimmt zu. Michiels etwas älterer Freund Dirk gehört zum Widerstand, wird verhaftet, irgendwann gelingt ihm die Flucht:
"Er war entsetzlich zugerichtet. Seine Nase stand schief und ein Auge war so zugeschwollen, dass man es kaum sah. Die linke Wange war aufgerissen, der Mund stand leicht offen – anscheinend konnte er ihn nicht richtig schließen."
Es kommt noch schlimmer. Nachdem ein deutscher Soldat erschlagen aufgefunden wird, lässt der deutsche Besatzungskommandant zehn Männer aus dem Dorf erschießen – Michiels Vater, allseits respektierter Bürgermeister des Dorfes, ist auch darunter. Das Buch "Kriegswinter" schildert, wie der 15-jährige Halbwaise den niederländischen Widerstand unterstützt. Er versteckt und pflegt einen abgestürzten englischen Bomberpiloten und rettet ihn vor seiner sicheren Ermordung. Mutig bringt der Junge auch zwei niederländische Juden in Sicherheit. So abenteuerlich und spannend das alles erzählt wird, Michiels Vater hat vor seiner Hinrichtung seinem Sohn – und damit den jugendlichen Lesern - nachdrücklich klargemacht, dass es im Krieg kein Heldentum geben kann:
"Michiel, lass dir nicht einreden, im Krieg ginge es um Werte wie Heldenmut und Aufopferung oder um Spannung. Krieg bedeutet immer Hunger, Tränen, Entbehrungen, Angst, Schmerz, Gefangenschaft und Unrecht, und das alles hat ganz und gar nichts Abenteuerliches."
Es ist schon interessant, dass es erneut ein herausragendes niederländisches Buch ist, das deutsche Leser mit einer Kriegsgeschichte packt. Das andere literarische Werk ist das Tagebuch der Anne Frank. Jan Terlouw schrieb "Kriegswinter", im Original "Oorlogswinter", schon 1972 – dass es erst jetzt, 40 Jahre danach, in deutscher Übersetzung erscheint, ist kaum nachzuvollziehen – aber umso verdienstvoller. Terlouw war in den Niederlanden ein bekannter linksliberaler Politiker, ein Jahr lang sogar stellvertretender Ministerpräsident des Landes - mehrfach wurden seine Jugendromane ausgezeichnet. Wer glaubt, dass niederländische Schüler damals nur mit dem Bild des bösen deutschen Nazis geimpft worden seien, der findet hier ein Gegenbeispiel.
"In jedem Krieg geschieht Entsetzliches. Glaub bloß nicht, nur die Deutschen seien so. Auch Niederländer, Engländer, Franzosen – jedes Volk hat in Kriegszeiten so brutal gemordet und gefoltert, wie man es sich im Frieden kaum vorstellen kann."
Der Terror der Deutschen ist täglich zu spüren, aber immer wenn deutsche Soldaten in dem Buch ein Gesicht erhalten, werden sie differenziert gezeichnet. Der Kommandant ringt mit sich, wie er mit einer Baronin umgehen soll, die als Widerstandskämpferin enttarnt wird. Ein Wehrmachtssoldat riskiert sein Leben und rettet Michiels kleinen Bruder vom Dach des Elternhauses – während alle Niederländer der Szene nur vom Garten aus tatenlos zuschauen. Nicht nur die furchtbare Besatzung durch Nazi-Deutschland steht denn auch im Mittelpunkt des Romans, sondern noch mehr das Klima des Misstrauens, der Spitzelei und des Verrats innerhalb der niederländischen Bevölkerung. Ausgerechnet Michiels Onkel Ben ist der große Verräter. Andere Holländer wechseln opportunistisch zwei Wochen vor dem Anrollen der britischen Panzer die Fronten und gerieren sich als Widerständler, wo sie doch feige Mitläufer waren. Einer der Dörfler, auf den alle mit dem Finger als vermeintlicher Spitzel der Deutschen gezeigt hatten, hat in Wahrheit drei Juden in seinem Haus vor Verfolgung versteckt. "Kriegswinter" ist in den Niederlanden seit Jahrzehnten ein großer Erfolg - mehrfach verfilmt, zuletzt 2008 wieder ein Kassenschlager. Dieser Erfolg kommt nicht von ungefähr: Das Buch vereinigt in sich einen packenden Coming-of-Age-Roman über das Erwachsenwerden und ein Kriegsdrama, verfasst in präziser Sprache. Eine packende Jugendlektüre und geradezu von humanistischer Klarheit und Eindringlichkeit.
Buchinfos:
Jan Terlouw: "Kriegswinter". Aus dem Niederländischen von Eva Schweikart. Verlag Urachhaus, 204 Seiten, 14,90 Euro.
