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"Es dauert fünf Minuten ..."

Seit Belgien vor drei Jahren die Einführung eines Euthanasie-Gesetzes beschloss, dürfen Krankenhausärzte dort aktiv Sterbehilfe leisten, ohne eine strafrechtliche Verfolgung zu riskieren. Allerdings muss der Patient mindestens 18 Jahre alt sein und wiederholt den Wunsch nach aktiver Sterbehilfe bei vollem Bewusstsein geäußert haben. Jetzt wagen sich die Belgier noch ein Stück weiter vor. Seit wenigen Tagen sind in 250 Apotheken des Landes so genannte "Euthanasie-Kits" erhältlich – tödliche Ampullen, die der Hausarzt auf Wunsch des Patienten verschreiben darf.

Von Christiane Feller | 27.04.2005
    Am Stadtrand von Brüssel, im flämischen Norden von Belgien, liegt das kleine Städtchen Wemmel, Sitz des "Federatie Palliatieve Zorg Vlaanderen". Der unauffällig hellrote Backsteinbau ist eines von insgesamt 12 Zentren für Palliativmedizin, also schmerzlindernder Medizin, in Flandern. Die Zimmer sind hell, das Personal verbreitet eine ruhige, fast entspannte Stimmung. Nichts erinnert an die Hektik eines Krankenhauses. Wer hier eingeliefert wird, weiß, dass er bald sterben wird.

    "Hier herrscht eine angenehme Atmosphäre. Wir wollen, dass die Menschen, die in diesem Stadium zu uns kommen, aufgefangen und begleitet werden. "

    Professor Wim Distelmans ist Belgiens Koriphäe auf dem Gebiet der Palliativmedizin und der Sterbehilfe. Als Krebsspezialist und Vorsitzender der Euthanasie-Kommission, ein von der belgischen Regierung eingesetztes Kontroll-Gremium, setzt er sich seit Jahren für ein menschenwürdiges Sterben ein. Anfangs sei das nicht leicht gewesen, erzählt der 53jährige Flame, die Diskussion um die Sterbehilfe habe im katholischen Belgien viele Kontroversen ausgelöst.

    "Heute akzeptiert die Mehrheit der belgischen Bevölkerung die Sterbehilfe - mehr als 60 Prozent sind dafür. Sie empfinden es als positiv, dass es keine Geheimniskrämerei mehr gibt und sie sich auf die "Mittel" verlassen können."

    Nun ist Belgien noch einen Schritt weiter gegangen. Todkranke Menschen, die lieber zu Hause als in einer Klinik sterben wollen, dürfen sich neuerdings von ihrem Hausarzt binnen 24 Stunden ein "Euthanasie-Kit" verschreiben lassen: ein Päckchen mit zehn Ampullen, Barbiturate für den Preis von insgesamt 70 Euro - ein weißes Puder, dass in Flüssigkeit aufgelöst wird.

    "Sie brauchen mindestens zwei, maximal drei Ampullen, um das Leben ihres Patienten zu beenden. Der fällt dann in einen Schlaf, kurz darauf ins Koma. Es dauert fünf Minuten, bis der Tod eintritt."

    Ganz ausgereift ist die Vergabe des "Ampullen-Päckchens" allerdings noch nicht. Derzeit ist es nur im Zehnerpack zu kaufen, obwohl doch schon allein drei Ampullen als letale Dosis genügen. Die restlichen sieben, so ist es bisher geplant, muss der Arzt zum Apotheker, nach der Injektion, wieder zurückbringen. Für eine Bilanz ist es noch zu früh, doch manche Kritiker befürchten Missbrauch.

    Professor Distelmans indes findet, mit dem "Ampullen-Päckchen" sei man grundsätzlich auf dem richtigen Weg, trotz mancher Schwächen:

    "Das Problem ist, dass viele Ärzte überhaupt nicht wissen, wie sie sich bei Euthanasiefragen zu verhalten haben. Welches sind überhaupt die richtigen Mittel? Und wenn sie es wissen, müssen sie sich erst an den Apotheker wenden, der aber auch nicht so recht Bescheid weiß. Die Idee des Ampullenpackchens war: Dem Hausarzt etwas in die Hand zu geben mit allem, was er braucht. "

    In Deutschland ist aktive Sterbehilfe nach wie vor ein heikles Thema. Zu stark ist der Begriff hierzulande immer noch mit der Nazi-Diktatur verbunden. Die Belgier hingegen blicken weitaus gelassener auf das Thema Euthanasie. Die evangelische Kirche zum Beispiel, die mit 1,5 Prozent der Bevölkerung im Königreich nur eine kleine, aber agile Minderheit stellt, setzt sich schon seit Jahren offen für die aktive Sterbehilfe ein - im Krankenhaus und zu Hause, erklärt Belgiens oberster Kirchenvater der Protestanten, Guy Liagre:

    "Für uns ist Euthanasie kein Problem. Wenn es verantwortungsvoll gemacht wird, ist das kein Problem. Die katholische Kirche ist mehr restriktiv, mehr konservativ, aber die protestantische Kirche ist offener für diese Problematik. Unsere evangelische Kirche ist froh mit dieses Gesetz. Wir sind für dieses Gesetz. "

    Madame De Roo Morleer ist Apothekerin im Brüsseler Stadtteil Ixelles. Ihre Nichte, so erzählt sie, litt zehn Jahre lang unter schweren Depressionen. Das Krankenhaus habe auf ihr Drängen schließlich nachgegeben und der 42-Jährigen die tödliche Injektion gegeben.
    Kann sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren, das Ampullen-Päckchen in ihrer Apotheke zu verkaufen?

    "Prinzipiell bin ich nicht dagegen, es kommt auf den Einzelfall an. Ich denke, wenn es sich um einen seriösen Arzt handelt, den ich kenne, dann würde ich das unterstützen und dem Arzt vertrauen. Vielleicht sollte der Apotheker auch einmal in Kontakt mit der Familie treten, doch das ist eigentlich Aufgabe des Mediziners. Handelt es sich um einen sehr gewissenhaften Arzt, der tatsächlich allein das Interesse des Patienten im Auge hat, dann würde ich das Ampullenpäckchen verkaufen. Warum das Leiden eines Patienten unnötig verlängern. "

    Das belgische Parlament wird heute über Details des "Ampullen-Päckchen" debattieren. Zur Diskussion steht nicht nur eine kleinere Verpackungseinheit mit dann wahrscheinlich drei Ampullen zum Preis von 40 Euro, sondern auch um neue Richtlinien für Apotheker.