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Es besteht die Angst vor einer "Ansteckungsgefahr"

Matthias Kullas vom Freiburger Centrum für Europäische Politik sagt, dass die anderen europäischen Länder keine Staatsinsolvenz Griechenlands wollen. Es könnte sich ein Dominoeffekt einstellen. Für Deutschland würden dann auch erstmalig "wirklich Gelder fällig".

Matthias Kullas im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: Was bis vor Kurzem so gut wie ein Tabu war, wird in diesen Tagen fast schon offen gehandelt: eine Pleite Griechenlands. Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker zum Beispiel warnt Griechenland, ohne zusätzliche Einsparungen werde das Land keine neuen Hilfsgelder erhalten und dann zahlungsunfähig werden. Im Kreise der Eurofinanzminister ist man sich einig: Es gibt nur neue Hilfen, wenn noch mehr gespart wird. In Griechenland selbst steigt darüber die Wut, auch heute kommt es wieder zu zahlreichen Streiks.
    Ich bin jetzt am Telefon verbunden mit Matthias Kullas vom Zentrum für europäische Politik in Freiburg. Guten Tag, Herr Kullas.

    Matthias Kullas: Guten Tag, Frau Kaess.

    Kaess: Herr Kullas, haben Sie Hoffnungen, dass Griechenland die Forderungen der Troika zur Restrukturierung in letzter Minute doch noch erfüllt?

    Kullas: Ich glaube, dass es sehr schwierig wird für Griechenland, das zu erfüllen, aber das Szenario einer Insolvenz Griechenlands ist auch mit sehr großen Einschnitten verbunden für Griechenland, und man muss bedenken, wenn Griechenland wirklich insolvent geht, ist Griechenland nicht geholfen damit. Also die Reformen, die gemacht werden müssen, müssen trotzdem gemacht werden. Von daher habe ich noch Hoffnung.

    Kaess: Bleiben wir erst mal dabei, ob es tatsächlich zu der Zahlungsunfähigkeit kommt, denn das sieht ja jetzt so aus, wenn Griechenland die Forderungen nicht erfüllen kann.

    Kullas: Genau. Damit wird gedroht, aber Griechenland hat natürlich ein Faustpfand und weiß natürlich, die anderen Mitgliedsstaaten wollen eigentlich nicht, dass Griechenland Pleite gehen kann. Aber es ist ein realistisches Szenario.

    Kaess: Warum wollen die anderen Mitgliedsstaaten das nicht? Was wird da befürchtet?

    Kullas: Es wird befürchtet eine Ansteckung. Man stelle sich vor, Griechenland zahlt seine Staatsanleihen nicht mehr, andere Staaten oder andere Banken in anderen Ländern haben Staatsanleihen, und es kann dann passieren, dass andere Staaten ihre Banken rekapitalisieren müssen. Hinzu kommt, dass man noch die Angst hat, dass die Märkte reagieren und höhere Zinsen wieder verlangen für die ganzen Problemstaaten, insbesondere für Spanien und für Italien, dass da auch wieder neue oder erstmalige Rettungsmaßnahmen notwendig werden. Das sind Szenarien, die man vermeiden möchte. Und das Dritte ist natürlich, für Deutschland ist ganz klar: Für Deutschland wären dann erstmalig auch wirklich Gelder fällig. Bisher sind das ja alles nur Garantien, die gegeben werden, aber dann muss wirklich gezahlt werden.

    Kaess: Sie sprechen Spanien und Italien und jetzt zuletzt auch Deutschland an. Aber was bedeutet das denn für die gesamte Eurozone, wenn es zu einer Insolvenz käme?

    Kullas: Das weiß keiner so richtig. Das kann man bisher noch nicht vorhersagen. Das schlimmste Szenario wäre, dass andere Länder angesteckt werden, andere Banken in anderen Ländern Pleite gehen, dass die rekapitalisiert werden müssen, dass Länder das vielleicht sogar nicht leisten können. Man hat ja gesehen bei Irland, dass sich Länder überheben können bei der Rettung von Banken und dass dann sozusagen ein Land nach dem anderen kollabiert. Man hätte diesen sogenannten Dominoeffekt und der hätte dann Folgen, die wären weit schlimmer als die Insolvenz von Lehman Brothers.

    Kaess: Gäbe es denn zu einer geordneten Staatsinsolvenz, über die jetzt oft gesprochen wird, überhaupt Regeln und Vorgehensweisen, weil Sie haben ja gesagt, Erfahrungen damit gibt es bisher nicht?

    Kullas: Genau. Der IWF hat mal versucht, ein Verfahren einzuführen für eine geordnete Staatsinsolvenz, aber das kam dann am Ende nicht durch, da gab es Widerstände von ein, zwei Staaten dagegen. Von daher: Wir haben kein Verfahren dafür.

    Kaess: Das heißt, wenn es nicht zu einer Insolvenz kommt, oder wenn man das nicht zulassen will, wird Griechenland ein Fass ohne Boden? Ist das das, was auf der anderen Seite steht?

    Kullas: Fass ohne Boden klingt sehr hart, aber wir reden auf jeden Fall dann über Dimensionen, die nicht mehr für drei oder vier Jahre sind, sondern dann geht es wirklich um Hilfen für zehn, 20 Jahre. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr, sehr groß, dass es dauerhafte Transfers gibt. Also wir haben auch in Deutschland unterschiedliche Lebensstandards, die ausgeglichen werden durch Transfers, und die Wahrscheinlichkeit, dass das in Europa kommt, ist für mich sehr groß.

    Kaess: Aber die Ansteckung von anderen Ländern wäre gebannt, wenn man weiter in Griechenland investieren würde und es nicht zu einer Insolvenz kommen lassen würde?

