Jetzt ist Bolanos letztes Buch auf deutsch erschienen. "Der unerträgliche Gaucho" ist eine siebenteilige erzählerische und essayistische Abschiedsrunde, die für manche ihrer jetzigen deutschen Leser so etwas wie der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden könnte. Das kleine Mixtum compositum zeigt alle erzählerischen Talente und literarischen Finessen Bolanos - wenn auch eingedunkelt. Denn in seinen letzten Jahren lebte er im allgegenwärtigen Bewusstsein seines angekündigten Todes durch Leberzirrhose und schrieb gegen die ihm gegebene Zeit an: mit frechem Witz und überbordender Phantasie, traurig und komisch, satirisch und erotisch.
In einem Vortrag, der seinem Hepatologen gewidmet ist, bringt es Bolano auf die lässigste Art fertig, ebenso von sich und seiner Krankheit zum Tode, von Irren- und Krankenhäusern oder den Liebesschwulitäten in mexikanischen Gefängnissen freimütig zu sprechen, als auch zwei Krankheits-Gedichte Mallarmés und Baudelaires derart zu resümieren, dass die Stufenleiter dichterischer Erfahrung, also "Reisen, Sexualität und Bücher Wege sind, die nirgendwohin führen, auf die man sich aber dennoch begeben muss, um sich zu verirren und wieder zu finden oder um etwas zu finden [...], mit etwas Glück, das Neue, das, was immer schon da war".
"Das Neue, das immer schon da war", ist nichts anderes als eine originelle Paraphrase der Camusschen Absurdität, wonach "wir uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen müssen". Sie wird von Bolano, der ein literarisch eminent gebildeter und erzählerisch experimentierfreudiger Autor war, im breiten Schatten eines postmodernen Bewusstseins ausgesprochen, das sich in lustvollem Blickkontakt mit der Last der großen literarischen Vorgänger befindet.
So ist der Titel gebende "Unerträgliche Gaucho" Bolanos zeitgenössische "Antwort" auf Jorge Luis Borges´ Erzählung "Der Süden". Deren Protagonist - der Enkel deutscher Einwanderer - war auf der Estancia des wilden Südens im gesuchten romantischen Tod durch ein Gauchomesser erst wirklich zum Argentinier geworden. Bolanos Held, ein durch den Staatsbankrott der Jahrtausendwende verarmter, aber gebildeter alter Rechtsanwalt, der sich auf sein heruntergekommenes Besitztum in der Pampa des Südens zurückgezogen hatte, benutzt das Gauchomesser, als er während eines letzten Besuchs in Buenos Aires von einem kokainsüchtigen Schriftsteller als "unverschämter alter Trottel" auf offener Straße angefallen wird. Eine anachronistische Verteidigung gegen die Zumutungen der Gegenwart.
In "Der Rattenpolizist" halluziniert Bolano eine unheimliche Kriminal- und Horrorgeschichte, die sich zugleich auf Kafkas "Bau" und dessen späte Erzählung "Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse" bezieht und als Parabel über das Böse der menschlichen Natur im abgründigen Pessimismus des Rattenpolizisten endet: "Es ist für alles zu spät, dachte ich. Und überlegte: Seit wann genau ist es alles zu spät? Seit Lebzeiten meiner Tante Josefine? Seit hundert Jahren? Seit tausend Jahren? Seit dreitausend Jahren? Waren wir nicht verflucht, seit unsere Gattung existierte?"
Ganz anders temperiert, ja mit heiterer Zärtlichkeit und liebenswürdiger Ironie führt Bolano "Die Reise des Álvaro Rousselot" zu einem glücklichen Ziel. Nach Paris gereist, um einen französischen Filmregisseur aufzustöbern und zur Rede zu stellen, der zwei seiner Romane plagiiert hatte, entdeckt der bürgerlich korrekte argentinische Schriftsteller in einer Pariser Hure mit kleinem Sohn seine "Liebste" - ein Wort, "das ihm noch nie zuvor so süß geschmeckt hatte".
