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Es bestehen "einige Chancen für das Gesundheitssystem"

Die Übernahme des Rhön-Klinikums durch den Gesundheitskonzern Fresenius könnte die deutsche Krankenhauslandschaft stark verändern. Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung über Chancen und Risiken dieser Fusion.

Boris Augurzky im Gespräch mit Birgid Becker | 26.04.2012
    Birgid Becker: Zum Start der Sendung blicken wir auf einen Bereich, der eine noch weitaus längere Privatisierungsgeschichte hinter sich hat: auf die deutsche Krankenhauslandschaft, in der die Dominanz der großen Krankenhauskonzerne wächst und noch einmal wachsen wird, wenn, wie heute angekündigt, der Fresenius-Konzern die Rhön-Kliniken übernimmt.
    Mitgehört hat der Krankenhaus-Experte des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Boris Augurzky. Guten Tag!

    Boris Augurzky: Guten Tag.

    Becker: Nach Ihrer Einschätzung, wie mächtig würde denn eine Verbindung aus Fresenius und Rhön?

    Augurzky: Das wäre tatsächlich eine sehr mächtige Verbindung. Das ist was wirklich Einmaliges, in der Größenordnung hatten wir das bislang noch nicht. Da ergeben sich zumindest für den Betreiber, aber auch fürs Gesundheitswesen enorme Chancen.

    Becker: Welche Chancen wären das und wie viel Bewegung kann denn in der Krankenhauslandschaft überhaupt aufkommen? Das Wachstum dort hat ja Grenzen und die Grenzen liegen in der Finanzkraft und der Finanzfähigkeit der Krankenkassen, der gesetzlichen vor allem.

    Augurzky: Ja das ist richtig, da sind die Grenzen gesetzt. Aber innerhalb des Systems kann man durch diese Größe natürlich Veränderungen bewirken. Man kann den Patienten andere Produkte, neue Produkte anbieten, und es wurde ja auch im Beitrag gesagt: 75 Prozent der Patienten in Deutschland würden dadurch erreicht werden, durch diesen Konzern. Da kann man den Patienten schon noch mal was Neues bieten. Ideen gibt es dazu.

    Becker: Was aber voraussetzt, dass neue Angebote auch gesetzlich möglich sind, also auf dem Boden des Sozialgesetzbuches möglich sind.

    Augurzky: Das ist richtig. Kein Unternehmen kann sich ungesetzlich verhalten. Allerdings besteht durch diese Größe auch die Möglichkeit, mit den Krankenkassen, also mit den Kostenträgern stärker in Verhandlungen zu treten und auch dem Gesetzgeber klar zu machen, dass mehr Vertragsfreiheit hilfreich wäre, um auch integrierte ambulante und stationäre Angebote anbieten zu können in der Zukunft, was heute nicht so einfach möglich ist.

    Becker: Im Beitrag eben war Fresenius als enorm expansionsinteressiert dargestellt worden und allgemein beklagen ja die Krankenkassen, dass es in der deutschen Krankenhauslandschaft eine Überversorgung gibt, dass also eher Betten abgebaut werden sollten. Welche Häuser sind denn nun besonders bedroht?

    Augurzky: Nun, wir beobachten seit einigen Jahren, dass einige kommunale Krankenhäuser hohe Defizite schreiben. Die sind durchaus bedroht, die können alleine, von sich alleine nicht überleben, brauchen Hilfe von außen, was immer wieder regelmäßig passiert. Und wenn wir eine große Heterogenität haben, auf der einen Seite sehr starke Anbieter, auf der anderen Seite aber auch schwache Anbieter, und hier kann durch so einen starken Wettbewerber jetzt noch mal eine Auslese beschleunigt werden.

    Becker: Wenn die Gewerkschaft ver.di nun bereits vor übergroßer Marktmacht warnt, die aus einer Verbindung zwischen Fresenius und Rhön entstehen könnte, teilen Sie die Befürchtung? Wie groß ist denn die Marktmacht tatsächlich?

    Augurzky: Nun, wenn die beiden zusammengingen, hätten sie ungefähr 7,5 bis acht Prozent Marktanteil. Das ist sehr viel, damit haben sie deutlich mehr als alle anderen. Allerdings im Vergleich zu anderen Branchen ist das ja immer noch wenig. Insofern wird es keine dramatische Marktmacht sein. Hier und da kann es regional passieren, dort wird aber das Kartellamt entsprechend vorher einschreiten. Nichtsdestoweniger kann man, wie ja auch erwähnt wurde, eine Menge, also viele Patienten dadurch erreichen, und da ist vielleicht eine gewisse Befürchtung, dass eine Dominanz entsteht. Aber von großer Marktmacht ist auch noch nicht hier die Rede.

    Becker: Was das deutsche Gesundheitswesen ja prägt – Sie haben das eben umrissen – ist, dass der stationäre und der ambulante Sektor recht streng getrennt sind, und bislang sah es ja so aus, als würde die schwarz-gelbe Koalition dies auch nicht gerne lockern wollen. Es sind ja die niedergelassenen Ärzte, die das vor allem ablehnen. So ein neu formierter Krankenhauskonzern wird der womöglich doch seinen Einflussbereich stärker hinein in den ambulanten Sektor ausdehnen, in das Geschäft der niedergelassenen Ärzte also?

    Augurzky: Ja. Soweit das gesetzlich möglich ist, wird das sicherlich passieren. Aber man kann ja auch durch Kooperation mit niedergelassenen Ärzten, ohne dass man gleich gesellschaftsrechtlich zusammengeht, einiges erreichen. Es gibt auch heute schon regionale Gesundheitsnetze, die genau so was vorleben. Da, denke ich, wird Fresenius-Rhön, Helios, durchaus vorstoßen wollen als nächsten Schritt.

    Becker: Kurz zum Schluss unterm Strich: Schadet oder nützt so ein neu formierter größerer Konzern dem Gesundheitswesen?

    Augurzky: Zunächst mal würde ich sagen, es bestehen durchaus einige Chancen für das Gesundheitssystem, denn wenn es tatsächlich gelingt, gewisse auch verkrustete Strukturen dadurch aufzubrechen und Effizienzreserven zu heben, haben in der Summe die Beitragszahler und die Patienten ein bisschen mehr davon. Aber da muss auch der Gesetzgeber hier und da mitspielen.

    Becker: Danke! – Einschätzungen waren das von Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.