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Erweiterter Rettungsschirm trotz Abweichlern in den eigenen Reihen

Er werde der Erweiterung des Rettungsschirms nicht zustimmen, sagt der CDU-Politiker Klaus-Peter Willsch. Er könne eine Politik nicht absegnen, bei der es darum gehe, übermäßige Schulden durch noch mehr Schulden zu bekämpfen und gleichzeitig die Zinsen zu senken. Eine breite Mehrheit sieht er dennoch nicht gefährdet.

Klaus-Peter Willsch im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Die Ferienzeit neigt sich dem Ende, in den meisten Bundesländern hat die Schule bereits wieder begonnen, oder sie beginnt in diesen Tagen. Auch der Deutsche Bundestag beendet heute seine Sommerpause, und zwar gleich mit den Beratungen über den Haushaltsentwurf der Regierung für das kommende Jahr. Bis zum Freitag debattieren die Abgeordneten über 306 Milliarden Euro, so viel Geld will die Regierung im kommenden Jahr ausgeben. Das bedeutet neue Schulden in Höhe von 27,2 Milliarden. Das alles vor dem Hintergrund des bevorstehenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Euro-Rettungsschirm. Ende des Monats werden die Hilfen für klamme EU-Länder oder Euro-Länder dann auch im Bundestag zur Abstimmung stehen.

    Hans-Dietrich Genscher hat heute Früh bei uns im Deutschlandfunk den Bundestag zur Geschlossenheit bei der Abstimmung über die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms aufgerufen. Der frühere Bundesaußenminister und FDP-Ehrenvorsitzende wandte sich damit indirekt auch gegen Parteifreunde, etwa den Finanzfachmann Hermann Otto Solms, der einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone fordert. Gestern haben die Koalitionsfraktionen probehalber abgestimmt. Ergebnis: Zwölf Nein-Stimmen bei CDU und CSU, sieben Enthaltungen, bei der FDP gab es zwei Nein-Stimmen und vier Enthaltungen.
    Am Telefon ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch. Guten Tag.

    Klaus-Peter Willsch: Guten Tag, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Willsch, Sie lehnen die geplante Euro-Rettungspolitik ab; da reden wir gleich drüber. Zunächst einmal zur Probeabstimmung. Kann Angela Merkel eine eigene Mehrheit vergessen?

    Willsch: Gut, das muss man abwarten. Wir haben jetzt die Formulierungshilfe eingebracht als Gesetzentwurf in den Bundestag, und da gab es das bekannte Abstimmungsergebnis. Wir werden jetzt ein Urteil haben des Verfassungsgerichts am Mittwoch, was vor allen Dingen wahrscheinlich über Beteiligungsfragen gehen wird, Beteiligungsfragen des Bundestages. Und wir haben dann die Fachberatungen im Ausschuss, Sachverständigenanhörung. Müssen wir schauen, wie das hinterher ausgeht, ich bin kein Prophet.

    Heinemann: Könnten Sie sich vorstellen, dann doch noch mit Ja zu stimmen?

    Willsch: Nein, weil ich diese Politik vom ersten Tag an für grundsätzlich falsch halte. Es ist der Versuch, Schulden, übermäßige Schulden mit noch mehr Schulden zu bekämpfen, Zinsen zu senken und damit die prohibitive Wirkung von hohen Zinsen für eine übermäßige Verschuldung außer Kraft zu setzen. Das Ganze führt nicht zum Ziel, wie man am Beispiel Griechenlands gut sehen kann.

    Heinemann: Da kommen wir gleich noch mal drauf. Aber zunächst noch mal zur Abstimmung. Wenn Angela Merkel eine eigene Mehrheit nicht zustande kriegen sollte, kann sie dann einpacken?

    Willsch: Die SPD und Grüne überbieten sich doch darin zu sagen, ihr müsst mehr Geld geben, ihr hättet viel schneller geben müssen. Die haben ja beide schon signalisiert, dass sie diese Schirmpolitik mittragen. Das waren ja schließlich auch die, die 2003, 2004 dem Stabilitäts- und Wachstumspakt einen schweren Stoß versetzt haben, indem sie in schnodderiger Art, wir lassen uns doch von denen keinen blauen Brief schicken, die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts erst mal außer Kraft gesetzt haben.

    Heinemann: Herr Willsch, wir reden nicht über die Opposition. – Wenn Angela Merkel, wenn CDU, CSU und FDP keine eigene Mehrheit in dieser wichtigen Frage, einer zentralen Frage dieser Legislaturperiode zustande kriegen, ist diese Regierung dann am Ende? Frage!

    Willsch: Das glaube ich nicht!

    Heinemann: Wieso nicht?

    Willsch: ... , weil es eine breite Mehrheit im Haus in dieser Frage nach allen Vorhersagen geben wird.

    Heinemann: Also ist Frau Merkel die Marionette von Herrn Gabriel?

    Willsch: Nein, das ganz gewiss nicht. Entschuldigen Sie, dass ich lachen muss über das Bild. – Das sicherlich nicht, nein.

    Heinemann: Aber ohne die Opposition kann sie einen zentralen Punkt ihrer Politik nicht umsetzen, falls es nicht zur eigenen Mehrheit käme.

    Willsch: Das ist ja ohnehin ein Thema, das natürlich auch die Länder angeht, denn wenn hier Bürgschaften nachher fällig werden, ist das ja eine gesamtstaatliche Aufgabe, wo auch die Länder sich beteiligen werden müssen, und da haben wir ohnehin andere Mehrheiten.

    Heinemann: Gut. – Herr Willsch, wir wollen noch mal zurückgehen zu Hans-Dietrich Genscher.
    Der frühere Bundesaußenminister hat sich heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk geäußert, wir hören ihn ganz kurz.

