Ann-Kathrin Büüsker: Unsere EU soll größer werden. Nachdem der Europäischen Union zum kommenden Jahr mit Großbritannien ein Mitglied abhandenkommt, guckt sich die Kommission derzeit um, wer denn dazukommen könnte, und hat den Westbalkan im Blick. Vier Länder von dort sind bereits offizielle Beitrittskandidaten: Albanien, Mazedonien, Montenegro und Serbien. Die letzten beiden, die könnten sogar bis 2025 in die EU aufgenommen werden, heißt es jetzt aus Brüssel, wo heute der Erweiterungskommissar seine Pläne für den Balkan vorstellt. Die Pläne, die Balkan-Staaten perspektivisch in die EU aufzunehmen, möchte ich jetzt mit Hannes Swoboda besprechen, Mitglied der SPÖ und für diese bis 2014 im Europäischen Parlament. Er hat als Außenpolitiker auch die letzten Erweiterungsprozesse miterlebt. Guten Morgen, Herr Swoboda.
Hannes Swoboda: Schönen guten Morgen, Frau Büüsker.
Büüsker: Herr Swoboda, die Europäische Union, die ist ja im Moment in vielen Themenbereichen stark gespalten. Wie schlau ist es da, über eine Erweiterung nachzudenken?
Swoboda: Wir denken ja schon seit langem über eine Erweiterung nach. Es ist auch versprochen worden, dass es diese Erweiterung gibt. Denn wir können nicht sagen, in Kroatien hört die Welt auf und dann beginnt sie wieder in Griechenland und Bulgarien, sondern wir müssen auch den Raum dazwischen betrachten. Ob jetzt die vorgeschlagene Strategie die beste ist, ist eine andere Frage. Es stellt sich zum Beispiel die Frage, ob diese Priorität, die man Serbien und Montenegro gibt, nicht andere wieder zurücksetzt – ich denke zum Beispiel an Albanien, die sich sehr angestrengt haben, gerade in letzter Zeit, Fortschritte zu machen. Ich hätte mir eine andere Strategie vorgestellt, aber im Prinzip ist immer gesagt worden, dass wir nicht ein schwarzes Loch entstehen lassen können in Europa, das dann andere ausfüllen mit ihren Vorstellungen.
Büüsker: Wenn Sie "andere" sagen, meinen Sie wen?
Swoboda: Ich meine hier Russland, ich meine auch die Türkei und vielleicht langfristig auch China. Die haben ja nicht unbedingt ein Interesse, dass diese Länder sich an die Europäische Union anschließen, an europäischen Werten orientieren, sondern die haben ja andere Interessen, zum Teil gegengesetzte Interessen, und ich glaube nicht, dass das für diese Länder gut wäre. Das müssen die natürlich selbst entscheiden. Aber auch für Europa insgesamt, für den Zusammenhalt, für ein gemeinsames Europa wäre es wichtig zu verhindern, dass jetzt Russland, Türkei und China, um die drei zu erwähnen, dort ihr Spiel treiben, und zum Teil ist das wie gesagt ein Spiel gegen Europa.
"Es geht schon darum, diesen Ländern auch eine Perspektive zu geben"
Büüsker: Diese Länder auf jeden Fall aufnehmen, um die anderen rauszuhalten. Das ist ja irgendwie nicht eine richtig gute Strategie, oder?
Swoboda: Es geht schon darum, diesen Ländern auch eine Perspektive zu geben, vor allem den jungen Leuten eine Perspektive zu geben, dass sie nicht abwandern, denn die wandern natürlich nicht nach Russland, nach China oder in die Türkei ab, sondern wenn, dann ist der Abwanderungsdruck in Richtung Europa. Natürlich müssen die Voraussetzungen gegeben sein. Ich hätte auch zum Beispiel die Möglichkeit gesehen, diese Länder erst Zug um Zug aufzunehmen. Das heißt immer dann, wenn es zu Verbesserungen kommt, zu Reformen kommt, die nachhaltig sind, dass man ihnen dann mehr Rechte gibt und mehr Möglichkeiten gibt. Ich halte auch nicht sehr viel davon, diesen Termin so festzulegen, weil dann einige glauben könnten, okay, 2025 kommen wir auf jeden Fall als Vollmitglied in die Europäische Union. Das ist natürlich nicht der Fall, denn sie müssen natürlich die Reformen machen und die Lösungen entsprechend auch nachhaltig darstellen. Man müsste zum Beispiel auch eine Sicherheitspartnerschaft mit diesen Ländern eingehen, denn von dort kommen gewisse Unsicherheitsfaktoren. Das ist ja auch das, was die Leute in Europa am meisten fürchten, dass durch die Neuaufnahme von Mitgliedern die Situation nicht sicherer, sondern unsicherer wird. Die Grenzkontrolle gemeinsam zu gestalten ist wichtig, den Kampf gegen kleine Gruppen von Extremisten vorzunehmen, die Flüchtlingsfrage gemeinsam zu lösen. Ich glaube, man soll nicht alles auf den Beitritt orientieren, sondern sagen, wie können wir diese Länder so gestalten, dass die Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger in Europa erhöht wird.
