Ein Torbogen im Institutsgebäude der Erziehungswissenschaftler an der TU Darmstadt. Es ist zugig und kalt, doch die Rauche sind hier vor dem Februar-Regen ein wenig geschützt. Die Studierenden der Allgemeinen Pädagogik wirken angespannt. Am Semesterende warten zahlreiche Modulprüfungen. Trotz des Termindrucks nehmen sich jedoch einige Studierende eine Zigarettenlänge Zeit zu erzählen, wie sich die Erziehungswissenschaften auf neue Fragen der Gesellschaft einstellen. Wie integriert man Flüchtlinge erfolgreich ins Bildungssystem? Welche Antworten geben die Hochschulen zum brennenden Thema der Inklusion behinderter Schüler in Regelschulen ein?
Reinhard Gauert ist Pädagogikstudent im siebten Semester und interessiert sich besonders für Seminare zur interkulturellen Pädagogik, die verstärkt angeboten werden – nicht nur in Darmstadt. "Und da konnte ich jetzt einen Schwerpunkt für mich persönlich setzen, weil ich Interesse habe."
Der Student neben ihm, der seinen Namen nicht nennen will, nickt:
"Ja, selbstverständlich. Es ist Bestandteil der Lehre auf jeden Fall. Es ist auch hier abzusehen, dass Inklusion zunehmend präsenter wird. Aber migrationspädagogische Ansätze sind hier auf jeden Fall vertreten und ich halte das für notwendig, ja."
Das hält auch Ingrid Miethe für notwendig. Sie ist Professorin für Allgemeine Pädagogik an der Justus-Liebig-Universität Gießen und gleichzeitig Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, kurz DGfE. Unter dem Stichwort "Heterogenität" wird sich die Fachgesellschaft auf einem großen Kasseler Kongress im März mit den Herausforderungen der Migration sowie der Inklusion für die Erziehungswissenschaften beschäftigen, so Ingrid Miethe:
"Und das ist ganz wichtig, dass wir die angehenden Pädagogen in diesem Bereich fundiert ausbilden. Das ist bisher nicht in jedem Studiengang der Erziehungswissenschaften Standard, dass man die Kompetenzen erlernt, mit heterogenen Lerngruppen umgehen zu können. Es sollte so sein, es ist aber nicht unbedingt so."
Trotzdem boomt das Fach. Ein neuer Datenreport der Gesellschaft für Erziehungswissenschaft zeigt: 2015 waren so viele Studienanfänger und Anfängerinnen in Deutschland im Fach eingeschrieben wie noch nie. Nämlich 12.000. Obwohl die Gehaltsaussichten oft schlechter sind als etwa bei Sozialwissenschaftlern, ist das Fach bei Studienanfängern beliebt, weil es als weniger abstrakt gilt als beispielsweise die Soziologie oder die Geisteswissenschaften. Außerschulische Bildungsbereiche wie die Weiterbildung oder die Sozialpädagogik bieten aktuell gute Job-Perspektiven. 80 Prozent der Studienanfänger sind Frauen. Ingrid Miethe hofft, dass sie auch nach dem Abschluss im Beruf bleiben:
"Es zeigt sich dann im späteren Beruf, dass halt doch relativ viele – also ich sage jetzt mal, vor allem in Westdeutschland, weil da ein anderes Frauenbild ist als in Ostdeutschland – dass relativ viele erstmal eine Familienphase machen. Sie steigen nach dem Studium in den Beruf ein, bekommen dann aber Kinder und pausieren längere Zeit. Und das hat natürlich auch Folgen für den weiteren Karriereweg. Liegt aber nicht an der Erziehungswissenschaft sondern vor allem indirekt daran, dass vor allem Frauen in Westdeutschland dazu tendieren, erstmal längere Familienphasen zu machen."
Der neue Datenreport der Erziehungswissenschaftler zeigt auch: Die Studierendenzahlen im Fach steigen aktuell so stark an wie noch nie. Auch die Zahl der Stellen an den Hochschulen für die Betreuung der Studierenden steigt wieder, aber, meint Ingrid Miethe:
"Wir haben heute fast wieder die gleiche Zahl der Professuren, wie wir 1995 hatten. Das heißt aber, dazwischen ist es deutlich zurückgegangen. Wir haben aber heute deutlich mehr Studierende als 1995. So dass die steigenden Zahlen auf der Ebene der Professuren täuschen. Denn der Betreuungsschlüssel ist letztendlich schlechter geworden."
Dass die Erziehungswissenschaften dieses Schicksal mit zahlreichen anderen Fächern teilen, macht es für die konkrete Lage in den Seminaren nicht besser. Die Erfahrungen der Darmstädter Studierenden sind beliebig auf viele Studienangebote an anderen Hochschulen übertragbar:
"Seminare mit 70 Menschen in einer Gruppe sind eben keine Seminare, sondern nähern sich immer mehr einer Vorlesung an."
"Ich finde es schade, dass da eine nicht so intensive Betreuung insgesamt vonstatten geht."