    O-Ton Hans-Dietrich Genscher: "Europa jetzt anzuhalten, Europa nicht weiter vorangehen zu lassen, das wäre das Ende nicht nur der Währungsunion, sondern des europäischen Einigungsprozesses."

    Heinemann: Wollen Sie als Totengräber dieses Einigungsprozesses in die Geschichtsbücher eingehen?

    Willsch: Nein, ganz und gar nicht. Ich halte nichts davon, dieses ökonomische Thema mit solchen politischen Aufladungen zu überhöhen. Es geht um eine ökonomische Frage: Wie ist der Währungsraum richtig zugeschnitten. Da ist man bei der Gründung der Währungsunion davon ausgegangen, dass die Volkswirtschaften in dieser Währungsunion sich aufeinander zubewegen werden. Das war die sogenannte Konvergenztheorie. Das ist leider nicht eingetreten, sondern die Diskrepanz zwischen denen, die gute Daten aufweisen, und denen, die schwächeln, ist größer geworden. Und um hier Vorkehrungen zu treffen, dass der Euro eine stabile Währung wird und auch bleibt, ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt damals von Deutschland durchgesetzt worden. Und dem wieder Geltung zu verschaffen, ist das Wichtigste, was wir für den Euro tun müssen.

    Heinemann: Ist Europa für Sie ein Projekt der Pfennigfuchser, oder ist das ein politisch-kulturelles Einigungswerk?

    Willsch: Ja Europa ist für mich Heimstatt gewissermaßen. Natürlich bin ich Deutscher, aber fühle mich im europäischen Kulturstrom stehend, und das Werk der europäischen Einigung ist ein wichtiges, das ist doch gar keine Frage. Aber Sie müssen sich die Dimensionen vor Augen führen, über die wir hier reden, und dann von Pfennigfuchserei zu reden, halte ich nicht für ganz angemessen.

    Nehmen Sie bei fortschreitender Überschuldung weiterer Staaten eine Zinserhöhung in Deutschland. Wenn wir bei einer Gesamtschuld von 2,1 Billionen – wir sind ja auch über dem 60-Prozent-Kriterium; also wir haben mehr als 60 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung an Staatsschuld -, wenn wir nur eine Erhöhung von einem Prozent kriegen, bedeutet das für Deutschland 21 Milliarden mehr ausgeben im Jahr. Wenn es zwei Prozent sind, sind es 42 Milliarden. Die Experten schwanken zwischen diesen beiden Werten. Und der Haushalt, Bundeshaushalt, hat 306 Milliarden. Die Bundeswehr insgesamt kostet 30 Milliarden im Jahr, nur um mal ein paar Größen, ein paar Punkte zu nennen, dass man sich das vorstellen kann, über welche Dimensionen wir reden. 21 Milliarden, das sind drei Mehrwertsteuerpunkte, wenn wir die zusätzlich aufbringen müssen.

    Heinemann: Was ist denn jetzt die Alternative? Der "Spiegel" berichtet darüber, Angela Merkel arbeite an einem Kerneuropa, das heißt der Euro-Gruppe, der Gruppe derjenigen Staaten, in denen mit Euro und Cent gezahlt wird, in denen dann die Steuer-, die Haushalts-, die Finanz-, die Wirtschaftspolitik abgestimmt werden sollen, enger zusammengeführt werden sollen, ohne die Briten, ohne andere "Störenfriede". Ist das die Lösung für die künftigen oder für absehbare Euro-Schwächen?

    Willsch: Also wir haben ja heute schon zwei Gruppen von EU-Mitgliedern. Wir haben insgesamt 27 Staaten in der EU, bald 28 mit Kroatien, und haben jetzt 17, die mit dem Euro bezahlen. Bis zum Ende des letzten Jahres waren es nur 16, dann ist Estland dazugekommen. Die Zukunft Europas hängt nicht davon ab, ob diese Zahl bestehen bleibt, oder ob es in Zukunft vielleicht 15 sind, die mit dem Euro bezahlen, weil sie selbst mit einer eigenen Währung besser zurechtkommen.

    Heinemann: Also noch mal die Frage: Wie sinnvoll ist jetzt in dieser Euro-Krise eine beschleunigte Integration der Euro-Staaten?

    Willsch: Es zeigt sich, dass innerhalb einer gemeinsamen Währung natürlich auch ein Mindestmaß an Abstimmung der Fiskalpolitik stattfinden muss. Das ist völlig richtig, das anzustreben. Das braucht aber alles lange Prozesse, da müssen Verträge geändert werden. Die letzte Vertragsänderung, Vertrag von Lissabon, hat zehn Jahre gedauert.

    Heinemann: Und bis dahin, würden Sie sagen, sollen die Griechen sehen, wie sie zurecht kommen? Auf jeden Fall ohne deutsche Hilfe?

    Willsch: Wir haben seit dem Beitritt Griechenlands in die Europäische Union umfangreich geholfen. Fahren Sie doch mal durch das Land: Sie sehen überall die blauen Tafeln, hier ist mit Unterstützung der Europäischen Union gebaut worden. Das ist die Funktion, auch die Solidaritätsfunktion in der EU, die auch niemand infrage stellt. Die Frage ist, ob es sanktionslos bleiben kann, wenn man gegen selbst eingegangene Verpflichtungen im Zusammenhang mit der gemeinsamen Währung permanent verstößt, nachhaltig verstößt und sich darauf verlässt, dass schon andere irgendwie dieses Defizit ausgleichen werden.

    Heinemann: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Willsch: Aber gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.