"Korruption ist ein Faktor, der stark zu bekämpfen ist"
Büüsker: Ein großer Aspekt wird bei den Balkan-Staaten die Bekämpfung der Korruption sein. Jetzt haben Sie eben gesagt, dass viele der Länder schon viel geleistet haben, und haben gerade Albanien herausgehoben. Albanien steht im Korruptionsindex von Transparency International auf Platz 83, Serbien auf Platz 72, Montenegro auf Platz 64. Es steht doch wirklich schlecht um diese Länder?
Swoboda: Es steht nicht gut, aber allein diese Statistik zeigt schon, wie falsch diese Statistik ist, weil gerade für Montenegro gab es immer viele andere Zahlen. Und ich glaube, bei Albanien darf man nicht vergessen, was in den letzten Jahren geschehen ist. Dennoch ist ganz klar: Korruption ist ein Faktor, der stark zu bekämpfen ist. Ich sage nur, in den letzten zwei, drei Jahren hat Albanien hier große Fortschritte gemacht. Aber die Frage der Korruption ist eine entscheidende. Für mich aber noch wichtiger ist die gesamte Sicherheitsproblematik, der Druck auf Auswanderung, der da ist. Das ist, was für die europäischen Bürgerinnen und Bürger das Wichtigste ist, dafür zu sorgen, dass eben nicht dieser Druck da ist, dass keine Unsicherheitsfaktoren da sind, dass keine terroristischen Nester entstehen können. Das sind die Dinge, auf die wir noch viel mehr schauen müssen.
Büüsker: Trotzdem würde ich gerne noch mal auf das Thema Korruption zu sprechen kommen, weil wir das Problem ja auch bei EU-Mitgliedern sehen, beispielsweise Rumänien.
Swoboda: Ja.
Sanktionen für Regelverstöße
Büüsker: Da hat sich jetzt in den vergangenen Monaten in der Gesetzgebung einiges verschlechtert. Die Regierung hat eine Reform durchgebracht, die die Korruption letztlich wieder fördern könnte. Wie geht man denn mit solchen Ländern um, die sich vielleicht erst mal verbessert haben, aber dann in Sachen Korruption wieder schlechter geworden sind, aber schon in der EU sind?
Swoboda: Genau das ist das Problem. So ist das ja auch bei Polen und bei Ungarn und bei anderen Fragen. Hier, glaube ich, müsste die Europäische Union viel härter vorgehen, viel klarer sagen, dass das nicht akzeptabel ist. Da müsste die Kommission und das Europäische Parlament auch vom Rat gestärkt werden. Denn was ich sehe ist ja, dass die Kolleginnen und Kollegen der Regierungen – und das war immer auch meine Erfahrung in der Vergangenheit – eigentlich sehr viel schweigen, wenn in ihren Nachbarländern oder in den anderen Ländern etwas passiert. Kommission und Parlament allein können nicht agieren, wenn der Rat, das heißt die Regierungschefs sagen, ich schau lieber nicht hin, denn wenn ich das kritisiere, dann kriege ich vielleicht auch eine Kritik von denen zurück. Da sind die europäischen Regierungschefs schon klar aufgefordert, viel deutlicher diesen Ländern zu sagen, das geht nicht. Es gibt ja auch die Überlegung, auch bei der finanziellen Ausstattung – es kommen ja jetzt die Budget-Verhandlungen – das mit zu berücksichtigen, ob die Länder auch bereit sind, sich an die gemeinsamen Normen zu halten. Budgetär müsste man aus meiner Sicht auch wirklich ganz klar sagen: Länder, die schwer verstoßen gegen gemeinsame europäische Regeln - und die Korruptionsbekämpfung gehört dazu -, sollten auch finanziell weniger bekommen. Denn ich sehe nicht ein, warum man vielen Ländern Geld gibt und die halten sich nicht an die gemeinsamen Regeln. Das ist nicht zu vertreten.
Büüsker: Generell ist die Sanktionierung innerhalb der EU ja schwierig, weil viele Entscheidungen per Einstimmigkeitsbeschluss gefällt werden müssen. Die Kommission denkt jetzt darüber nach, ob sie nicht umstrickt und auf ein Mehrheitsprinzip setzt. Halten Sie das dann für eine gute Richtung?
Swoboda: Ich halte das für eine gute Richtung, aber auch das braucht natürlich die Zustimmung der Regierungschefs, dass sie bereit sind, das zu tun. Aber ich würde meinen, eine Mehrheit erleichtert das, denn jeder findet irgendwo immer einen quasi Freund in einer anderen Regierung, der ihn verteidigt. Eine Mehrheitsentscheidung hier vorzunehmen, eventuell auch mit einem Gerichtsbeschluss, der das auch objektivieren würde, das halte ich für absolut richtig.
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