"Er war entsetzlich zugerichtet. Seine Nase stand schief und ein Auge war so zugeschwollen, dass man es kaum sah. Die linke Wange war aufgerissen, der Mund stand leicht offen – anscheinend konnte er ihn nicht richtig schließen."
Es kommt noch schlimmer. Nachdem ein deutscher Soldat erschlagen aufgefunden wird, lässt der deutsche Besatzungskommandant zehn Männer aus dem Dorf erschießen – Michiels Vater, allseits respektierter Bürgermeister des Dorfes, ist auch darunter. Das Buch "Kriegswinter" schildert, wie der 15-jährige Halbwaise den niederländischen Widerstand unterstützt. Er versteckt und pflegt einen abgestürzten englischen Bomberpiloten und rettet ihn vor seiner sicheren Ermordung. Mutig bringt der Junge auch zwei niederländische Juden in Sicherheit. So abenteuerlich und spannend das alles erzählt wird, Michiels Vater hat vor seiner Hinrichtung seinem Sohn – und damit den jugendlichen Lesern - nachdrücklich klargemacht, dass es im Krieg kein Heldentum geben kann:
"Michiel, lass dir nicht einreden, im Krieg ginge es um Werte wie Heldenmut und Aufopferung oder um Spannung. Krieg bedeutet immer Hunger, Tränen, Entbehrungen, Angst, Schmerz, Gefangenschaft und Unrecht, und das alles hat ganz und gar nichts Abenteuerliches."
Es ist schon interessant, dass es erneut ein herausragendes niederländisches Buch ist, das deutsche Leser mit einer Kriegsgeschichte packt. Das andere literarische Werk ist das Tagebuch der Anne Frank. Jan Terlouw schrieb "Kriegswinter", im Original "Oorlogswinter", schon 1972 – dass es erst jetzt, 40 Jahre danach, in deutscher Übersetzung erscheint, ist kaum nachzuvollziehen – aber umso verdienstvoller. Terlouw war in den Niederlanden ein bekannter linksliberaler Politiker, ein Jahr lang sogar stellvertretender Ministerpräsident des Landes - mehrfach wurden seine Jugendromane ausgezeichnet. Wer glaubt, dass niederländische Schüler damals nur mit dem Bild des bösen deutschen Nazis geimpft worden seien, der findet hier ein Gegenbeispiel.
"In jedem Krieg geschieht Entsetzliches. Glaub bloß nicht, nur die Deutschen seien so. Auch Niederländer, Engländer, Franzosen – jedes Volk hat in Kriegszeiten so brutal gemordet und gefoltert, wie man es sich im Frieden kaum vorstellen kann."
Der Terror der Deutschen ist täglich zu spüren, aber immer wenn deutsche Soldaten in dem Buch ein Gesicht erhalten, werden sie differenziert gezeichnet. Der Kommandant ringt mit sich, wie er mit einer Baronin umgehen soll, die als Widerstandskämpferin enttarnt wird. Ein Wehrmachtssoldat riskiert sein Leben und rettet Michiels kleinen Bruder vom Dach des Elternhauses – während alle Niederländer der Szene nur vom Garten aus tatenlos zuschauen. Nicht nur die furchtbare Besatzung durch Nazi-Deutschland steht denn auch im Mittelpunkt des Romans, sondern noch mehr das Klima des Misstrauens, der Spitzelei und des Verrats innerhalb der niederländischen Bevölkerung. Ausgerechnet Michiels Onkel Ben ist der große Verräter. Andere Holländer wechseln opportunistisch zwei Wochen vor dem Anrollen der britischen Panzer die Fronten und gerieren sich als Widerständler, wo sie doch feige Mitläufer waren. Einer der Dörfler, auf den alle mit dem Finger als vermeintlicher Spitzel der Deutschen gezeigt hatten, hat in Wahrheit drei Juden in seinem Haus vor Verfolgung versteckt. "Kriegswinter" ist in den Niederlanden seit Jahrzehnten ein großer Erfolg - mehrfach verfilmt, zuletzt 2008 wieder ein Kassenschlager. Dieser Erfolg kommt nicht von ungefähr: Das Buch vereinigt in sich einen packenden Coming-of-Age-Roman über das Erwachsenwerden und ein Kriegsdrama, verfasst in präziser Sprache. Eine packende Jugendlektüre und geradezu von humanistischer Klarheit und Eindringlichkeit.
Buchinfos:
Jan Terlouw: "Kriegswinter". Aus dem Niederländischen von Eva Schweikart. Verlag Urachhaus, 204 Seiten, 14,90 Euro.