    Kullas: Genau. Dann wäre die Ansteckung gebannt, weil dann einfach die Märkte keine Angst haben, dass andere Staaten auch ausfallen, weil man dann weiß, im Notfall springen die anderen Eurostaaten ein.

    Kaess: Müsste Griechenland im Falle einer Insolvenz die Eurozone verlassen?

    Kullas: Nein, das müsste es nicht. Das steht Griechenland frei. Die Frage ist, ob es das freiwillig macht. Es gibt Argumente dafür und dagegen. Was dafür spricht, ist, dass das Land abwerten kann, was dafür spricht, ist, dass auch Griechenland, wenn es insolvent ist, auch am nächsten Tag eigentlich wieder neues Geld braucht, weil es kann seine Löhne nicht zahlen, selbst wenn es die ganzen Staatsschulden nicht bedient, kann es keine Löhne zahlen. Wir haben ja vorhin gehört, dass Krankenversicherungen Pleite gehen werden, Renten können nicht gezahlt werden. Das ist ein Szenario, wo man denkt, dass ein Austritt aus der Währungsunion gewisse Vorteile hätte, weil man dann einfach wieder sich selber Geld drucken kann. Auf der anderen Seite hat man das Problem, dass eine ganze Menge an Importen (insbesondere Öl), dass das halt in Euro bezahlt wird und dass es da auch zu Versorgungsengpässen kommen kann.

    Kaess: Was wäre mit einem Austritt aus der Eurozone vor einer möglichen Insolvenz, also in absehbarer Zukunft?

    Kullas: Ein Austritt aus der Eurozone vor einer Insolvenz, das ist eigentlich utopisch. Zum einen wollen die Griechen nicht austreten und zum anderen: Warum sollte Griechenland austreten, es gibt eigentlich keinen Grund, warum es austreten sollte, wenn es nicht insolvent ist.

    Kaess: Nun hat ja die griechische Regierung schon einiges an Zugeständnissen gemacht: Lohnkürzungen und Entlassungen. Die Reaktionen darauf - wir haben es gerade vorhin im Beitrag gehört - sind zahlreiche Streiks auch heute wieder. Haben Sie Verständnis dafür, dass sich die griechische Regierung schwer tut mit weiteren Einschnitten?

    Kullas: Ja, habe ich eigentlich schon, und zwar aus dem einfachen Grund: Ich denke, die Regierung oder die Parteien sind ein Spiegel der Bevölkerung, die müssen das wiedergeben, was die Bevölkerung gern möchte. Und wenn die Bevölkerung diese Forderungen an die Regierung hat, dann kann sich eine Regierung davon nicht freimachen und muss dem irgendwie gerecht werden. Ich denke, das Hauptproblem gerade in Griechenland ist, dass man Löhne und Gehälter kürzt, dass das wirklich zu einem konjunkturellen Einbruch kommt, auf der anderen Seite aber keine Strukturreformen macht, wo ein Gegenpol erzeugt werden könnte, wo unternehmerisches Engagement freigesetzt werden könnte, wo Investitionen angeregt werden können vielleicht auch aus dem Ausland. Das muss eigentlich beides gleichzeitig kommen. Nur die Einsparungen, die machen das Land kaputt. Ohne die Liberalisierung der Arbeitsmärkte, ohne Liberalisierung der ganzen Dienstleistungsmärkte wird Griechenland da nicht auf die Beine kommen.

    Kaess: Jetzt haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy einen Vorschlag gemacht zur Einrichtung eines Sperrkontos, auf das die Staatseinnahmen des hoch verschuldeten Griechenlands fließen sollen. Das Argument ist da, der Abbau der Staatsschulden über ein Sonderkonto wäre eben auch Ausdruck der europäischen Solidarität. Macht das Sinn?

    Kullas: Ich glaube, was der eigentliche Grund dahinter ist, ist, dass man versuchen will, dass Griechenland nicht ständig damit drohen kann, dass es Pleite geht. Und zwar will man ja diese Gelder, die da kommen, reservieren für den Abbau der Staatsschulden, oder Rückzahlung, für die Bedienung zumindest der Schulden, und da hat man Griechenland ein Faustpfand aus der Hand genommen, indem es einfach nicht mehr damit drohen kann, insolvent zu gehen, sondern dass in erster Linie die Insolvenz dann die eigene Bevölkerung treffen würde und da sozusagen dann der Druck auf Griechenland noch mal zunimmt. Von daher ist das eine sinnvolle Sache.

    Kaess: Wenn Sie in die Zukunft gucken, angesichts der Szenarien, die wir gerade sehen, Ihre Prognose: Überlebt der Euro?

    Kullas: Ich denke, dass der Euro überlebt, ja. Also da bin ich sehr sicher, dass der Euro überlebt. Ich habe da keine Bedenken. Die Frage ist, ob der Euro so überlebt, wie wir ihn in der Vergangenheit erlebt haben, die vergangenen Jahre. Die Frage ist, ob alle Länder dabei sind. Das kann ich nicht beantworten, oder da möchte ich mich nicht festlegen. Und die Frage ist, ob nicht im Zweifelsfall die EZB eingreift und die ganzen Schulden weginflationiert. Bisher hat die EZB ja immer wieder gezeigt, dass sie im Notfall bereit ist einzugreifen, und ich denke, dass die EZB das auch zukünftig machen wird und dass wir da mit Sicherheit mit einer weicheren Währung rechnen müssen in Zukunft.

    Kaess: Matthias Kullas war das vom Zentrum für europäische Politik in Freiburg. Vielen Dank für das Gespräch.

    Kullas: Sehr gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.