Ein schönes und offenes Ende, wie es im Buche steht - einem unsentimentalen aber bewegenden Buch des Abschieds von Roberto Bolano.
Roberto Bolano:
Der unerträgliche Gaucho
Aus dem Spanischen von Hanna Grzimek und Peter Kultzen; Verlag Antje Kunstmann, München 2006, 190 Seiten, 16.90 Euro
In einem Vortrag, der seinem Hepatologen gewidmet ist, bringt es Bolano auf die lässigste Art fertig, ebenso von sich und seiner Krankheit zum Tode, von Irren- und Krankenhäusern oder den Liebesschwulitäten in mexikanischen Gefängnissen freimütig zu sprechen, als auch zwei Krankheits-Gedichte Mallarmés und Baudelaires derart zu resümieren, dass die Stufenleiter dichterischer Erfahrung, also "Reisen, Sexualität und Bücher Wege sind, die nirgendwohin führen, auf die man sich aber dennoch begeben muss, um sich zu verirren und wieder zu finden oder um etwas zu finden [...], mit etwas Glück, das Neue, das, was immer schon da war".
"Das Neue, das immer schon da war", ist nichts anderes als eine originelle Paraphrase der Camusschen Absurdität, wonach "wir uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen müssen". Sie wird von Bolano, der ein literarisch eminent gebildeter und erzählerisch experimentierfreudiger Autor war, im breiten Schatten eines postmodernen Bewusstseins ausgesprochen, das sich in lustvollem Blickkontakt mit der Last der großen literarischen Vorgänger befindet.
So ist der Titel gebende "Unerträgliche Gaucho" Bolanos zeitgenössische "Antwort" auf Jorge Luis Borges´ Erzählung "Der Süden". Deren Protagonist - der Enkel deutscher Einwanderer - war auf der Estancia des wilden Südens im gesuchten romantischen Tod durch ein Gauchomesser erst wirklich zum Argentinier geworden. Bolanos Held, ein durch den Staatsbankrott der Jahrtausendwende verarmter, aber gebildeter alter Rechtsanwalt, der sich auf sein heruntergekommenes Besitztum in der Pampa des Südens zurückgezogen hatte, benutzt das Gauchomesser, als er während eines letzten Besuchs in Buenos Aires von einem kokainsüchtigen Schriftsteller als "unverschämter alter Trottel" auf offener Straße angefallen wird. Eine anachronistische Verteidigung gegen die Zumutungen der Gegenwart.
In "Der Rattenpolizist" halluziniert Bolano eine unheimliche Kriminal- und Horrorgeschichte, die sich zugleich auf Kafkas "Bau" und dessen späte Erzählung "Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse" bezieht und als Parabel über das Böse der menschlichen Natur im abgründigen Pessimismus des Rattenpolizisten endet: "Es ist für alles zu spät, dachte ich. Und überlegte: Seit wann genau ist es alles zu spät? Seit Lebzeiten meiner Tante Josefine? Seit hundert Jahren? Seit tausend Jahren? Seit dreitausend Jahren? Waren wir nicht verflucht, seit unsere Gattung existierte?"
Ganz anders temperiert, ja mit heiterer Zärtlichkeit und liebenswürdiger Ironie führt Bolano "Die Reise des Álvaro Rousselot" zu einem glücklichen Ziel. Nach Paris gereist, um einen französischen Filmregisseur aufzustöbern und zur Rede zu stellen, der zwei seiner Romane plagiiert hatte, entdeckt der bürgerlich korrekte argentinische Schriftsteller in einer Pariser Hure mit kleinem Sohn seine "Liebste" - ein Wort, "das ihm noch nie zuvor so süß geschmeckt hatte".
Ein schönes und offenes Ende, wie es im Buche steht - einem unsentimentalen aber bewegenden Buch des Abschieds von Roberto Bolano.
Roberto Bolano:
Der unerträgliche Gaucho
Aus dem Spanischen von Hanna Grzimek und Peter Kultzen; Verlag Antje Kunstmann, München 2006, 190 Seiten, 16.90 Euro